"Jetzt kommt das Werkl erst so richtig ins Rennen", glaubt Seniorenbundchef Andreas Khol über die Arbeit der Großen Koalition im derStandard.at-Interview . Die Perspektivengruppe hält er für eine gute Sache. An die Homosexuellen-Ehe glaubt er dennoch nicht. Khol will nicht in die Rolle des "bösen Alten" schlüpfen, der vom Balkon aus das politische Geschehen kommentiert. Sein Sager über die "roten Gfrieser" tut ihm heute leid. Die Fragen stellte Gunther Müller.

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derStandard.at: Die große Koalition ist knapp 50 Tage im Amt und sie war bisher wenig überzeugend. Sind wir - um es mit Ihren Worten zu sagen - wieder in der Wüste Gobi angelangt?

Khol: Nein, sicher nicht. Man muss der Regierung hundert Tage Zeit geben. Der Start war sicher nicht so leicht, weil sich das Team erst bilden muss, die Menschen sich erst aufeinander einstellen müssen. Im vergleichbaren Zeitrahmen der schwarz-blauen Regierung haben wir jede Woche eine neue Reform in Angriff genommen. Das war aber erstens unter einem großen Außendruck und zweitens weil man ein gemeinsames Projekt leichter zustande gebracht hat, weil sich beide Parteien auf einer Linie befunden haben. Das jetzt ist viel schwieriger, weil die SPÖ sieben Jahre in Opposition war. Deshalb haben sie meine vollste moralische Unterstützung.

derStandard.at: Das heißt in den nächsten 50 Tagen wird sich einiges ändern?

Khol: Es wird jetzt Schritt auf Schritt gehen, die Budgeterstellung ist im Augenblick die Hauptaufgabe, es wird wieder ein Zwei-Jahres-Budget werden. Im Zuge der Budgeterstellung gibt es Beleitgesetze, die erarbeitet werden müssen. Jetzt kommt das Werkl erst so richtig ins Rennen.

derStandard.at: Trotzdem wird eine Große Koalition nie so viel erreichen wie man sich erwünscht. Wäre es nicht an der Zeit, über eine Reform des Wahlsystems in Richtung eines Mehrheitswahlrechtes nachzudenken?

Khol: Ich bin ein überzeugter Gegner des Mehrheitswahlrechtes. Das ist ein Vorschlag von Romantikern. Der Realist weiß, dass ein Mehrheitswahlrecht in Österreich Vertretungsmängel mit sich bringt. Es werden ganze Bundesländer im Nationalrat nicht ausreichend vertreten sein. Das heißt, dass es für ganz Tirol nur einen einzigen sozialdemokratischen Abgeordneten gibt und keinen einzigen Grünen. Das gleiche gilt für Vorarlberg, oder wenn es in Wien mit ganz wenigen Ausnahmen nur Sozialdemokraten gibt - das bringt Polarisierung und wir haben das nicht notwendig. Selbst in Ländern, die schlecht regiert sind, wie etwa Italien, hat das Mehrheitswahlrecht überhaupt nichts gebracht. Österreich ist gut regiert und hat das nicht nötig. Die Reformen müssen woanders angesetzt werden.

derStandard.at: Stichwort Zukunft der ÖVP: Jetzt ist eine Perspektivengruppe geschaffen worden, die die ÖVP auf einen modernen Kurs bringen soll. Halten Sie das für notwendig?

