Das Café Drechsler am Naschmarkt nach dem Conran-Facelift: Souverän, wie die tot geglaubte Institution für das 21. Jahrhundert fit gespritzt wurde

Foto: Gerhard Wasserbauer

Gute Wiener Küche der unrenovierten Art!

Fotos: Gerhard Wasserbauer

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Alles musste anders werden, damit es so bleiben kann, wie es war. Oder so ähnlich. Als das Café Drechsler nach dem Sommerurlaub im vorvergangenen Juli einfach nicht mehr aufsperrte und wenig später ein "Zu vergeben"-Schild an der Tür hing, hätte wohl kaum jemand eine Lokalrunde verwettet, dass diese erste Instanz am Naschmarkt, das legendäre Café mit den abstrusen Öffnungszeiten (03-20 Uhr), noch irgendwie zu retten sei. Zu speziell war die Symbiose, die Cafetier Engelbert Drechsler und seine aus allen Schichten zusammengewürfelten Gäste eingegangen waren; zu sehr war die grindige Atmosphäre mit der unfassbar versifften Blumentapete, den allzeit für einen feuchten Eindruck guten, durchgesessenen Skai-Bänken und dem leicht ranzigen Duft von gebratenem Speck mit der Person des Hausherren verwoben, der, stets mit bestem Schuhwerk versehen, sein Lokal an jedem Markttag um drei Uhr früh aufsperrte, um Standler, Marktfahrer und allerlei bettscheue Gestalten mit Frühstück und Alkohol zu versorgen - so wie es davor der Vater und davor der Großvater getan hatten. Ohne Grind und Skai Das alles war einzigartig, mit solchem Mythos aufgeladen, dass ein Wiedergänger unvorstellbar schien - und dennoch hält das Drechsler seit Donnerstag vergangener Woche wieder geöffnet, fast rund um die Uhr und ohne, dass der Nostalgie-Kamarilla viel Grund zum Raunzen bleibt. Okay, Grind und Skai sind verschwunden (na geh!), gleichzeitig aber wurde der Retro-Retorte, der schon etliche "Original Wiener Kaffeehäuser" entschlüpft sind, ordentlich eine vor den Latz geknallt.

Was den Betreibern und Innenarchitekt Terence Conran zu verdanken ist. Die Renovierung hat die Substanz samt Tischen, Stühlen, Spiegel, Lampen und Lamperie bewahrt, die Anordnung der (nunmehr gelederten) Bänke beibehalten. Der Boden wurde wieder mit Linoleum ausgelegt, eine massiv marmorne Bar in den unteren Saal gestellt, die Küche verlegt und dafür ein diskretes Hinterzimmer mit mächtigen Tom-Dixon-Lampen und feiner Tapezierung geschaffen, das wie gemacht für spätnächtliches Versumpern scheint.

Ein Grund Danke zu sagen

Am besten sind jedoch die schmalen Teller in hinreißend altmodischem Design - und das, was darauf Platz findet: Beglückend unrenovierte Wiener Küche, souverän zubereitet und großzügig dimensioniert, von der kraftstrotzenden Frittatensuppe mit reichlich wild zerschnipselten, hauchdünnen Palas über die mit ordentlich angeschwitzter Zwiebel gebratenen Eiernockerl (ein alter Drechsler-Klassiker), den sehr guten Salat dazu, bis zum Wiener Backfleisch (Rostbraten mit köstlich viel Senf beschmiert und nach Pariser Art paniert). Beuschel, Gulasch, Sacher- oder Pusztawürstel, mit Saft oder Senf und Kren: Auch die wichtigen kleinen Speisen machen Freude. Dazu gibt es Ottakringer (Helles oder Zwickl, kein Pils!), noch besser fährt man freilich mit den prächtigen Hausweinen um gerade mal € 1,30 das Achtel oder € 10,40 der Liter: Grundehrliche, überaus trinkfreudige Tropfen von Gerald Unger (Blaufränkisch) und Josef Kührer (GV). Und der Kaffee, eine Hausröstung von Naber, ist selbstredend auch tadellos. Die Stadt hat allen Grund, Danke zu sagen. (Severin Corti/Der Standard/Rondo/23/02/2007)