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Die Paragraphen zur Namens- und Scheinehe stellten einen Baustein in der "völkischen" NS-Ideologie dar.

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Der Begriff der Scheinehe ist eine Erfindung des Nationalsozialismus, argumentiert der deutsche Rechtswissenschafter Jens Eisfeld. Er rollt in seiner Dissertation die Geschichte der instrumentalisierten Ehen im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts auf und verweist auf die Gefahr der Ideologisierung des Eherechts.

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Die "instrumentalisierte Ehe", also die Ehe als "Mittel zum Zweck", ist vermutlich so alt wie die Ehe selbst; sie entstand, als Gesellschaften mit der Institution der Ehe Vorteile verknüpften. Hinweise auf das Problem sind bereits aus der römischen Rechtsgeschichte bekannt, schreibt der Rechtswissenschafter Jens Eisfeld in seiner Dissertation zur Scheinehe. Er selbst konzentriert sich jedoch auf die Scheinehe in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Die Scheinehe in der heute diskutierten Form – als Aufenthalts- oder Staatsbürgerschaftsehe – sei eine "Erfindung der nationalsozialistischen Gesetzgebung", so Eisfeld.

Im 19. Jahrhundert wurde zwar über die Wirksamkeit so genannter "Simulationsehen" gestritten, "allerdings ging es hier – mangels konkreter Fälle – eher um ein theoretisch-dogmatisches denn um ein tatsächliches Problem der Rechtspraxis", erklärt Jens Eisfeld im derStandard.at-Interview. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, ob die bloßen Willenserklärungen der EhepartnerInnen denn ausreichen, um eine Ehe zu begründen. Das verneinten einzelne Rechtswissenschafter Ende des 19. Jahrhunderts: Sie forderten ein Verbot der Simulationsehe – diese "widerspreche dem Wesen der Ehe". Doch der Gesetzgeber entschied sich gegen einen derartigen Ehe-Nichtigkeitsgrund, um ein Schlupfloch im Scheidungsrecht zu vermeiden: Sonst wären "Ehen auf Zeit" und Konkubinate denkbar gewesen. Damit wurde das so genannte "formale Konsensprinzip" der Ehe festgeschrieben: Die Willenserklärung der Eheleute alleine war ausschlaggebend; wie sie ihre Ehe lebten, blieb ihnen überlassen.

Nur vom Mann auf die Frau

Bei der im 19. Jahrhundert und bis in die 1930er-Jahre diskutierten Simulationsehe ging es jedoch nicht um die heute vorherrschende Scheineheform der Aufenthaltsehe, so Eisfeld, da einem Ausländer in Deutschland kein selbständiges Aufenthaltsrecht zustand. "Jede Aufenthaltsehe war daher zugleich auch Staatsangehörigkeitsehe. Staatsangehörigkeitsehen waren jedoch für männliche Ausländer zu dieser Zeit sinnlos, da die deutsche Staatsangehörigkeit nur von einem deutschen Ehemann auf eine ausländische Ehefrau übertragen werden konnte."

Häufiger tauchen in der Literatur nur noch Namensehen auf – also Ehen, durch die Adelsbezeichnungen wie Freiherr, Graf oder Fürst übertragen werden sollten. Auch hier konnte der Adelstitel nur vom Mann auf die Frau übertragen werden, nicht umgekehrt. Der durch Namensehen erworbene Adel wurde als "Scheinadel" bezeichnet.

"Aufnordung" des Adels

Die Deutsche Adelsgenossenschaft (DAG) hatte zwischen 1918 und 1933 einen zunehmend aggressiven Antisemitismus vertreten. Unter Hitler nahm die DAG die Namensehen zum Anlass, sich beim Nationalsozialismus anzudienen. An den Namensehen seien, so die (unzutreffende) Begründung der DAG, vor allem Juden beteiligt. Die Verhinderung oder nachträgliche Aufhebung von Namensehen sei daher für eine "rassische Aufnordung" des deutschen Adels unbedingt notwendig. Einem "gereinigten" Adel könne dann – so träumte die DAG – eine Führungsrolle im nationalsozialistischen Deutschland nicht mehr versagt werden.

Vertreter der DAG wurden deshalb im Jahr 1933 bei Hitler vorstellig und überreichten ihm eine "Denkschrift", die vor der "rassischen Gefährdung" des Adels durch Namensehen warnte. Um eine "Reinheit des deutschen Adels" zu gewährleisten sei es auch nötig, die DAG in Entscheidungen über die Führung eines Adelstitels einzubeziehen.

