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Goldbär für China: Regisseur Wang Quan'an und Hauptdarstellerin Nan Yu.

Foto: AP / Jan Bauer
Der Hauptpreis der 57. Berlinale ging an den chinesischen Film "Tuyas Ehe".


Berlin - Wie wird Politik gemacht? In öffentlichen Anhörungen, Ausschüssen und parlamentarischen Sitzungen wird verhandelt, argumentiert, abgewogen. Befürworter und Gegner kommen zu Wort. Lobbyisten vertreten ihre Interessen. Parlamentarier bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen der Notwendigkeit staatlicher Regulierung und der Beschneidung von Individualrechten:

US-Dokumentarist Frederick Wiseman hat sich für seine jüngste, fast vierstündige Arbeit State Legislature im Parlament von Idaho postiert. Sein Film, der im Forum Premiere hatte, stellte einen der unspektakulären Höhepunkte des diesjährigen Festivals dar. Er macht konkrete Prozesse der Entscheidungsfindung anschaulich und behält darüber hinaus stets einen größeren Zusammenhang im Blick: So wie hier etwa über die lokale Gewerbeordnung für Bauunternehmer befunden wird, kommen in gewichtigeren Foren möglicherweise auch Entscheidungen von weit größerer, internationaler Tragweite zustande.

Markante Preispolitik

Im Wettbewerb der Berlinale, der sich traditionell den Anstrich politischer Gegenwärtigkeit gibt, war derlei konzentrierte Zuspitzung kaum zu finden. Hier konnte man stattdessen einmal mehr feststellen, dass ein politisches Thema allein noch keinen überzeugenden Film macht. Eine Erkenntnis, der sich in diesem Jahr erfreulicherweise auch die Jury anzuschließen schien. Denn mit der Vergabe der Preise setzte diese einen markant anderen Akzent:

Sie prämierte den argentinischen Beitrag El otro (Der Andere) gleich zweifach, würdigte den israelischen Regisseur Joseph Cedar für Beaufort und kürte schließlich den chinesischen Film Tu Ya De Hon Shi (Tuyas Ehe) von Wang Quan'an zum Überraschungssieger des diesjährigen Festivals. Drei Arbeiten jüngerer, international noch kaum bekannter Filmemacher, deren Helden jeweils ganz spezifische existenzielle Krisen durchleben:

Ein erfolgreicher argentinischer Anwalt in der Midlife-Crisis, der sich auf ein Spiel mit möglichen anderen Identitäten einlässt. Ein Trupp israelischer Soldaten auf verlorenem Außenposten im Libanon im Jahr 2000. Oder eine mongolische Schafzüchterin, die das ökonomische Überleben ihrer Familie durch eine Zweckheirat zu sichern sucht.

Für leichte Aufregung hatte zuletzt noch ein anderer chinesischer Wettbewerbsfilm gesorgt: Die chinesische Zensurbehörde hatte Ping Guo (Lost in Beijing) nicht ohne Kürzungen freigeben wollen. Gezeigt wurde der Film dann doch inklusive der inkriminierten Sexszenen. Als bemerkenswert erwies er sich jedoch vor allem wegen seiner intelligent konstruierten Geschichte und seines konsequent unsentimentalen, visuell prägnanten Blicks auf soziale Verhältnisse:

Regisseurin Li Yu (Fish and Elephant) erzählt von zwei Paaren - die einen Neuankömmlinge aus der Provinz und die anderen bereits Profiteure der jüngsten ökonomischen Entwicklungen. Als der Chef die volltrunkene Ping Guo in seinem Zimmer vorfindet, dieses unbeabsichtigte Zusammentreffen in einer Vergewaltigung endet und Ping Guo kurz darauf schwanger ist, entspinnt sich unter Einbeziehung der jeweiligen Ehepartner eine Serie von geschäftlichen Transaktionen. Verletzte Ehre hat ebenso ihren Preis wie das Neugeborene. Auch wenn es am Ende keine Auszeichnung gab, ein Kinoeinsatz in Österreich scheint bereits gesichert.

Prämiert wurde dafür auch ein österreichischer Beitrag: Die Doku Kurz davor ist es passiert von Anja Salomonowitz, die im Forum lief, erhielt den mit 4000 Euro dotierten Caligari-Preis des Bundesverbandes kommunale Filmarbeit. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.2.2007)