Khol: Ja, es bedarf in jeder Partei immer neuer Personen. Es bedarf nicht neuer Grundsätze, aber man muss die Grundsätze auf die aktuellen Probleme der Gegenwart anwenden. Es ist immer gut wenn Leute mit frischen Augen und frischem Elan alles überprüfen, alles in Frage stellen. Die Grundsätze sind im Grundsatzprogramm drinnen. Und jetzt schaut man, was die Probleme der Gesellschaft heute sind und wie kann man sie anhand unserer Grundsätze lösen. Ich halte das für sehr wichtig. Als ich noch aktiver war habe ich mehrmals selber daran mitgearbeitet, bei den legendären Plänen zur Lebensqualität im Zukunftsmanifest in den 80er-Jahren, oder später an der Programmatik der schwarz-blauen Regierung: Neue Leute für neue Probleme, bewährte Grundsätze und frische Ideen das ist ein guter Mix.

derStandard.at: Eine "frische Idee" ist zum Beispiel die Aussage von Gesundheitsministerin Kdolsky, die die Homosexuellen-Ehe in der ÖVP für mehrheitsfähig hält?

Khol: Ich halte das nicht für ein neues Problem und nicht für eine neue Herausforderung. Die Problemstellung gibt es seit eh und je. Das was Frau Kdolsky gesagt hat ist, dass man die Rechtsverhältnisse zwischen erwachsenen Menschen, die zusammen leben wollen, mit einem Notariatsvertrag regeln soll. Da hab ich nichts dagegen, das ist aber schon von Heinrich Neisser vor 10 Jahren vorgeschlagen worden. Ich sage, dass man die Alltagsdiskriminierung beenden soll.

derStandard.at: Und die Ehe?

Khol: Die Ehe sollte man in Ruhe lassen. Die Ehe ist die Ehe ist die Ehe.

derStandard.at: Gertrude Aubauer hat in einem derStandard.at-Interview gesagt sie hätte auch gern Karl Heinz Grasser in der Perspektivengruppe haben möchte. Sie auch?

Absolut. Er war einer der besten Finanzminister der zweiten Republik, ich hätte ihn auch gern wieder als Finanzminister gesehen. Ich habe persönlich nichts gegen ihn. Im Gegenteil. In meiner zeit als Nationalratspräsident bin ich immer wieder kritisiert worden, weil ich ihn unterstützt habe. Das habe ich aber aus voller Überzeugung getan.

derStandard.at: Als es um den Parteivorsitz ging haben Sie ihn aber nicht unterstützt?

Khol: Da ging es um ein Prinzip. Ich sitze seit 1973 am Bach der ÖVP und habe furchtbare Zeiten vorbeischwimmen gesehen. Ich wollte die Errungenschaft der Ära Schüssel sichern: Parteiführung und Führung des Regierungsteam in einer starken Hand ist, Eine Zweierspitze hätte unweigerlich zu einer Zwei-Firmentheorie geführt, ich kann mich an den Schleinzer-Koren-Streit erinnern. Ich wollte einfach einheitliche Führung sichern, Es hat eben innerparteilich verschiedene, aber durchaus vertretbare Meinungen gegeben.

derStandard.at: Was ist derzeit Ihre Rolle in der ÖVP?

Khol: Ich bin Obmann der mitgliederstärksten Teilorganisation, Interessensvertreter, arbeite in den verschiedenen Arbeitsgruppen mit. Mit Franz Fiedler bin ich für die neue Verfassung zuständig. Langsam wachse in die Rolle des elder statesman. Ich habe mir geschworen meine Partei nicht vom Balkon herunter hineinzukeppeln.

derStandard.at: Sind Sie zum Querdenker geworden?

Khol: Ich schreibe schon "quer". Ich weiß, wie schwer es ist Verantwortung zu tragen und Tagesentscheidungen zu treffen. Ich habe immer noch Zugang zur Partei, vor allem zu meinen Freunden Wolfgang Schüssel und Wilhelm Molterer. Was ich zu sagen habe sage ich ihnen persönlich. Die Rolle der zornigen Alten werde ich sicher nicht spielen.

derStandard.at: Was war Ihre größte politische Errungenschaft?

Khol: In der Politik arbeitet man immer im Team. Zu den größten Erfolgen zählt aber sicher die Einigung mit Italien im Südtirol-Streitfall, der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, die kleine Koalition, also die Reformen der Wende, auch wenn wir dafür später mit der Mehrheit bezahlen mussten. Aber wie gesagt: Allein kann man in der Demokratie nichts bewegen.

derStandard.at: Allein kann man aber Fehler machen. Was war Ihr größter politischer Fehler?

