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"Sag mir die Wahrheit über die Liebe"

Foto: Corbis/Hulton-Deutsch Collection
"Ich werde ein Dichter - und zwar ein berühmter Dichter sein." Die Erklärung des zwanzigjährigen Wystan Hugh Auden seinem Englischlehrer gegenüber ist nicht ohne Arroganz. Zwar bringt es der am 21. Februar 1907 als Sohn einer Arztes in der Gegend von Birmingham geborene Auden als Biologiestudent in Oxford zu keinem Studienerfolg, seine dichterische Programmatik ist ihm umso klarer. Der Inhalt eines Gedichts sei nur der Haken, an dem die Poesie hängt - Untergang des Abendlandes mit gehobenen Formansprüchen, wie ihn T. S. Eliot wenig Jahre zuvor mit seinem Waste Land vorexerziert hatte.

Am Anfang seiner Dichtung stehen Einsamkeit und sexuelle Nöte, Kehrseite des englischen Neopuritanismus. In Audens Tagebuch über das Leben in der Weimarer Republik, wohin er mit Christopher Isherwood geradezu flieht, ist davon nicht mehr viel zu merken: Boys had - Germany 1928-29. Fünf nennt er namentlich, über eine der fünf namenlosen Bekanntschaften notiert er: "He was not nice and very dirty." Bislang gänzlich unpolitisch, beginnt Auden, der in Berlin Brechts Dreigroschenoper und die blutige Niederschlagung kommunistischer Demonstrationen gesehen hat, Zeitung zu lesen. Seinen Kritikern verspricht er nach der Rückkehr nach England "weniger obskure" Gedichte zu schreiben. "Smokeless chimneys, damaged bridges, rotting wharves and choked canals, / Tamlins buckled, smashed trucks lying on their side across the rails." Die von Sarkasmus durchzogene Beschreibung herabgekommener englischer Industrielandschaften wird zu seinem Markenzeichen; der dichterische Durchbruch gelingt mit The Orators, einer surreal anmutenden, von Georg Groddeck und Freud inspirierten Reflexion über "leadership in our time".

Das erste einer Reihe in Co-Autorschaft mit Isherwood verfassten Theaterstücke, The Dance of the Dead, formuliert satirisch polternd die Antwort auf den Niedergang des Bürgertums: "O Mister Marx, you've gathered / All the Material facts / You know the economic / Reasons for Acts." Das nicht nur unter englischen Intellektuellen der 1930er-Jahre populäre Vorhaben, in die Sowjetunion zu gehen, scheitert zum Glück. Nach einer weiteren Europareise, die bis nach Rumänien führt, beschreibt Auden, der sich selbstironisch als "liberaler Faschist" bezeichnet, die neuen deutschen Machthaber als "a mixture of gangsters and the sort of school perfect who is good at Corps". Vom österreichischen Bürgerkrieg des Jahres 1934 bemerkt er - anders als sein Freund Stephen Spender, der darüber ein Gedicht schreibt - nichts. Auden geht in Wien in die Oper oder schaut sich im Kino den neuesten Film von Bela Lugosi an.

Krieg, Heldentum, neuer Mensch vor dem Hintergrund der scheiternden liberalen Demokratien stehen im Zentrum seiner nächsten Theaterstücke - The Dog beneath the Skin und das Bergsteigerstück The Ascent of F6. Berge sind bei Europas Intellektuellen und Diktatoren gerade en vogue, Auden kehrt die Verhältnisse um: Nicht der neurotische Gipfelstürmer, sondern jener, der den banalen Alltag bewältigt, ist der "true strong man". Zivilcourage stellt er durch seine Scheinehe mit Erika Mann, der er damit zu einem englischen Pass und der Möglichkeit, Europa zu verlassen, verhilft, unter Beweis. Von den im Auftrag der englischen Post produzierten Propagandafilmen über Heringsfischer, Sklavenhandel und Überseefliegerei, zu denen Auden den Text und Benjamin Britten die Musik schreibt, hat leider nur This is the Night Mail Bekanntheit erlangt.

Während einer Islandreise mit dem Dichterkollegen Louis MacNeice erfährt Auden, der Bewunderer altisländischer Sagas, vom Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges. "Famous poet to drive ambulance in Spain", berichtet Daily Worker am 12. Januar 1937. Obschon höchst skeptisch gegenüber allem dichterischen Engagement in Sachen Politik, erklärt Auden, es sei jetzt Gebot der Stunde, sich selbst Eindruck vom Kampf gegen den Faschismus zu verschaffen.

Die zweimonatige Reise nach Barcelona und Valencia, wo man von ihm Propaganda erwartet, endet mit völliger Desillusionierung. Den "Krieg für die Demokratie" hält Auden angesichts der niedergebrannten Kirchen und der stalinistischen Herrschaft unter den Republikanern nur noch für reine Augenauswischerei. Das Resümee seiner Reise in den Sino-Japanischen Krieg ein Jahr später fällt noch düsterer aus: Die Geschichtsbetrachtung über das China des Jahres 1938 mündet in die Einsicht des vollständigen Versagens der ganzen menschlichen Rasse. Als er von einem deutsche Militärberater von Österreichs "Anschluss" hört, notiert er: "Austria is down." Im zwölften der "Zwanzig Sonette aus China" heißt es: "And maps can really point to places / Where life is evil now. / Nanking, Dachau." In Nanking hatten die Japaner ein halbes Jahr zuvor 300.000 Chinesen nieder- gemetzelt. Ende der 1930er-Jahre ist W. H. Auden am Höhepunkt seiner Dichtkunst angelangt: "Lay your sleeping head, my love, / Human on my faithless arm", sein schönstes Liebesgedicht, war bei der Abreise nach Spanien entstanden, das nicht minder berühmte "Tell me the truth about love" während der Überfahrt nach China. (Beide Gedichte wurden in den 1990er-Jahren nach dem Film Vier Hochzeiten und ein Todesfall in einer knappen Auswahl wieder aufgelegt - mit mehr als 275.000 verkauften Exemplaren ist Auden wohl der erfolgreichste Dichter der Gegenwart); der pfiffige, für das Radio geschriebene Roman Wall Blues und eine Reihe schwarzhumoriger Balladen verschaffen ihm internationalen Ruhm.

