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Viele hatten gewarnt, dass die Rekordfahrt chinesischer Aktien einmal ein Ende nehmen werde.

Foto: APA/EPA/Yonhap
Peking - Der Ökonom unter Chinas Politikern und Vizevorsitzende des Volkskongress, Cheng Siwei, warnte als Erster das Ausland. In Zeitungsinterviews während einer Konferenz in Dubai Anfang Februar stellte er lakonisch fest, dass 70 Prozent der viel gelobten chinesischen Aktien, die in Schanghai und Shenzhen täglich neue Rekordkurse erreichten, "nach ihrer Ertragslage und allen anderen Maßstäben nicht internationalen Standards entsprechen". In der derzeitigen Boomphase "laufen aber die Gehirne von Anlegern nun mal heiß. Jeder glaubt, nur gewinnen zu können."

Cheng konkretisierte seine Warnung vor "den Risiken" der sich "aufblasenden" Börse ein paar Tage später in China. Nur in 400 der insgesamt 1344 im A-Markt Chinas gehandelten Papiere, die er Mitte 2006 geprüft hatte, lohne es sich zu investieren. Alle anderen hätten "wenig oder keinen Wert".

Ein Jahr zuvor hatte er am 9. März in der Schanghaier Wertpapierzeitung drastisch vor der Schieflage der Aktienmärkte gewarnt und die Börse mit einem Elite-Internat verglichen: "Lasst die guten Kinder kommen und schmeißt die schlechten raus." Seine drastischen Worte ließen die Spekulanten zwar kurz aufschrecken, bremsten aber auf Dauer den scheinbar unaufhaltsamen Höhenflug der Spekulation nicht.

Ebenso wenig richtete Zentralbankchef Zhou Xiaochuan aus, der Finanzjournalisten nur wenige Tage vor dem Crash warnte, wie "kochend heiß doch die Aktien und Immobilien derzeit sind". Zhou verriet dabei nach Angaben der Kantoner Tageszeitung auch, dass sich die Zentralbank bewusst eine nüchtern geführte Diskussion wünscht, um wieder mehr Rationalität in das Thema der Wirtschaft Chinas zu bringen. Eine "solche Debatte hilft allen, zu erkennen, was bei uns richtig und was falsch ist".

"Schwarzer Dienstag"

Der inzwischen "chinesischer schwarze Dienstag" genannte Schock, von dem sich Chinas Börsen gestern wieder erholten, kommt fast wie bestellt und heilsam. Er zeigt zugleich der Welt, wie volatil das vermeintliche Wirtschafts- und Wachstumswunder Chinas ist, auf welch wackligen Fundamenten die Börsen mit ihren überwiegend noch Staatsunternehmen gehörenden Aktien ruhen und welche Mentalität chinesische Anleger treibt. Die sagen immer noch "wan gu piao" (Aktien spielen gehen), wenn sie an der Börse investieren wollen.

Dank der gelenkten Marktwirtschaft, Kapitalkontrollen und der Nichtkonvertibilität der Währung kann die Volksrepublik den "großen Kollaps",wie ihn Buchautor Gordon Chang seit Jahren falsch vorhersagt, bei ihren Börsen, Banken oder Immobilienfirmen vermeiden, gleichgültig wie groß die Blasen schlagen.

Chinas regulierte Aktienmärkte können rein technisch nicht ins Bodenlose fallen. Die Börsenordnung hat viele Netze gespannt.

Die Korrektur am Dienstag geht dennoch ans Eingemachte. Pekings Führung, die kommende Woche Rechenschaft vor dem jährlich zusammentretenden Volkskongress ablegt, strebt weg vom jahrzehntelangen Blindflug des Wirtschaftswachstums, bei dem so viele in soziale Ungerechtigkeit abstürzten und das Land Schindluder mit seinen Ressourcen, der Umwelt und regionalen Entwicklung trieb. Zu lange hat Pekings Propaganda Unsinn über das Land verbreitet und die Führung geschmeichelt geschwiegen, wenn das Ausland vom Wirtschaftswunder schwärmte.

"Wir sind noch lange nicht die viertgrößte Volkswirtschaft oder drittgrößte Handelsmacht der Welt", korrigieren chinesische Forscher einige der Mythen des China-Hype im Westen wie bei sich zu Hause. Beim direkten Vergleich der Wirtschaftsstärke etwa wurden die Länder-Auslandsinvestitionen und Erträge nicht berechnet. Beim Noch-Habenichts China schlagen sie kaum zu Buche. China müsste daher auf Platz sechs stehen. Auch als Handelsmacht fällt es zurück, weil es als Werkbank der Welt alles für sich mitzählt, auch die Vorprodukte, die es für seine Auftragsarbeiten einführen muss. So kommt es auf riesige Handelsummen. Mit seinen Devisenreserven von über 1000 Milliarden Dollar rechnet sich Peking erst recht künstlich reich.

China zieht seine Schulden nicht ab und verschweigt, dass es mit einer nicht konvertiblen Währung ein Zwangsumtauschsystem für fast alle Deviseneinnahmen von Unternehmen und Dienstleistern unterhält.

China besitzt zudem kaum strategische Ölreserven und nur wenig Goldbestände – auch das ein Unterschied zu den Staaten des Westens. (Jonny Erling, Peking, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 01.03.2007)

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