Kinder sollen einen Beistand bekommen - bei Scheidungen: Die Regierung reagiert auf die Verwahrlosungstragödie vom Linzer Pöstlingberg. Gute Sache, nur brauchen Kinder in Österreich in ziemlich vielen Lebenslagen eigentlich einen Beistand. Das gesellschaftliche Klima ist nämlich nicht kinderfreundlich, sondern im Zweifelsfall fast eher kinderfeindlich. Wir sind eine alte Gesellschaft mit einer ziemlich langen, noch längst nicht überall überwundenen autoritären Tradition. Das richtet sich auch und ganz besonders gegen Kinder. Die Unicef hat in einer soeben veröffentlichten Studie die Lebensumstände von Kindern in 21 Industriestaaten untersucht und Österreich dabei auf einen bedenklichen 18. Platz gereiht. Die Situation in der Schule sei nicht so günstig, heißt es, aber ohne genauere Kenntnis der Studie kann man da keine echten Schlüsse ziehen.

Aber es genügt das anekdotische Beweismaterial: Lärmende Kinder werden nirgendwo schärfer zurechtgewiesen als in Österreich; ein Gericht in Salzburg hat es vor Kurzem sogar fertig gebracht, die Verlegung eines Kinderspielplatzes zu verfügen, weil sich ein Anrainer gestört fühlte. Hier ist erneut festzustellen: Wer sich von spielenden Kindern in dieser Weise gestört fühlt, sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Und noch ein Klassiker aus der Hundebesitzer/Kinderbesitzer-Saga: Auf den Vorhalt, ihr Tier laufe in einer Hundeverbotszone in unmittelbarer Nähe von Kindern herum, antwortete die Dame: "Dann soll man halt den Spielplatz einzäunen."

Das sind die harmlosen Erscheinungen. Aber wer Zeitungsmeldungen sammelt und die Augen offen hält, wird das Gefühl nicht los, dass sich nicht wenige Kinder in einer Lebenssituation befinden, die an eine Tragödie grenzt und manchmal auch eine ist. Anlässlich des Verwahrlosungsfalles erfahren wir jetzt, dass sich allein in Linz 300 Kinder in Betreuung außerhalb des Elternhauses befinden.

Der Kinderbeistand, den es nun in Scheidungsfällen geben soll, ist natürlich ein weiterer Schritt zur Regulierung, vielleicht zur Überregulierung eines zutiefst menschlichen Vorganges. Man würde das wohl für übertrieben halten, hätte man nicht das Gefühl, dass die existierende Betreuung von Kindern in Problemsituationen an bürokratischer Indolenz leidet. Die Schulbehörde hat sich im Fall der Linzer Mädchen nichts vorzuwerfen, wird uns versichert (vom Leiter der Schulbehörde). Aber bei der einen hörte der Unterricht mit der zweiten Klasse auf. Was war da los? Bei jedem säumigen Ratenzahler kann sich das Inkassobüro Zugang zur Wohnung verschaffen, aber die Jugendwohlfahrt, die ebenfalls ein Recht auf Zutritt hat, ließ sich im Garten abspeisen?

Die schwarz-blaue Regierung habe die Mittel für die Sozialarbeit gekürzt, man sei überlastet gewesen, heißt es jetzt. Stimmt, diese Regierung hat wegen des Nulldefizits des jetzigen oberkörperfreien Modells Karl-Heinz auch Musik-, Deutsch- und Turnstunden gekürzt. Aber das ist keine Erklärung für mangelnde Aufmerksamkeit, wenn ein Missstand fast schon mit Händen zu greifen ist.

Eines stimmt: Sozialarbeit, Jugendbetreuung, Arbeit mit Problemfällen ist ein Job, der unheimlich schlaucht. Nicht alles ist auch bürokratische Indolenz. Aufmerksamkeitsdefizite ergeben sich einfach oft aus der Natur der Arbeit.

Lehrer, Sozialarbeiter, Gerichte, auch die Polizei können ihre Aufgabe, die Kinder zu schützen, nur dann gut wahrnehmen, wenn das allgemein gesellschaftliche Klima danach ist. Damit steht es nicht gut in Österreich. (Hans Rauscher, DER STANDARD - Printausgabe, 17./18. Februar 2007)