Dass sie es ja selbst waren, die ursprünglich die Grundlagen für das irakische Desaster schufen, bekommen die im Irak engagierten Briten immer wieder zu hören. Auch Toby Dodge, britischer Irak-Experte (?Inventing Iraq. The Failure of Nation Building and a History Denied?), sieht die Wurzeln des späteren repressiven Irak und des heutigen Chaos von Gewalt und Korruption schon im von Großbritannien als Hybrid zwischen Monarchie und Kolonie nach 1920 aus drei osmanischen Provinzen zusammengestoppelten Staat.

An dem (aus der alten britischen Botschaft in die Internationale Zone transferierten)Tisch, an dem Gertrude Bell die Grenzen des Irak mit dem Lineal zog, empfängt heute der britische Botschafter in Bagdad seine Gäste. Dem Klischee ihrer tiefen Kenntnis von Land und Leuten zuwider begingen die Briten damals fundamentale Fehler im Umgang mit der fraktionierten irakischen Gesellschaft. Sie marginalisierten und straften all jene ab, die ihnen etwas entgegenzusetzen versuchten (übrigens mangels militärischer Stärke auf dem Boden mithilfe der Luftwaffe) und verliehen einer Klasse von kooperierenden sunnitischen Scheichs weit reichende Vollmachten.

Große Verlierer

Zu den großen Verlierern gehörte neben den Kurden die Bevölkerungsmehrheit der irakischen Schiiten. Dennoch ließ sich 80 Jahre später, nach der von Premier Tony Blair mit fast religiösem Eifer unterstützten Invasion 2003, die britische Militärpräsenz im mehrheitlich schiitischen Südirak ganz gut an.

Das wurde oft romantisierend der britischen Irak-Expertise und dem im Vergleich mit den USA weniger aggressiven Stil im Umgang mit der Bevölkerung zugeschrieben. Das mag zum Teil stimmen, vor allem jedoch gab es mangels organisierter Sunniten dort keinen ?Aufstand?. Die Schiiten, Gewinner der Invasion, kooperierten oder hielten zumindest still.

Schiitisierung von Basra

Über die aggressive Schiitisierung der südlichen Hauptstadt Basra ? der Terrorisierung und Vertreibung der Sunniten und der Christen ? wurde nicht viel geredet. Seit 2006 hat sich jedoch die Sicherheitslage in Basra durch innerschiitische Konflikte dramatisch verschlechtert. Die Briten fanden sich zwischen den Fronten schiitischer Parteien und (oft tribal verwurzelter) Gruppen gefangen, die nicht nur um politische Macht, sondern vor allem um die Kontrolle der Ressourcen und der Einnahmen aus der Kriminalität (Ölschmuggel) kämpften. Diese Konflikte zwischen Akteuren, die man zum Teil durchaus mit den afghanischen Warlords vergleichen kann, verstärkten sich zuletzt angesichts der Pläne der größten schiitischen Partei, Sciri (Supreme Council of Islamic Revolution), die südlichen Provinzen zu einer Region zusammenzuschließen. Es geht darum, wer übrig bleibt.

Den Briten, die in Basra zurzeit eine große militärische Säuberungsoffensive durchführen, erging es jedoch nicht überall so schlecht wie in Basra. Schon seit Sommer 2006 werden Teile des Südens in die Kontrolle irakischer Truppen übergeben. Allerdings fielen sogar im relativ ruhigen Amara unmittelbar nach der britischen Übergabe zwei Milizen (Mahdi und Badr) übereinander her. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, Printausgabe 22.2.2007)