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Die US-Offensive stößt kaum auf Widerstand. in Bagdad. Ein US-Soldat aus Texas bewacht ein Haus im Bezirk Shaab. Eine irakische Frau und ihre Schwester beobachten die Geschehnisse.

Foto: AP
Die Demokraten im US-Kongress setzten am Freitag eine Resolution durch, die die von Präsident Bush geplante Aufstockung der US-Truppen im Irak um 21.000 Soldaten verurteilt.

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„Wie viele Gedenksteine brauchen wir noch? Wie viele Gefallene müssen wir noch betrauern?“ Patrick Murphy steht am Rednerpult des Repräsentantenhauses und redet Tacheles. Er ist 33 Jahre alt, hat das Gesicht eines großen Jungen, dennoch ist er schon Kriegsveteran – der erste Veteran des Irakkrieges, der neu gewählt im Parlament sitzt.

Am 4. Januar hat Murphy seinen Eid abgelegt, jetzt begründet er auf großer Bühne, wieso er es für einen fatalen Irrtum hält, mehr Soldaten ins Zweistromland zu schicken. Er beginnt mit dem Juni 2003, als er, der Captain, mit der 82. Luftlandedivision nach Bagdad verlegt wurde.

Damals seien sie in Humvees, in Geländefahrzeugen, an denen paradoxerweise die Türen fehlten, durch die gefährlichsten Viertel gerollt, durch „Ambush Alley“, die Gasse der Hinterhalte. Damals, so Murphy, hätte es dringend besserer Ausrüstung und zehntausender zusätzlicher Truppen bedurft, um den Irak zu sichern. „Damals schlug unser Präsident in den Wind, was ihm seine Generäle rieten. Diesmal ignoriert er sie erneut, wenn sie vor einer Eskalation warnen.“ Aufstand im Kongress

Es ist die Woche, in der der Kongress den Aufstand gegen George W. Bush probt: Vier Tage lang debattieren die Volksvertreter über die Misere im Irak. Eigentlich sollte sie schon früher über die Bühne gehen, die Kraftprobe, auf die Amerika wartet, seit die Demokraten den Republikanern die parlamentarische Mehrheit abknöpften. Doch erst verhedderte man sich in einem Knäuel zu vieler Resolutionen, und jetzt ist es nur ein dürrer Zweizeiler, der am Freitag zur Abstimmung stand.

Einerseits lobt er die Tapferkeit der Truppe, andererseits lehnt er Bushs Plan ab, 21.000 zusätzliche GIs in den Irak zu beordern. Zwar trägt das Papier nur symbolischen Charakter, weil es den Präsidenten zu nichts verpflichtet. Aber es markiert auch das Warmlaufen für ein härteres Kräftemessen, das Tauziehen ums Geld. Nächsten Monat wird der Kongress über die 93 Milliarden Dollar beraten, die Bush obendrauf fordert, um die Militäroperationen in Irak und Afghanistan finanzieren zu können.

Der Demokrat John Murtha, der im Haushaltsausschuss des Repräsentantenhauses dem Unterausschuss für Verteidigung vorsteht, kündigte eine Reihe von Bedingungen für neue Mittel an. Die Soldaten müssten unter anderem nachweislich voll kampfbereit sein, mindestens ein Jahr Pause zwischen Einsätzen vorweisen und dürften nicht länger als ein Jahr im Einsatz sein.

„Es gibt keine Blankoschecks mehr“, avisiert auch Nancy Pelosi, die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, und stellt die Weichen für ein erbittertes Duell. Die Woche des Warmlaufens steht ganz im Zeichen der Kriegsveteranen. Beide Parteien bieten ihre alten Haudegen auf, beide wollen den Eindruck vermeiden, als fielen ein paar Schreibtischpolitiker den „Boys“ in Uniform in den Rücken.

Da ist John Dingell, 80, ein Demokrat, der noch im Zweiten Weltkrieg kämpfte. „Vor sechzig Jahren kannten wir unsere Mission. Wir wussten, wie es ausgehen würde. Wir wussten, worum es ging“, sagt er. „Es war etwas völlig anderes als die Hölle, durch die unsere Männer und Frauen im Irak gehen müssen.“ Da ist Sam Johnson, 76, ein Republikaner, der im Dienst der Air Force an zwei Kriegen teilnahm, erst in Korea, dann in Vietnam. Er erzählt, wie er sieben Jahre in Gefangenschaft saß, nachdem sein Flugzeug abgeschossen worden war. Frohlockend hätten ihm seine Aufpasser geschildert, wie heimkehrende Veteranen bespuckt worden seien. Als er zurückkam, schwor er sich: „Du kämpfst dafür, dass Amerika seine Streitkräfte nie wieder im Stich lässt, wenn sie in Gefahr schweben.“ Darum, meint Johnson, gehe es heute im Irak.

Der Täuschung erlegen

Ganz im Gegenteil, kontert Murphy, man brauche doch nur die Straße hinunter zum Vietnam-Memorial zu laufen, um die Sinnlosigkeit von Bushs Plan zu begreifen. Die Hälfte der 58.000 Namen, die dort eingraviert seien, seien Namen von Soldaten, die sterben mussten, „als Amerikas Führer bereits wussten, dass unsere Strategie nicht aufgehen würde. Es wäre unmoralisch, noch einmal derselben Täuschung zu erliegen.” (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.2.2007)