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Das wuchtige Gebäude mit der grünen Kuppel, auf der Justitia ohne Augenbinde Waage und Schwert hochhält, hat die Weltkriegsbomben überlebt und fungiert bis heute als Schauplatz für alle Prozesse, welche die Nation bewegen.

Foto: Reuters/Toby Melville
London - Zuletzt schallten die Worte von Queen Elizabeth II. bisher im Herbst 2002 durch den Gerichtssaal Nummer eins in Londons berühmtem Schwurgericht Old Bailey. Damals von einem Gerichtsdiener verlesen, machte die kurze Erklärung Ihrer Majestät einem spektakulären Diebstahlsprozess den Garaus.

Mitten im Prozess gegen Paul Burrell, den Butler der verstorbenen Prinzessin Diana, hatte sich die Monarchin an eine Absprache mit Burrell erinnert. Demzufolge befanden sich achtzehn Handtaschen, ein gutes Dutzend Kleider, beinahe 200 Fotos, signierte CDs sowie ein klobiger Schreibtisch aus Dianas Nachlass rechtmäßig in des Butlers Besitz. Die sensationelle Gedächtnisleistung ersparte Burrell damals eine Strafe und der Monarchie weitere peinliche Enthüllungen.

Gestern, Dienstag, erinnerte nichts die 80-jährige Königin an den unschönen Prozess, der durch ihre Zeugenaussage beendet worden war. Elizabeth II. und Prinz Philip waren gekommen, um den Richtern und Gerichtsdienern zum 100. Geburtstag ihres Arbeitsplatzes zu gratulieren. Das wuchtige Gebäude mit der grünen Kuppel, auf der Justitia ohne Augenbinde Waage und Schwert hochhält, hat die Weltkriegsbomben überlebt und fungiert bis heute als Schauplatz für alle Prozesse, welche die Nation bewegen.

Vermeintliche Diebe sind dabei eher die Ausnahme. Normalerweise stehen hier Mörder wie der Yorkshire Ripper Peter Sutcliffe vor Gericht; bis zu ihrer Abschaffung wurde in dem holzpaneelierten Gerichtssaal auch gern die Todesstrafe verhängt, etwa gegen William Joyceder, der im Zweiten Weltkrieg von Deutschland aus Propaganda gegen sein Heimatland machte.

Düstere Geschichte

Die Adresse des Gerichtsgebäudes an der Newgate Street erinnert an die düstere Geschichte dieses Orts, an dem durchaus nicht immer Gerechtigkeit im Vordergrund stand. Seit dem 13. Jahrhundert diente Newgate als Hauptgefängnis der Stadt, war oft zum Bersten gefüllt mit vielerlei Schurken, beherbergte aber auch mancherlei Schuldlose.

Shakespeares Zeitgenossen Ben Johnson und Christopher Marlowe saßen hier ein. Der Quäker William Penn musste hier für seine religiösen Überzeugungen büßen, ehe er auswanderte und Pennsylvania gründete; auch Daniel Defoe ("Robinson Crusoe") gehörte zu den Gefängnisinsassen.

Immerhin kamen diese Berühmtheiten auch wieder frei. An dem geschichtsträchtigen Ort wurden aber auch Tausende von Untertanen der britannischen Majestäten geköpft oder "am Halse aufgehängt, bis sie tot sind", wie es in der blumigen Gerichtssprache hieß. Die aus dem Kinderlied "Oranges and Lemons" jedem kleinen Engländer bekannte "große Glocke von Old Bailey" erfüllte jahrhundertelang die düstere Funktion, den Verurteilten zum letzten Stündlein zu schlagen.

Bei Straßenunruhen wurde der schaurige Knast 1780 niedergebrannt, von der Regierung aber sofort wieder aufgebaut, sodass auch Casanova in den zweifelhaften Genuss eines Aufenthaltes kam "in dieser Hölle, die Dantes Vorstellungen wahrlich entspricht", wie er später schrieb. Mit dieser Vergangenheit hat der moderne Gerichtshof nichts mehr zu tun. Über dem Eingang prangt heute die Aufforderung, "die Kinder der Armen zu verteidigen und die Übeltäter zu bestrafen". Das Motto dürfte auch in 100 Jahren noch aktuell sein. (Sebastian Borger, DER STANDARD - Printausgabe, 28. Februar 2007)