Frank M. Unger (66) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Universität Wien. Seit 2004 ist der gebürtige Wiener auch Forschungsleiter der Firma HSO Pharma GmbH.

Neben zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen zum Thema Säure-Basen-Haushalt, Probiotika und Präbiotika hat er 2004 gemeinsam mit Helmut Viernstein das Buch 'Florale Bakterienflora' veröffentlicht.

Im Juli 2007 erscheint, ebenfalls im Verlagshaus der Ärzte: 'Mein Körper in Balance'. Unger ist verheiratet und hat drei Kinder.

derStandard.at: Basische Nahrungsergänzungsmittel sollen Übersäuerung lindern. Was versteht man unter einem übersäuerten Organismus?

Unger: Mediziner verstehen darunter meist eine Azidose. Diese ist oft das Symptom einer Erkrankung und definiert sich als Absenkung des normalen pH-Wertes im arteriellen Blut. Im Normalfall liegt der pH im Blut der Arterien zwischen 7,35 und 7,45, ist also immer schwach basisch. Bei einer leichten Azidose liegen die Werte nur knapp unter 7,35. Eine schwere Azidose, wie sie auch beim septischen Schock auftritt, ist lebensgefährlich.

derStandard.at: Was verstehen Nicht-Mediziner darunter?

Unger: Viele Naturheiler beziehen sich auf Hypothesen, die aus dem beginnenden 20. Jahrhundert stammen. Damals wurde behauptet, dass normale Mischkost zur Übersäuerung des Organismus führt und diesem schadet. Säurebildung wurde als schlecht betrachtet. Aus dieser Zeit stammt auch die Theorie, dass überflüssige Säuren im Bindegewebe abgelagert werden, weil der Körper nicht mehr in der Lage ist sie auszuscheiden.

derStandard.at: Ist dem nicht so?

Unger: Nein, denn der Organismus neutralisiert Säuren, die im Stoffwechsel anfallen mit Hilfe der Pufferbase Bikarbonat. Der Kohlensäure-Bikarbonat-Puffer ist der wichtigste Puffer zum Erhalt des Säure-Basen-Gleichgewichts. Bikarbonat ist das Salz der Kohlensäure. Als Pufferbase sorgt es dafür, dass fixe Säuren im Blut nie präsent sind. Fixe Säuren sind beispielsweise die Schwefel-, Phosphor- und die Salzsäure.

derStandard.at: Und was ist wenn der Harn sauer ist?

Unger: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man übersäuert ist wenn der Harn sauer ist. Bei normaler Mischkost fällt täglich ein Säureüberschuss an, der eine bestimmte Menge Bikarbonat verbraucht. Niere und Leber ersetzen das verbrauchte Bikarbonat. Dabei produziert die Niere gleichzeitig auch Säure, die dann über den Harn ausgeschieden wird. Daher ist der Harn der meisten Menschen im Normalfall sauer.

derStandard.at: Das heißt Übersäuerung im Körper ist gar nicht möglich?

Unger: Das hängt davon ab, wie man diesen Begriff definiert. Eine Übersäuerung des Blutes durch frei herumschwimmende Säuren gibt es nicht. Jede Säure, die ins Blut gelangt, wird sofort durch Bikarbonat neutralisiert und in die extrem schwache Säure Kohlensäure umgewandelt. Der pH-Wert sinkt dabei nur sehr diskret.

derStandard.at: Erkrankungen wie die Gicht oder Nierensteine beruhen demnach nicht auf zuviel Säure?

Unger: Bei der Gicht ist der Harnsäurespiegel im Blut erhöht. Ob eine Azidose die Entwicklung der Gicht fördert kann ich nicht beurteilen. Nierensteine können als Folge einer Azidose aber auftreten.

derStandard.at: Werden Säuren auch über die Haut ausgeschieden?

