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Fischers Konzept zur Verhinderung des "Ernstfalls": "Wirksame Isolation, effektives Containment und direkte Gespräche."

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Ein Militärschlag der USA gegen Teheran wird von Tag zu Tag wahrscheinlicher. Höchste Zeit für die großen Staaten Europas, sich zu einer gemeinsamen Sicherheitspolitik durchzuringen.

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In der amerikanischen Hauptstadt brodelt die Gerüchteküche: Wird er es tun? Wird Präsident Bush den Befehl zum Angriff geben, um den Iran aus der Luft und mit Special Forces anzugreifen?

Seit der "State of the Union"-Rede des amerikanischen Präsidenten ist jedenfalls kaum ein Tag vergangen, an dem die Regierung in Washington nicht ihre Rhetorik gegen Teheran verschärft hätte. Ganz eindeutig werden seitens der US-Regierung die militärischen Vorbereitungen für einen Angriff aus der Luft vorangetrieben.

Bluff oder Ernst - das ist hier die Frage. Ihre Beantwortung könnte man mit Ruhe abwarten, aber der Fortschritt des iranischen Atomprogramms einerseits und die auslaufende Amtszeit dieses Präsidenten andererseits können in eine dann kaum noch zu kalkulierende Dynamik führen.

Stagnation überwinden Dann allerdings ist zu befürchten, dass erneut, wie im Irak, die Kraft zwar zum Beginn eines Krieges reicht, nicht aber um ihn zu gewinnen. Eine weitere "halbe Sache" im Nahen Osten wäre freilich die schlimmste aller Optionen. Schlimm für die Region und schlimm für die unmittelbaren Nachbarn dieser Region. Und dazu gehört an erster Stelle Europa.

Was hört man in dieser für ihre Sicherheit zentralen Angelegenheit von den Europäern? Tony Blair hat bereits auf die neue Rhetorik der Konfrontation der US-Regierung umgestellt. Jacques Chirac hatte in Anwesenheit von Journalisten so laut über die Harmlosigkeit von ein oder zwei Nuklearbomben nachgedacht, dass sich der Elysée-Palast erschrocken veranlasst sah, die Äußerungen des französischen Staatspräsidenten flugs zu korrigieren. Und Angela Merkel? Sie hält Reden auf Sicherheitskonferenzen, die jenseits des Atlantiks gefallen, ansonsten aber bleibt Deutschland lieber im Hintergrund.

Risikovermeidung als oberste Maxime

Risikovermeidung scheint die oberste Maxime geworden zu sein, Europa befindet sich sicherheitspolitisch in der Stagnation, vielleicht sogar im Rückwärtsgang. Dabei wäre ein Kurswechsel in die Gegenrichtung heute dringender denn je. Gerade die großen drei Europas, allen voran das derzeitige EU-Vorsitzland Deutschland, müssen sich zu einem gemeinsamen Handeln in Fragen der Sicherheitsstrategie durchringen. Denn sonst fällt Europa weit gehend aus, wenn es ernst wird. Und ernst wird es jetzt im Iran und am Persischen Golf.

Wenn es zu einem Angriff auf den Iran im Laufe dieses Jahres kommen sollte, werden die Auswirkungen an erster Stelle von der Region, an zweiter Stelle aber von Europa als dem direkten westlichen Nachbarn des Nahen Ostens zu tragen sein, und zwar für eine sehr lange Zeit. Und ebenso wird Europa die Zeche mitzubezahlen haben, wenn sich der Iran durchsetzen und eine Nuklearmacht werden sollte. Es geht also um sehr viel für den alten Kontinent.

Sicherheitsinteressen

Genauer, es geht um zwei überragende Sicherheitsinteressen der EU: kein Krieg mit dem Iran und keine Nuklearmacht Iran. Wie lassen sich diese beiden scheinbar widerstreitenden Interessen nun in eine gemeinsame Strategie umsetzen? Die Antwort liegt in dem Dreisatz von wirksamer Isolation, effektivem Containment und direkten Gesprächen.

Die Europäer, angeführt von Angela Merkel, Tony Blair und Jacques Chirac, sollten sich darauf einigen, gemeinsam Washington anzubieten, dass sie bereit sind, einen hohen, vielleicht sogar sehr hohen ökonomischen Preis zu bezahlen und die Sanktionen gegen den Iran weiter zu verschärfen. Allerdings nur unter zwei Bedingungen: Die militärische Option wird intern vom Tisch genommen, und direkte Gespräche werden von allen Beteiligten, auch von Washington, aufgenommen.

Sanktionen forcieren

Eine gemeinsame Strategie gegenüber Syrien, die nicht "regime change" sondern "coaliton change" zum Ziel hätte, würde diese Politik von Isolation und Gespräch gegenüber dem Iran zudem entscheidend verstärken.

Es war richtig und wichtig, dass der letzte Außenministerrat der EU die Sanktionen gegen Teheran beschlossen hat. Denn die angedrohten Finanzsanktionen zeigen Wirkung im Iran. Die politische Elite beginnt sich der Kosten ihres Konfrontationskurses mit dem Sicherheitsrat zunehmend bewusst zu werden. Diesen Prozess gilt es unbedingt energisch zu fördern, indem man aber zugleich auf gefährliche Abenteuer verzichtet.

Europa hat es heute in der Hand, zwei fatale Entwicklungen im Iran - Krieg und atomare Bedrohung - durch gemeinsames und entschlossenes Handeln zu verhindern. Diese Chance jetzt zu nutzen, darin liegt Europas Verantwortung. (Joschka Fischer, ©Project Syndicate/Institut für die Wissenschaften vom Menschen, 2006/DER STANDARD, Printausgabe 1.3.2007)