Fünf Jahre lang hatte sich Rainald Goetz - bis auf wenige Auftritte (hier bei der Viennale 2005) - zurückgezogen. Die Leser warteten auf ein Buch mit Aufzeichnungen aus dem Bundestag. Vergeblich. Nun kehrt er zurück. Im Internet.

Foto: Viennale/Vyhnalek
Wien - No comments. Noch ist es still und Rainald Goetz' Weblog Klage auf den Internetseiten der deutschen Ausgabe von Vanity Fair, in dessen jüngster Printnummer Karl-Heinz Grasser sexy posiert, schwach besucht.

So seltsam das Umfeld erscheinen mag (aber haben nicht auch schon früher Große ihre Texte vom Playboy abdrucken lassen?), die Nachrichten sind gute: Einer der kompromisslosesten - sprich: immer auch mit sich selbst besonders strengen - Autoren unserer Zeit ist zurück.

Das Schweigen ...

Seit 2001 hat Goetz, der in der Öffentlichkeitswirkung oft zu Unrecht auf seine persönliche Nähe zu Popliteraten wie Benjamin von Stuckrad-Barre reduzierte Chronist von Kunst, Politik und Alltag, nicht mehr publiziert. Da kam bei Merve Jahrzehnt der schönen Frauen heraus, ein Nachhall auf die in den Jahren zuvor bei Suhrkamp erschienene fünfbändige Geschichte der Gegenwart Heute Morgen, die zu den bemerkenswertesten literarischen Anstrengungen der letzten Zeit gezählt werden darf. Danach: Schweigen.

Halbjahr für Halbjahr blätterte die Goetz-Gemeinde frustriert im Neuerscheinungs-Katalog des Suhrkamp-Verlages. Keine neuen Texte wurden angekündigt, 2004 erschien immerhin eine schöne Sammelkassette von Heute Morgen. Im selben Jahr feierte Goetz, dessen kommerziell erfolgreichstes Buch immer noch sein Debütroman Irre (1983) ist, seinen 50. Geburtstag.

Der Verlag richtete eine Tagung in Frankfurt aus, der der öffentlichkeitsscheue Autor natürlich fernblieb. Wortmeldungen im Feuilleton spart er sich sowieso von jeher. Einer von Goetz' jüngsten Auftritten fand im Oktober 2005 bei der Viennale statt. Da performte er in seiner unnachahmlichen Mischung aus Wirrheit und Klarheit den Aktionsessay Democracy, Democracy. Zudem gestaltete er eine "Ö1"-Sendung, bei der er Anrufern Rede und Antwort stehen sollte, die meisten Fragen aber entweder als zu global oder schlichtweg blöd zurückwies.

Seit 1. Februar schreibt Goetz nun den Weblog Klage. Früher hätte man Internettagebuch dazu gesagt. Tatsächlich hinterließ Goetz ja schon einmal, von Februar 1998 bis Jänner 1999 unter der Adresse rainaldgoetz.de, täglich seinen Abfall für alle. Darauf Bezug nehmend heißt es nun: "Tobias Begalke von Vanity Fair Online aus München ist da (...). Halbe Stunde später ist praktisch alles erledigt, Wahnsinn. An den Vorbereitungen für Abfall habe ich im Winter 97/98 etwa zwei, drei Monate hingeschraubt (...)."

Goetz kehrt nun zu jener ritualisierten Form von Reflexion zurück, die ihm vielleicht am besten steht. Hier hat der immer wieder von brutalen Zweifeln geplagte Autor den Druck, täglich einen Text abliefern zu müssen - und gleichzeitig die Freiheit, darüber nachzudenken, was auch immer ihm gerade durch den Kopf schwirrt: Ausstellungen, die Rocky-Premiere, Inszenierungen von Politik und immer wieder Grundsätzliches, das es ständig neu zu überdenken gilt: "die Wahrheit: das Problem / Lockerheit: Trottelkategorie / für wütend lies: zornig."

Es ist, als wäre er nie weg gewesen. Goetz' Tagebücher sind seine Spielwiese, aber auch mit seine wichtigsten Werke. So darf auch kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass Klage sich wie einst Abfall für alle später zwischen Buchdeckeln wiederfinden wird. Sicher: Die ersten Einträge gestalteten sich noch ein wenig dürr, stotternd und selbst für Goetz-Verhältnisse unzusammenhängend.

Ein gewisser Kyritz

Nach nunmehr knapp drei Wochen kommt der Motor jedoch wieder ins Laufen. Erste Schwerpunkte kristallisieren sich heraus. Immer wieder tritt ein gewisser Kyritz in Erscheinung. "Arbeit im sogenannten BMI als Ministerialrat, Referat O 3, Abteilung O, Protokoll Inland. Quereinsteiger, keine richtige Karriere, pflegt vielfältige musische Interessen. Der Job war nie sein Leben, macht seine Arbeit aber gerne."

Vor ein paar Jahren ging das Gerücht um, Goetz arbeite an einem Buchprojekt über deutsche Politik. Auffallend oft war er bei Bundespressekonferenzen gesichtet worden, Notizen machend. Ist Klage eine späte Vorstufe dazu? Ein Neustart? Bei Suhrkamp sagt man dazu nichts und weiß auch nichts über Bücher, die da kommen mögen.

Weiter warten also. Aber was macht das schon, jetzt, wo es wieder ein tägliches Textgebet gibt? Vieles bleibt in der Schwebe, alles bleibt spannend. Auch das unterscheidet Goetz. (Sebastian Fasthuber/ DER STANDARD, Printausgabe, 20.02.2007)