Namensehen für nichtig erklärt

Letzteres wiesen Hitler und der Reichsjustizminister Franz Gürtner von sich: Sie hatten keiner Interesse an Sonderrechten des Adels. Doch der Forderung nach einem Verbot der Namensehe kamen sie nach – allerdings müsse dieses Verbot der Scheinehe, forderte Gürtner, für alle, nicht nur für den Adel gelten. Der entsprechende § 1325a BGB wurde schon 1933 eingeführt: "Eine Ehe ist nichtig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zwecke geschlossen ist, der Frau die Führung des Familiennamens des Mannes zu ermöglichen, ohne daß die eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden soll."

"Die eheliche Lebensgemeinschaft, zu deren Begründung die Eheleute vorher nur dem jeweils anderen gegenüber verpflichtet waren, wurde durch das Ehehindernis der Namensehe zu einer staatlich kontrollierten Ehevoraussetzung", schreibt der Rechtswissenschafter. Damit wurde die Ehe entprivatisiert – der Paragraph der "Namensehe" leistete so einen wichtigen Beitrag zur Begründung eines völkischen und rassistischen Eherechts. Die Literatur zu diesem Paragrafen betonte seine "erbpflegerische" Bedeutung: "Die ohne den Willen zur Lebensgemeinschaft geschlossene Ehe verfehlt den Hauptzweck der Ehe, die Erzeugung von Nachwuchs; ihr erbbiologischer Unwert liegt auf der Hand", schrieb beispielsweise der Jurist Franz Maßfeller 1935.

"Unsittliche Ehen"

1938 wurde das Verbot der Namensehe bei der Einführung des Ehegesetzes durch das der Staatsangehörigkeitsehe ergänzt. Dies war nötig geworden, da es das Reichsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 1938 ablehnte, das Verbot der Namensehe auf andere Formen "unsittlicher Ehen" umzulegen. Nach einem Streit zwischen Justizminister und Reichsgericht wurde daher das Eherecht um das Verbot der Staatsangehörigkeitsehe erweitert.

Die amtliche Begründung zum Ehegesetz rechtfertigte dies auch mit dem Wunsch "österreichischer Stellen": "In Österreich sei es häufig vorgekommen, daß unerwünschte Ausländerinnen eine Formehe eingingen, um durch den Erwerb der österreichischen Staatsangehörigkeit die Möglichkeit zu einer beruflichen Niederlassung in Wien zu erhalten’ ", zitiert Eisfeld die amtliche Begründung zum Ehegesetz in der Zeitschrift "Deutsche Justiz".

Tatsächlich hatten sich die meisten österreichischen Behörden in einer entsprechenden Umfrage gegen die Sanktionierung von Scheinehen ausgesprochen. Grund für die ablehnende Haltung war vor allem die schwierige Beweislage. Die Nationalsozialisten kümmerten derartige Bedenken jedoch nicht; ihnen kam das angebliche Scheineheproblem gerade recht, um die Ehe mit einem staatlich sanktionierten "Zweck" zu versehen: "Es ging hier um die rassisch-völkische Ideologisierung des Eherechts", erklärt Eisfeld.

Juden und Jüdinnen bereits ausgegrenzt

Juden und Jüdinnen waren von dem Verbot der Staatsangehörigkeitsehe nicht mehr betroffen – sie waren bereits 1935, durch die Nürnberger Gesetze, vollständig aus dem "Volkskörper" ausgegrenzt worden. Davor hatte das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933 das wirksamste Instrument der Nazis dargestellt, um Juden zu diskriminieren und Ehen zwischen Deutschen und Juden möglichst zu verhindern: JüdInnen und ihren EhepartnerInnen wurde über dieses Gesetz der Zugang zum öffentlichen Dienst verweigert; alle BewerberInnen für den öffentlichen Dienst mussten nachweisen, dass die Eltern ihrer EhepartnerInnen Arier waren. Wer einen Juden oder eine Jüdin geheiratet hatte, wurde entlassen. Es folgten Diskriminierungen für die Berufsgruppen der Ärzte, Soldaten, Juristen, Journalisten. 1934 wurde ein Beförderungsverbot für alle Angestellten erlassen, die mit JüdInnen verheiratet waren.

