Heute ist "The Body Shop" mit 2100 Filialen in 55 Ländern vertreten. Anita Roddick gehört zu den reichsten Frauen Großbritanniens. Im Interview mit Sigrid Schamall im April dieses Jahres spricht die 64-Jährige über die "Mafia"-Methoden der Anfangszeiten, den Ärger mit Bestattungsfirmen, ihre sexy Mutter, ihr heutiges Engagement und das Leben mit Hepatitis C.
derStandard.at: Manche Kritiker meinen, Sie hätten das vergangene Jahr im "Bett des Feindes" verbracht, nachdem "The Body Shop" von L’Oréal übernommen wurde. Was hat sich inzwischen verändert?
Anita Roddick: Ich bin nach wie vor als Beraterin für "The Body Shop", aber auch für L’Oréal in Sachen Fair Trade tätig. Ansonsten: Business as unusual. "The Body Shop" setzt sich nach wie vor für soziale Gerechtigkeit ein und fühlt sich - so wie in den vergangenen dreißig Jahren - verantwortungsvollen und ethischen Grundsätzen verpflichtet.
derStandard.at: Der Verkauf von "The Body Shop" brachte Ihnen umgerechnet 950 Millionen Euro. Fühlen Sie sich reich?
Roddick: Ich habe gemeinsam mit meinem Mann Gordon und meinen beiden Töchtern eine Stiftung gegründet. Das Geld fließt in Projekte, von denen wir glauben, dass sie es wert sind, unterstützt zu werden. Dabei geht es um Soziales, Arbeits- und Menschenrechte.
derStandard.at: Sie erwähnten einmal, Ihre Mutter wäre Ihre Heldin. Welche Rolle spielte sie in Ihrem Geschäftsleben?
Roddick: Durch sie lernte ich, dass nichts im Leben komplizierter ist als Liebe und Arbeit und man das Herz zur Arbeit mitnehmen muss. Selbst mit 92 Jahren ist meine Mutter sexy, witzig und schockierend. Ihre Mitbewohner sabotiert sie mit Knoblauch und Chilli-Paste im Tee.
derStandard.at: Wie wurde aus Anita Roddick die Unternehmerin?
Roddick: Ich wuchs als Arbeiterkind italienischer Einwanderer auf und war immer eine Außenseiterin. Da bringt dich nichts zum Fürchten. Meine Kindheit bestand aus Arbeit. In der Küche und im Café meiner Mutter. Von der einen Seite betrachtet, wurde mir dadurch eine gewisse Arbeits-Ethik eingeflößt, von der anderen Seite könnte man sagen: "Hey, das wirkt ein wenig wie Kinder-Sklaverei". Wie auch immer, nachdem meine Mutter Witwe war, gab es ohnehin keine Wahl.
derStandard.at: Harte Arbeit und Lebenslust waren für Sie dennoch nie ein Widerspruch?
Roddick: Meine Lehrer fütterten mich mit Moral und mit den Sozial-Schriftstellern der 30er Jahre. Mit Anfang zwanzig wurden meine Reisen zu meiner Universität. Viele Produkt-Ideen stammen aus dieser Zeit. Kein Wunder also, dass mein Geschäftssinn anfangs mehr den Quakern als einem Räuberbaron glich. Ich hätte mir damals lieber die Pulsadern aufgeschnitten als mich als clevere Geschäftsfrau zu sehen.
derStandard.at: "The Body Shop" entstand nicht als Geschäftsidee...
Roddick: ..."The Body Shop" war niemals als Business gedacht. Mein Mann Gordon wollte zwei Jahre lang Süd-Amerika durchqueren. Auf einem Pferd! Also musste ich für meine Kinder und mich Geld verdienen. Ich habe italienisches Blut und hatte keine Angst davor. Mein erster - sehr - kleiner Laden war im Grunde mit Küchen-Kosmetik gefüllt.
derStandard.at: Einer Ihrer Tricks war es, Parfum auf die Straße zu tropfen und damit die Kunden in Ihr Geschäft zu locken.