Unger: Ja und sie trägt zum erforderlichen Säuremangel der Haut bei. Hier geht es um florale Gesundheit – Professor Viernstein und ich haben 2004 ein Buch mit diesem Titel herausgegeben. Dieser Begriff beschreibt im Wesentlichen, dass ein schwach saurer pH an bestimmten Körperstellen wie auf der Haut, im Mund oder in der Vagina für die meisten Bakterienarten sehr ungünstig ist. Die meisten Pilze und Bakterien wachsen im Neutralbereich besser. Daher ist der saure pH ein effizienter Schutz vor eindringenden Erregern.

derStandard.at: Basenhältige Kosmetika sind demnach eher schädlich?

Unger: Heute rät jeder Mediziner ab Seife zu verwenden, um den Säuremantel der Haut nicht zu zerstören. Basische Körperpflege beruht auf der irrigen Annahme dass die Säure der Haut schadet.

derStandard.at: Was bringen basische Nahrungsergänzungsmittel?

Unger: Es gibt Situationen, wo hin und wieder ein Löffel Basenpulver hilfreich sein kann. Zum Beispiel bei alten Menschen und bei Menschen ,die eine säurebetonte Lebensweise haben. Bei jungen Menschen, mit gesunden Nieren und einer gesunden Leber, die sich normal ernähren und Bewegung machen ist die Nützlichkeit fraglich.

derStandard.at: Was versteht man unter einer säurebetonten Lebensweise?

Unger: Menschen, die viel Fleisch essen, rauchen, viel Alkohol konsumieren und wenig Bewegung machen, leben säurebetont. Alkohol wird in der Leber zu Acetaldehyd und Essigsäure abgebaut. Bei großen Mengen Alkohol kann diese Säurebildung eine Rolle spielen. Stress ist ebenfalls säurebildend.

derStandard.at: Was ist mit säurehältigen Nahrungsmitteln?

Unger: Hier sind die Informationen sehr verwirrend. Laien glauben natürlich, dass Äpfel oder Zitronen Säurespender sind. Beide sind Basenspender, denn es geht immer darum, was daraus im Stoffwechsel entsteht. Äpfel enthalten Kaliumsalze von Fruchtsäuren, und diese bewirken im Organismus die Basenbildung.

derStandard.at: Das heißt die Wirkung der Nahrungsmittel auf den Säure-Basen-Haushalt wird nicht nur überbewertet sondern die Informationen welche Lebensmittel basisch und welche säurebildend sind, sind schlichtweg falsch?

Unger: Die Informationen sind vielleicht nicht falsch, aber meist zu wenig bekannt. Natürlich entsteht im Körper durch fleischhältige Mischkost ein gewisses Ungleichgewicht im Säure-Basen-Haushalt, aber der Körper ist gut dafür ausgerüstet dieses zu beheben. Am besten lebt man möglichst stressfrei.

Aber die Behauptung jegliche Säure im Organismus ist gefährlich und ungesund ist so nicht richtig. An vielen Orten im Körper braucht man Säure. Wenn man generell versucht Säuren mit Basen nieder zu prügeln, dann schadet man sich mehr, als man sich nützt.

derStandard.at: Man kann sich mit Basenpulver schaden?

Unger: Ja. Mit einer einfachen Methode kann man das festzustellen. Der Harn muss bei normaler Mischkost immer schwach sauer bleiben. Liegt der pH-Wert im Harn über 7,4, dann bedeutet das, dass die Nieren überschüssige Basen ausscheiden. Daher lautet die Empfehlung der Produzenten von Basenpulver immer, viel zu trinken. Sonst bleibt im Blut zu viel Bikarbonat und es entsteht eine Alkalose, eine Abweichung des Blut-pH-Wertes nach oben.

derStandard.at: Kann das lebensbedrohlich sein?