Khol: Ich schaue zufrieden auf meine Vergangenheit zurück. Ich habe manchmal Dinge zu scharf apostrophiert, da tun mir manche Dinge leid.

derStandard.at: Was tut Ihnen leid?

Khol: Die "Roten Gfrieser" tun mir leid. Das war nicht für die Öffentlichkeit gedacht, das war unbedacht in einem Unterausschuss gesagt worden, in dem Vertraulichkeit gilt.

derStandard.at: Im Moment scheint sich die SPÖ sehr gut mit der FPÖ zu verstehen. Zwischen Schwarz und Blau scheint das Verhältnis abgekühlt. Was sagen Sie zur aktuellen FPÖ?

Khol: Ich habe schon vor der Wahl meine höchst persönliche Meinung gesagt, dass Strache kein Partner ist und wie sich FPÖ derzeit präsentiert auch kein Partner ist. Ich denke, dass die FPÖ einen Entwicklungsprozess durchmachen wird müssen. Was ich im Moment sehe, das sind keine Jugendtorheiten: Wenn jemand mit 18 Jahren Wehrsportübungen macht, wenn einer - wesentlich reifer - die Niederlage der Deutschen Wehrmacht betrauert, dann sind das Menschen mit denen ich politisch nichts zu tun haben will. Ich bin stolz darauf, dass die FPÖ-Fraktion im Parlament bei den "standing ovations" nach meiner Abschiedsrede als einzige sitzen geblieben ist. Das betrachte ich als Ehre und Auszeichnung.

derStandard.at: Messen Sie nicht mit zweierlei Maß? Die FPÖ unter Jörg Haider hatte auch ein ungeklärtes Verhältnis zur Vergangenheit.

Khol: Wenn man die Geschichte sieht, dann weiß man dass die FPÖ zuerst mit der Dritten Republik, mit der Deutschtümelei und mit ihrer EU-Ablehnung wirklich außerhalb des Verfassungsbogens war und mit uns wieder hinein gekommen ist. Das heißt: Haider hat seine Partei verändert bevor er in die Regierung hineingekommen ist.

Er hat seinen Rand zum Nationalsozialismus geputzt, hat sich für die Europäische Union und die EU-Erweiterung ausgesprochen und seinen Ideen von der Dritten Republik abgeschworen. Der Verfassungsbogen war damals eine hilfreiche Figur und die Geschichte wird losgelöst von allen persönlichen Überlegungen - das so bestätigen. Die Freiheitlichen haben eine ordentliche Regierungsarbeit hingelegt. Man misst hier nicht mit zweierlei Maß. Ich billige jedem eine Lernfähigkeit zu, auch der FPÖ von heute. Und zur SPÖ: Die hat sich schon unter Kreisky und Sinowatz an die Freiheitliche Partei angenähert.

derStandard.at: Sie haben 2002 den barrierefreien Umbau des Parlaments beschlossen. Jetzt legt sich der zweite Nationalratspräsident Spindelegger gegen diesen Umbau quer. Was sagen Sie dazu?

Khol: Ich sage in der Sache dazu gar nichts. Ich war dankbar, dass mein Vorgänger Heinz Fischer mich nie öffentlich beurteilt hat. Nur so viel: Die Bauarbeiten sind eine heikle Sache und immer in der Populismusfalle, sodass es mein Prinzip war: Jeder Vorschlag wird vorher mit allen Klubobleuten abgeredet, damit bin ich gut gefahren. Meine damalige Stellvertreterin, Mag. Barbara Prammer, habe ich zur Verantwortlichen für den Bau gemacht, sie hat mir damals die Vorschläge vorbereitet, wir haben das dann mit allen Klubobleuten abgesprochen und dadurch ist nie ein Konflikt ausgebrochen. (derStandard.at, 27.02.2007)