Denis Johnson, "In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Welt". Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. € 19,40/186 Seiten. Tropen Verlag, Berlin 2006.

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Wenn ein Autor ansetzt, über Kriegsgeschehen in fernen Ländern zu berichten, läuft er stets Gefahr, das unmittelbar Erfahrene als Naturzustand misszuverstehen - und das Leid derart auf problematische Weise zu objektivieren. Für Afrika gilt das im besonderen Maße: Dort, in der exemplarischen Fremde, ist man als westlicher Beobachter schnell mit seinem Latein am Ende und schließt das, was man nicht erklären kann, aus seinem Weltbild aus. Der unlängst verstorbene polnische Schriftsteller Ryszard Kapuscinski war einer jener wenigen, die auf das Unvermögen, dem Erfahrenen eine adäquate Form zu geben, zu reagieren wussten: Statt dem Ganzen muss die Summe der Teile genügen. Wobei der eigene Horizont ständig zu eng zu werden droht.

"In der Hölle", eine Sammlung von drei literarischen Reportagen des US-Schriftstellers Denis Johnson ("Jesus' Son", "Engel"), wird auf vergleichbare Weise von Fragen der Darstellung bestimmt. Wenngleich anfangs noch weniger offensichtlich: "Bürgerkrieg in der Hölle", Johnsons erster Trip nach Liberia für das Magazin Esquire, fand im Jahr 1990 statt, zu einer Zeit, als in dem westafrikanischen Land ein unsagbar grausamer Krieg zwischen zwei Rebellenführern, Charles Taylor und Prince Johnson, tobte - von der Weltpresse weit gehend ignoriert. Denis Johnson hält sich in diesem ersten Text noch merkbar an die Konventionen des Reportageformats: Subjektive Beobachtungen werden in einen politischen Zusammenhang eingebettet, der Berichterstatter tritt als Person nicht weiter in Erscheinung - es dominiert ein beschreibender Gestus, der freilich schon sein Mühe hat, den Irrwitz des Geschehens zu bannen: "Insofern jedoch die Gräuel dieses Krieges durch die Fäden des Aberglaubens mit gewissen dunklen Mächten verknüpft waren, bekamen sie etwas Unergründliches und umso Grausigeres."

Johnson sucht sich seinen Pfad durch dieses Szenario der Verwüstung, indem er Bild um Bild anhäuft, um schließlich - analog zu Joseph Conrads "Herz der Finsternis" - in eines der Wirkzentren vorzudringen. Gemeinsam mit einigen anderen Journalisten nimmt er an einem Besuch bei Prince Johnson teil, dessen Auftritt angesichts des Elends wie ein böser Scherz erscheinen muss. Bei der Ankunft spielt er eines seiner "Morgenkonzerte", eine Creole-Reggae-Version des 137. Psalms, "Sie sind gut. Sie könnten sich ohne Weiteres in einem Nachtklub in Los Angeles ihre Brötchen verdienen", bemerkt Denis Johnson lakonisch. Anschließend wird ein Video vorgeführt, in dem der ehemalige Präsident Liberias, Samuel K. Doe, "verhört" wird. Mit unverhohlenem Stolz verkündet Prince Johnson, dass er ihm beide Ohren abschneiden ließ und ihm befahl, sie zu essen. Die Reportage endet in einem seltsam ratlos wirkenden medienkritischen Befund: "Wo liegt Liberia? Kümmert es da draußen irgendwen?" Fast scheint es so, als wüsste Johnson mit seiner Zeugenschaft wenig anzufangen.

Antworten dazu finden sich im dritten Text von "In der Hölle" (der mittlere, "Ein Anarchisten-Führer durch Somalia", beschreibt eine drogenumwölkte Reise nach Mogadischu kurz vor dem Abzug der UN-Truppen nach der Invasion von 1992). Die Kindergarde erzählt von Johnsons zweiter Reise nach Liberia, diesmal in Auftrag des New Yorker, mit dem Ziel, den nunmehrigen Präsidenten Charles Taylor zu porträtieren. "Gelingt es dem Helden nicht, aus der Höhle des Löwen etwas mitzubringen, ist er dazu verdammt, das ganze Abenteuer noch einmal durchzuleben", zitiert er Christopher Vogler und geht die Sache ungleich persönlicher als beim Erstbesuch an. Diesmal schreibt Johnson in der ersten Person - und entwirft den hindernisreichen Versuch einer Annäherung, der vor allem von einem Zustand geprägt wird: dem Warten.

In "Die Kindergarde" geht es um ein Afrika-Bild mehr, das objektiv vermittelbar wäre. Der reisende Beobachter kann sich von seinen emotionalen Aufwallungen angesichts der andauernden Verzögerungen nicht distanzieren, er gibt an einer Stelle gar zu, zu rassistischen Anwandlungen zu neigen. Zu berichten gibt es kaum mehr als von Rahmenbedingungen eines missglückten Auftrags, der immer absurdere Ausmaße annimmt: Irgendwann sitzt Johnson in einem Palast mit Bedienerinnen und Satellitentelefon fest, wohlgemerkt in einem Land, das sich im Bürgerkrieg befindet. Der Präsident, den er begleiten soll, zeigt sich erst, als niemand mehr damit rechnet. Davor bricht jedoch ein weiteres Mal die Wirklichkeit des Krieges in den monotonen Alltag des westlichen Besuchers ein: Er begegnet einem von der Kindergarde Taylors gefolterten Gefangenen. Von Afrika schreiben, heißt bei Johnson, am eigenen Urteilsvermögen zu scheitern. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17/18.2.2007)