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AsylwerberInnen seien besonders anfällig für psychische Probleme: Viele von ihnen hätten traumatische Erfahrungen, wie etwa Gewalt gegen die Familie, Verfolgung oder Folter gemacht, erklärt Ljiljana Muslic, psychologische Betreuerin im Ute Bock-Familienprojekt, im Gespräch mit Maria Sterkl.

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derStandard.at: Mit welchen Problemen kommen die Menschen zu Ihnen?

Muslic: Krieg und Gewalt wirken sich immer negativ auf die psychosoziale Gesundheit aus. AsylwerberInnen tragen ein besonders großes Risiko psychischer Probleme in sich, weil sie sehr oft komplexe traumatische Erfahrungen gemacht haben. Das kann sich in allen Lebensbereichen auswirken – körperlich, emotional, im Verhalten, im Denken, im Umgang mit anderen Menschen.

derStandard.at: Können Sie Beispiele nennen?

Muslic: Enorme Angst, Hilflosigkeit, Schuldgefühle oder Wut sind Beispiele für emotionale Auswirkungen. Oft sind die Traumatisierten aber auch in einem "no emotions"-Zustand – gerade, um nicht von den Gefühlen überwältigt zu werden. Viele von ihnen haben häufig Albträume oder Schlafstörungen oder erleben, dass Bilder aus der Erinnerung ganz plötzlich und unkontrolliert wieder auftauchen.

derStandard.at: Wie kann sich ein Trauma körperlich auswirken?

Muslic: Traumatisierte Menschen leiden oft unter chronischer Müdigkeit, aber auch unter Rastlosigkeit und Atembeschwerden. Sehr oft tendieren sie auch zu Suchtverhalten, werden nikotin- oder alkoholabhängig.

derStandard.at: Warum werden traumatisierte Menschen im sozialen Kontakt oft als "schwierig" bezeichnet?

Muslic: Ihre Reaktionen auf das Trauma verursachen im Kontakt mit anderen Menschen manchmal Probleme: Oft isolieren sie sich von FreundInnen oder Familie, behalten ihre Gefühle für sich, vertrauen den anderen nicht oder schämen sich. Manche werden auch aggressiv. Ich möchte aber betonen, dass diese Verhaltensweisen – auch, wenn sie nicht angenehm sein mögen - völlig normale Reaktionen auf abnormale Erfahrungen sind. Es ist eine Art psychische Selbstverteidigung gegen traumatische Einflüsse.

derStandard.at: Was löst es in einem Menschen aus, zu sehen, wie enge Angehörige misshandelt oder sogar getötet werden?

Muslic: Das ist ein extrem qualvolles Ereignis. Was ein Trauma von anderen unheilvollen Erfahrungen unterscheidet, ist, dass es unsere Integrität bedroht. Traumata lösen intensive Angst und Hilflosigkeit aus, sie bringen unser Wertesystem durcheinander.

Sehr oft sagt man, das Trauma liege außerhalb der Palette normaler menschlicher Erfahrungen. Leider bedeutet das aber nicht, dass es selten vorkommt.

derStandard.at:Wie können Sie hier helfen?

Muslic: In vielen Ländern wird die Gesundheit von Flüchtlingen mit Trauma-Erfahrungen zu einem öffentlichen Thema, und viele Staaten der Welt haben bereits spezielle psychologische Betreuungsangebote im öffentlichen Gesundheitssystem integriert.

Der Verein Ute Bock versucht, den Betroffenen eine umfassende psychosoziale Begleitung zu bieten – von der Unterkunft über rechtliche Beratung bis hin zu psychologischer Betreuung. Psychologische Betreuung soll die Menschen emotional stärken, damit sie bereit sind, die Härten des Lebens im Asylverfahren zu ertragen. Das kann in Einzelsitzungen geschehen oder in der Gruppe. Wir sind momentan aber noch dabei, die Bedürfnisse der Familien zu analysieren.

derStandard.at: Ist es möglich, dass traumatische Erfahrungen von Eltern sich auch auf ihre Kinder übertragen - selbst, wenn sie die Traumasituation gar nicht miterlebt haben?

Muslic: Was Sie hier ansprechen, ist die sogenannte sekundäre Traumatisierung: Wenn jemand einer traumatisierten Person oder Familie ausgesetzt ist, können ähnliche Symptome auftreten wie beim Traumaopfer selbst. Wenn beispielsweise eine Familie durch Krieg traumatisiert ist, dann erfasst das Trauma auch jene Kinder, die erst nach dem Krieg geboren sind.

derStandard.at: Können Sie ein Beispiel nennen?

Muslic: In meiner Arbeit mit Flüchtlingskindern in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo habe ich viele Kinder kennengelernt, die aggressiv, hyperaktiv oder rastlos waren. Sehr viele von ihnen wurden auch regressiv, hingen stark an ihren Eltern, wurden zu BettnässerInnen oder litten an Albträumen und wiederkehrenden Kopf- oder Bauchschmerzen. Die meisten von ihnen waren Kindern von traumatisierten Soldaten oder Kriegsveteranen. Ich erinnere mich an einen 14-Jährigen, dessen Vater Kriegsveteran war. Er hatte große Schulprobleme und wurde zu mir geschickt, um ihn auf intellektuelle Defizite zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass er sehr intelligent war, infolge seiner Schlafstörungen, Albträume und der inneren Anspannung aber Schwierigkeiten hatte, sich zu konzentrieren.

derStandard.at: Kann eine Psychotherapie die Lage der Betroffenen auch verschlimmern?

Muslic: Generell nicht, aber bei Asylwerbern ist es problematischer. Hier kommt der legale Status ins Spiel: Wir müssen ungefähr wissen, ob und wann die Person abgeschoben werden könnte, um zu verhindern, dass die Therapie plötzlich abgebrochen werden muss. (Maria Sterkl, derStandard.at, 28.2.2007)