Roddick: Geschäftsbesitzer hatten in den Frühlingstagen des Jahres 1976 tatsächlich gelegentlich Grund zu schnüffeln und sich am Kopf zu kratzen: Da lief diese eigenartige Frau mit dem ungebändigten dunklen Haar in Latzhosen die Straße entlang und sprühte konzentriert Erdbeer-Parfum in die Luft. Ich legte eine Duftspur. In jenen Tagen war ich zu allem bereit, um Kunden in mein Geschäft zu holen. Ich köderte Passanten mit Sandwiches vor der Ladentür und tränkte die Fassade mit den exotischsten Ölen. Hatte ich die Menschen dann endlich im Geschäft, lag alles nur noch an mir. Der weitere Erfolg war dann nur noch eine Serie von brillanten Zufällen.
derStandard.at: Ihr erstes Geschäft in Kensington Gardens befand sich ausgerechnet zwischen zwei Bestattungsfirmen. Als "Body" bezeichnet man im Englischen auch eine Leiche.
Roddick: Eine Woche vor Geschäftseröffnung drohte mir ein Anwalt mit Klage, wenn ich den Namen "The Body Shop" nicht ändere. Der Schock meines Lebens! Zwei Bestattungsfirmen beschwerten sich, die Hinterbliebenen würden sich an der Nähe eines "Body Shops" stoßen.
Dann kam mir die großartige Idee, bei "Brighton Evening Argus", einer Lokalzeitung, anzurufen. Anonym natürlich. Ich tischte ihnen eine haarsträubende Geschichte auf: Eine Unternehmer-"Mafia" bedrohe eine arme, hilflose Frau, die nur ihr eigenes Geschäft führen will, nachdem sie von ihrem Ehemann verlassen worden war. Am nächsten Tag stand die Geschichte auf der Titelseite, die Presse lief uns die Türen ein. Von den Anwälten habe ich nie wieder etwas gehört. Seitdem weiß ich, dass man für Werbung nicht zu zahlen braucht.
derStandard.at: Welchen Rat würden Sie jungen Unternehmern heute geben?
Roddick: Konzentriert euch auf die Kreativität. Seid anders. Schreit diesen Unterschied meinetwegen von den Hausdächern. Bewertet euer Unternehmen an Spaß und Menschlichkeit. Glaubt an euch selbst, an eure Intuition. Stellt Fragen und nehmt Ratschläge von Leuten, die ihr bewundert. Wirtschaftsschulen rauben Kreativität. Wenn ihr nur Millionen machen wollt, vergesst es. Ich habe noch nie einen erfolgreichen Unternehmer getroffen, dessen Ziel es war, reich zu werden
derStandard.at: Für die Beschäftigten waren Sie nie eine unnahbare Firmen-Ikone. Liegt darin das Geheimnis der Mitarbeiter-Motivation?
Roddick: Die Herausforderung der Unternehmer ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem Mitarbeiter wachsen und sich entwickeln können.
derStandard.at: Sie engagieren sich heute nach wie vor für soziale Anliegen.
Roddick: Ich engagiere mich derzeit für die Freilassung von drei Gefangenen in Angola. Außerdem setze ich mich dafür ein, dass Hepatitis C in der Öffentlichkeit ernst genommen wird und die finanziellen Mittel zu ihrer Bekämpfung bereit gestellt werden.
derStandard.at: Sie haben erst kürzlich erfahren, dass Sie selbst von dieser Krankheit betroffen sind...
Roddick: ...Diese Neuigkeit war schon saublöd, du stöhnst auf, aber machst weiter. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass ich den Virus in mir trage. Die Diagnose brachte ein Routine-Test. Ich wurde durch eine Blut-Transfusion bei der Geburt meiner jüngsten Tochter im Jahr 1972 infiziert.
derStandard.at: In einem Interview sagten Sie einmal, 1984 hätten Sie das Unternehmen den "Dinosauriern vorgeworfen".