Sozialphobiker sind nicht einfach nur schüchtern, ihr geringes Selbstwertgefühl setzt sie permanentem Stress aus und korrumpiert die Selbstwahrnehmung. Innovative Behandlung per Internet ist in Österreich nicht erlaubt.

Foto: Matthias Cremer

Sag ich das Falsche? Finden mich die anderen peinlich? Sehen sie, dass ich unsicher bin? Die Gedanken von Sozialphobikern kreisen um die Angst, schlecht bewertet zu werden. Beim Essen im Restaurant könnten sie sich anpatzen oder ihr Getränk verschütten.

An der Supermarktkasse könnte ihnen das Kleingeld runterfallen, im Gespräch könnte man sie für dumm halten. Begegnungen mit anderen Menschen sind für sie anstrengend – auch körperlich. Schwitzen, Zittern, Erröten, Atemnot, trockener Mund sind häufige Symptome.

Unbekannt und weit verbreitet

Sozialphobie ist relativ unbekannt, aber sehr weit verbreitet. Nach Depressionen und Alkoholmissbrauch ist sie die dritthäufigste psychische Beeinträchtigung und die häufigste aller Angsterkrankungen überhaupt. US-Studien zufolge erkranken etwa 13 Prozent der Bevölkerung einmal im Leben an Sozialphobie. In Deutschland leiden etwa zwei Millionen Menschen daran. Zahlen für Österreich fehlen.

"Sie haben Menschen gerne, trauen sich aber nicht"

"Meistens richten Betroffene ihr Leben danach ein", sagt Peter Berger, Leiter der Sozialphobie-Ambulanz am Wiener AKH. Mit gravierenden Folgen. Sozialphobiker ergreifen nicht die Berufe, die ihnen entsprechen, gehen schwer Partnerschaften ein und setzen Alkohol oder Beruhigungsmittel zur Angstminderung ein. Manche schaffen es, sich durch das Leben zu quälen.

Bei anderen führt die Erkrankung zu totaler Isolation. "Diese Menschen sind keine Einzelgänger, die froh sind, wenn sie allein sind. Sie haben Menschen gerne, trauen sich aber nicht", so Berger.

Schwer bewältigbar

Soziale Ängste kennt jeder. Ohne sie wäre gesellschaftliches Zusammenleben kaum möglich. Während man sich normalerweise diesen Ängsten stellt, sind sie für Sozialphobiker schwer bewältigbar. Eine Erkrankung liegt vor, wenn das Alltagsleben durch Vermeidungsverhalten stark eingeschränkt ist. Sozialphobie wird fälschlicherweise mit Schüchternheit verwechselt.

Kontakt lernen

Schüchterne Menschen stehen zwar nicht gerne im Mittelpunkt, haben aber im Unterschied zu Sozialphobikern nicht notwendigerweise ein geringes Selbstwertgefühl und einen großen Leidensdruck.

Krankheit von WHO anerkannt

Menschen mit stark übersteigerten sozialen Ängsten hat es vermutlich schon immer gegeben. Sozialphobie wurde erst in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts von der WHO als Krankheit anerkannt. "In den letzten zehn Jahren hat sich schon langsam ein Bewusstsein für diese Störung in der Gesellschaft entwickelt. Davor haben sich die Leute gedacht, das gehört zu meiner Person, so bin ich halt", erklärt Berger.

Kognitive Verhaltenstherapie und Antidepressiva

Sozialphobie sei sehr unspezifisch behandelt worden. Mittlerweile hätte sich die kognitive Verhaltenstherapie aber als erfolgreiche Behandlungsmethode etabliert. Die negativen Gedankenspiralen werden dabei bewusst gemacht und die verzerrte Selbstwahrnehmung korrigiert. Ein wichtiger Teil davon sind Übungen, in denen man sich mit den Ängsten konfrontiert. Bei schweren Störungen, etwa dann, wenn Menschen das Haus nicht mehr verlassen, werden Antidepressiva eingesetzt.

Oft unbehandelt- aber gut therapierbar

Obwohl Sozialphobie gut therapierbar ist, bleibt sie meist unbehandelt. Oft sind es die Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Panikattacken, die sie zum Arzt bringen. Denn abgesehen davon, dass viele ihre Ängste für unabänderliche Charaktereigenschaften halten, fällt es gerade Sozialphobikern schwer über Probleme zu reden.

Internet – geringe Hemmschwelle

Schwedische Psychologen der Linköping-Universität und der Uppsala-Universität haben nun die Wirksamkeit einer Behandlungsart untersucht, für die nur eine geringe Hemmschwelle überwunden werden muss: kognitive Verhaltenstherapie via E-Mail. Per Carlbring und seine Kollegen arbeiteten dafür Selbsthilfeliteratur internetgerecht auf.

Computer und Konfrontationsübungen

Die Testpersonen bekamen in wöchentlichen Modulen theoretisches Wissen über ihre Krankheit, mussten leichte Testfragen beantworten und ihre Erfahrungen niederschreiben. Nur vor dem Computer zu sitzen reichte aber nicht: Die Patienten mussten auch ihre eigenen vier Wände verlassen und sich in Konfrontationsübungen ihrer Angst stellen. Psychologen und Sozialphobiker kommunizierten per E-Mail.

Erfolgreiche Fernbehandlung

Zusätzlich gab es einmal pro Woche ein kurzes Telefongespräch. Die neunwöchige Fernbehandlung erwies sich als erfolgreich: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die nicht behandelt wurde, verringerten sich in der E-Mail-Therapie Ängste, Vermeidungsverhalten und Depressionen. Bei allen Patienten erhöhte sich langfristig die Lebensqualität.

In Österreich nicht zulässig

Online-Therapie wurden auch erfolgreich gegen Platzangst und Panikattacken eingesetzt. Während international das Angebot diesbezüglich wächst, ist in Österreich eine Therapie via E-Mail nicht zulässig. Therapeutische Interventionen per Internet würden aber auch hierzulande immer stärker nachgefragt werden, erklärt Gerald Kral.

Der Psychologe und Psychotherapeut gilt als Experte für psychologische Online-Beratung und tritt für eine Änderung des Psychotherapiegesetzes ein: Eine Behandlung über das Internet würde die Face-to-Face-Therapie nicht ersetzen, könnte aber den ersten Schritt zu einer Veränderung bedeuten und auch jene Menschen erreichen, die sonst keine Hilfe in Anspruch nehmen. (Natasa Konopitzky/MEDSTANDARD/19.02.2007)