Als der Hofdichter der englischen Linken 1939 nach Amerika emigriert, wirft man ihm Verrat im Kampf gegen den Faschismus vor. Der "selfish pink old Liberal" hat mit seinem Gedicht über Brueghels Sturz des Ikarus - "The old Master with their suffering were right" - eine radikale Wende eingeschlagen. Das anlässlich des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs geschriebene "1. September 1939" zeigt mit der Kulmination "We must love one another or die" die Richtung an - religiös überhöhter Pazifismus. Ein Pazifismus, auf dem er ein Leben lang beharrt, dabei skeptisch beteuernd, keines seiner Gedichte gegen Hitler habe den Krieg nur um einen Tag verkürzt oder nur einem Juden das Leben gerettet. Höhepunkt der von Kierkegaard inspirierten Neoreligiosität ist das Weihnachtsoratorium For the time being, das Benjamin Britten, mittlerweile auch im amerikanischen Exil, vertont. Zu Amerika fällt Auden auch eine Menge Spott ein: "Thou shalt not be on friendly terms / With guys of advertising firms ... Read The New Yorker, trust in God; And take short views."

Im Rang eines Majors des US Strategic Bombing Survey, der die Auswirkungen alliierter Bomben auf die deutsche Zivilbevölkerung untersucht, kehrt Auden im Frühjahr 1945 nach Europa zurück. Antikommunismus ist jetzt angesagt. Gottfried Benn attestiert Audens Versepos Zeitalter der Angst, dem Text über die Welt nach Jalta, es sei "extrem individualistisch, abendländisch und ausgesprochen antikollektiv."

Auden gehört hinfort zum transkontinentalen Kulturestablishment: Er pendelt zwischen Amerika, wo er schon während des Krieges als einer der Ersten mit zahlreichen Lese- und Vortragsreisen begonnen hatte ("God bless the USA, so large / So friendly, and so rich"), und London. 1956 übernimmt er die prestigereiche Professur für Poetry in Oxford. Neben Auftritten auf den Kongressen für kulturelle Freiheit zwischen Indien und Ungarn (die, wie sich später herausstellt, vom CIA gesponsert sind) verbringt der gefragte Librettist von Britten, Igor Strawinsky und später Hans-Werner Henze den Sommer in Ischia.

Ab 1958 ist Auden im niederösterreichischen Kirchstetten, im westlichen Wienerwald, ansässig. Der in dreißig Sprachen übersetzte "minor atlantic Goethe" lässt neben seinen großen Dichtungen über Natur, Wissenschaft und Religion sowie einer Vielzahl von Essays, die zum Besten ihres Genres überhaupt gehören, keine Gelegenheit aus, um gegen Rechts oder Links zu polemisieren. Er unterschreibt gegen die Geheimprozesse unter Franco, dichtet die UN-Hymne, anlässlich der Ermordung J. F. Kennedys eine Elegie, kritische Gedichte zur Mondlandung oder zum Einmarsch der Sowjets in Prag. Im Fall des Vietnamkriegs ist er zurückhaltend, ebenso in Bezug auf das offene Geheimnis seiner Homosexualität.

Mitunter ulkt er zwar - "Shakespeare was in the Homintern", "Beethoven was queer" - und autorisiert auch sein pornografisches Gedicht "A platonic blow", für ein demonstratives Outing sieht Auden, der seit 1941 mit dem Dichter Chester Calmann zusammenlebt, aber keinen Grund. Zu den größte Kuriositäten des späten Auden, der sich nun dichterisch in geologischen Räumen, Flusspanoramen oder Selbstgesprächen ergeht, gehört ein Gedicht an seinen potenziellen Nachbarn Josef Weinheber: Der hatte sich im April 1945 beim Einmarsch der Roten Armee umgebracht, dessen Naziengagement verteidigt Auden ohne alle Altersmilde gegen alle Kritiker mit Weinhebers Worten "in Ruah lossn".

Boshaft bissig ist Auden, der schließlich den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur erhält und 1968 als Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele auftritt, wenn es um jüngere Autoren, freien Vers oder Beatniks geht. Über Ernst Jandls Auftritt beim renommierten Londoner Festival of Poetry erklärt er einem Freund gegenüber, der Lautdichter wäre besser daheimgeblieben. Am 29. September 1973 stirbt W. H. Auden nach einer Lesung im Palais Palffy in einem Wiener Hotel. "Follow, poet, follow right / To the bottom of the night / with your unstraining voice / Still persuade us to rejoice." Das für W. B. Yeats geschriebene Gedicht in der Übersetzung von Jandl: "Folge, Dichter, folg bedacht / Bis zum tiefen Grund der Nacht, / Deine Stimme unzerstört, / Helfe uns, daß Jubel währt." (Erich Klein / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17/18.2.2007)