Das Eherecht war zwar noch nicht geändert, doch Anwälte und Gerichte begannen schon 1933, die Gesetze im Sinne der Machthaber umzudeuten, beschreibt Nathan Stoltzfus in seinem Buch "Widerstand des Herzens": "Einige Richter stellten die radikale Behauptung auf, daß Mischehen mit der Begründung verhindert werden könnten, daß die Reinerhaltung deutschen Bluts ein ‚bindendes Rechtsprinzip’ sei. Heißumstritten war die Frage, ob ein Paar sich einzig und allein deswegen scheiden lassen könne, weil ein Partner arisch und der andere jüdisch war."

Umso schneller vor den Altar

Einige Paare, so Stoltzfus, waren dem Druck des Regimes und der Gesellschaft nicht gewachsen und ließen sich zwischen 1933 und 1935 scheiden. Zum Ärger des Staates reagierten jedoch andere jüdisch-deutsche Liebespaare auf die Ankündigung eines Verbotes der Mischehen damit, dass sie möglichst schnell vor den Altar traten. Dies war allerdings mit Schwierigkeiten verbunden, da sich immer mehr Standesbeamte weigerten, Ehen zwischen "gemischten" Paaren zu trauen.

Mit dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze im Jahr 1935 war der Rassenwahn juristisch festgeschrieben und ein großer Schritt in Richtung Holocaust getan. Heiraten zwischen als "Juden" und als "Deutschen" konstruierten Menschen waren verboten, der Geschlechtsverkehr wurde zum Verbrechen. Bereits bestehende eheliche Verbindungen zwischen Deutschen und Juden, in der rassistischen Nazi-Terminologie als "Mischehen" oder "gemischtrassige" Paare bezeichnet, wurden zwar nicht aufgelöst, die Paare wurden aber in vielerlei Hinsicht benachteiligt, verfolgt und unter Druck gesetzt. Dennoch leisteten, wie Stoltzfus in seinem Buch anhand von einzelnen Biographien beschreibt, jüdisch-deutsche Paare die ganze Zeit des Nationalsozialismus hindurch einen heldenhaften "Widerstand des Herzens" – bis hin zu einer Demonstration von Frauen in der Berliner Rosenstraße vor dem Gestapo-Hauptquartier im Jahr 1943.

Alliierter Kontrollrat reformierte das Ehegesetz

Nach der NS-Diktatur schaffte der Alliierte Kontrollrat in Deutschland das Ehehindernis der Staatsangehörigkeitsehe ab: Im reformierten Ehegesetz von 1946 wurde nur noch die Namensehe als Ehe-Nichtigkeitsgrund angeführt; 1976 wurde dann auch diese Bestimmung aufgehoben. Ab Ende der 70er-Jahre weigerten sich jedoch – vor dem Hintergrund eines zunehmend ausländerfeindlichen politischen Klimas – viele StandesbeamtInnen, bei offensichtlichen Aufenthaltsehen mitzuwirken. Die Zivilgerichte gaben den BeamtInnen mehrheitlich recht. Begründet wurde dies laut Eisfeld mit dem ungeschriebenen Grundsatz vom Verbot des Rechtsmissbrauchs, der bereits im Nationalsozialismus zur Rechtfertigung der Scheinehevorschriften herangezogen worden war.

Ein Rechtsmissbrauch wurde angenommen, wenn "die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft von den Aufgebotsbewerbern nicht beabsichtigt wird, sondern deren Verhalten nur darauf abzielt, einem Beteiligten unter Umgehung der geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen die Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen". Das "formale Konsensprinzip" war damit aufgegeben: Man sah nun nicht mehr nur den Willen zur Eheschließung als ausschlaggebend an, sondern auch die Absicht zur Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft und eines "engen, partnerschaftlichen Verhältnisses, das auf gegenseitiger Liebe und Achtung beruht", zitiert Jens Eisfeld das Amtsgericht Freiburg aus dem Jahr 1981.

Abschaffung der Scheinehe-Bestimmung gefordert

1998 wurde der Ehenichtigkeitsgrund der Scheinehe wieder in das deutsche Recht aufgenommen. Von einer erneuten Ideologisierung des Eherechts könne man zwar nicht sprechen, so Eisfeld: "Der Eheaufhebungsgrund der Scheinehe wird in der Rechtssprechung nur sehr zurückhaltend angewandt." Dennoch fordert er die Abschaffung der Scheinehe-Bestimmung: Die Geschichte hätte gezeigt, welche Gefahr in der "Öffnung des Eheschließungsrechts für staatliche Ehezwecksetzungen" liege, sagt der Rechtswissenschafter im derStandard.at- Interview . (Heidi Weinhäupl, derStandard.at, 27. 2. 2007)