Unger: Nein, mit Basenpulver kann man sich wahrscheinlich nicht umbringen. Man kann aber im Vaginalbereich Schaden anrichten, wenn man wenig trinkt. Vegetarierinnen haben immer einen basischen Harn. Die Schutzfunktion der Säure in der Blase und in den Harnwegen geht hier verloren. Auf diese Weise bekommt man leichter einen Harnwegsinfekt.

derStandard.at: Was beinhaltet Basenpulver?

Unger: Entweder Bikarbonat oder Salze von Fruchtsäuren, wie sie auch in Obst und Gemüse enthalten sind. Die Zusammensetzung von Basenpulver und Basendrinks ist sehr unterschiedlich. Wenn Natriumbikarbonat enthalten ist, wird die Magensäure neutralisiert und als Reaktion wird sofort neue Magensäure gebildet um den pH-Wert im Magen konstant zu halten. Natürlich ist es besser diese Mineralstoffe in Form von Obst und Gemüse aufzunehmen, weil diese auch Vitamine und lösliche Faserstoffe enthalten.

derStandard.at: Was ist Basenfasten?

Unger: Basenfasten ist keine schlechte Idee. Eine Variante ist säurebildende Nahrungsmittel wie Fleisch, Fisch oder Käse wegzulassen. Fasten und Hungern führen zur Säurebildung. Bei Abbau von Fettgewebe bilden sich aus Fettsäuren bestimmte Säuren, die als Ketonkörper bezeichnet werden und Bikarbonat verbrauchen. Um diese Ansäuerung durch die Ketonkörper auszugleichen, kann man beim Basenfasten zusätzlich Basen zuführen.

derStandard.at: Was versteht man unter Basenfasten mit Schüßler Salzen?

Unger: Schüßler Salze enthalten ebenso wie Basenpulver unterschiedliche Mineralstoffe und Spurenelemente. Die meisten Institute, die Fastenprogramme anbieten, empfehlen gleichzeitig viel Tee zu trinken. Oft wird zusätzlich Zitronensaft hineingegeben. Ein basenspendendes Getränk, das dazu dient die anfallenden Ketonkörper zu neutralisieren. Man kann natürlich zusätzlich auch basenspendende Nahrungsergänzungsmittel nehmen. Inwieweit das notwendig ist, kann ich nicht beurteilen.

derStandard.at: Soll man generell mehr basen- oder mehr säurebildende Nahrungsmittel essen?

Unger: Basenbetonte Ernährung wäre optimal. Viermal soviel Basenspender wie Säurespender. Leider herrscht auch hier Verwirrung welche Nahrungsmittel säure- beziehungsweise basenspendend sind. Kaffee beispielsweise wird als Säurespender verteufelt, ist aber eigentlich schwach basenbildend. Die im Kaffee enthaltenen Röststoffe fördern zwar im Magen mancher Leute die Magensäuresekretion. Das kann beispielsweise Sodbrennen verursachen. Die Säurebildung erfolgt aber im Magen und nicht im Blut. Dort findet sich im Gegenteil die Base Bikarbonat.

derStandard.at: Warum vorwiegend ist basisch optimal?

Unger: Basenbildende Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse besitzen einen hohen Gehalt an löslichen Faserstoffen. Diese sind die Voraussetzung für eine gesunde Darmflora, denn sie ernährt sich von diesen unverdaulichen Kohlenhydraten. Sie ist nicht dafür ausgerüstet, das säurespendende Nahrungsmittel Fleisch zu verdauen.

derStandard.at: Im Juli 2007 erscheint ein Buch, dass Sie gemeinsam mit Professor Viernstein geschrieben haben: 'Mein Körper in Balance'. Worum geht es in diesem Buch?

Unger: Wir haben mit diesem Buch versucht, einige gängige Missverständnisse zu bereinigen und für Laien verständlich zu erklären, was tatsächlich im Körper passiert und welche Nahrungsmittel Basen- oder Säurespender sind. (Das Interview führte Regina Philipp, derStandard.at, 21.2.2007)