Ute Bock mit zwei Klienten des neuen Familienprojekts

Projektmanager Jürgen Stowasser: Gerade bei AsylwerberInnen aus den Bundesländern, die meist in privaten Pensionen untergebracht sind, "geht es schnell, dass einer rausfliegt, da die Pensionswirten nicht entsprechend ausgebildet sind und daher oft wenig Verständnis aufbringen".

Ein Familienvater, der sein eigenes Grab schaufeln musste, die Pistole im Nacken spürte, sah, dass andere erschossen wurden und selbst überlebte: Mit Schicksalen wie diesen sind die BeraterInnen des Vereins Ute Bock immer wieder konfrontiert. Es sind traumatisierte Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind - um hier erneut um das Überleben kämpfen zu müssen: "Rund tausend Asylwerber in Wien haben kein Dach überm Kopf", sagt Jürgen Stowasser, der organisatorische Leiter des Ute Bock-Familienprojekts, das vor kurzem ins Leben gerufen wurde.

Für diese Menschen ist Ute Bock die erste Ansprechpartnerin. "Jeden Tag kommen Leute und wollen, dass ich ihnen einen Platz zum Wohnen gebe. Die warten so lange in der Schlange, dass sie sich eigentlich ein Bett mitnehmen sollten", klagt die Vereinsgründerin Ute Bock.

Familienprojekt

Während es dem Verein bisher vor allem darum ging, den Menschen ein Dach über dem Kopf, rechtliche Beratung und eine Zustelladresse für Postsachen zu bieten, geht das Familienprojekt darüber hinaus: Jene Eltern mit Kindern, die vor Kriegsgräueln und Folter geflüchtet sind, von diesen Erfahrungen aber noch heute psychisch verfolgt werden, sollen nun auch psychosozial betreut werden.

"Besonders unter den AsylwerberInnen, die keine Grundversorgung erhalten, gibt es sehr viele traumatisierte Menschen", sagt Stowasser. Das liege daran, dass "Menschen mit Traumaerfahrungen eben oft ‚schwierig' sind". Und gerade bei AsylwerberInnen aus den Bundesländern, die meist in privaten Pensionen untergebracht sind, "geht es schnell, dass einer rausfliegt, da die Pensionswirten nicht entsprechend ausgebildet sind und daher oft wenig Verständnis aufbringen".

Rund 20 Familien

Zurzeit betreut das Projekt rund zwanzig Familien, acht davon sind in Ute Bock-Wohnungen untergebracht, andere leben in Heimen, ein Teil ist obdachlos. Der Großteil ist aus der Kaukasus-Region, vor allem Tschetschenien, geflüchtet. Psychologische Betreuung ist nur ein Teil des Programms – zu einer nachhaltigen Traumabewältigung gehöre aber mehr als das, betont Anita Buder, Kleinkind-Pädagogin im Familienprojekt: "Psychologische Hilfe kann nicht viel bewirken, wenn ich mich ständig fragen muss: Wann kriege ich wieder etwas zu Essen, wo schlafe ich nächste Nacht, was ist, wenn ich krank werde?" Beim Projekt gehe es vielmehr darum, den Betroffenen "ein Umfeld der Sicherheit zu bieten – Verpflegung, medizinische Versorgung, soziale Kontakte".

Die Idee war während eines Sommercamps für Flüchtlingskinder entstanden. "Da gab es Probleme mit einem tschetschenischen Mädchen, das massive Konflikte mit ihrem Vater hatte", erzählt Stowasser. Bei näherem Hinschauen stellte sich heraus, dass die Zwölfjährige ihren jüngeren Geschwistern Mutter, ihrem Vater Hausfrau sein musste – die Mutter war im Krieg verschleppt und getötet worden. "Das Mädchen hat sich uns am Camp anvertraut. Sie kam mit dieser Verantwortung überhaupt nicht zurecht", sagt Stowasser. "Da erkannten wir, dass wir auf gewisse Probleme in der reinen Flüchtlingsberatung gar nicht draufkommen können."

Eigene Kinderbetreuung

Kinder werden im Familienprojekt eigens betreut. Zu den Ausflügen in den Zoo Schönbrunn, den Nachmittagen im Kindercafè Lolligo und den Spielfesten sind AsylwerberInnen-Kinder aus ganz Wien eingeladen. "Die Kinder haben alle eine schlimme Vergangenheit", sagt Buder. "Hier leben sie in der ständigen Unsicherheit, ob sie dableiben können, und sie merken immer wieder, dass sie in Wien nicht gerade erwünscht sind."

In der Gruppe sollen sie sich sicher fühlen. Und letztlich gehe es auch darum, dass positive Erinnerungen an Wien und den Aufenthalt in Österreich übrig bleiben sollen: "Wenn die Kinder einmal abgeschoben werden, sollen sie im Ausland erzählen können: ‚Ich war drei Jahre lang in Wien und habe dies und das gesehen, und dieses und jenes war super'".

Eintritte, Fahrkarten, Verpflegung der Kinder sowie Buders Teilzeitjob sind von der Stiftung Kindertraum und der Investcredit Bank gesponsert worden, die Rahmenfinanzierung des Projekts kommt von der Hausbetreuungsfirma Attensam. Der tatsächliche Bedarf sei aber weit höher: "Unser Verein bewegt sich ständig am finanziellen Abgrund. Die öffentliche Hand wird in der Asylbetreuung aber kaum aktiv", erklärt Stowasser, "wir sind auf Sponsoren angewiesen."

Wohnraum stiften

Erstes Ziel sei, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Und mittelfristig solle die Betreuung nicht mehr nur Familien, sondern auch Einzelpersonen zugute kommen. Der Verein biete Menschen und Unternehmen, die sich sozial engagieren möchten, konkrete Fördermöglichkeiten an: "Mit einer Spende von nur 250 Euro im Monat könnte man bereits einer fünfköpfigen Familie Wohnraum stiften." (Maria Sterkl, derStandard.at, 28.2.2007)