In Gerichte soll moderne Qualitätssicherung einziehen, fordern Experten. Damit könnten die derzeitigen Unterschiede in der Rechtsprechung verhindert werden. In Ostösterreich wird härter geurteilt als im Westen des Landes.

Foto: Standard/Corn, Bearbeitung: Fatih, Beigelbeck
Wien - In Einem herrscht in Österreich (politische) Einigkeit: 8000 Haftplätze für mehr als 9000 Insassen, das kann auf Dauer nicht gut gehen. Die Lösung der Häfnmisere ist aber nach der Präsentation des Entlastungspakets von Justizministerin Maria Berger (SP) umstrittener denn je.

FPÖ und BZÖ lehnen Vorschläge wie mehr bedingte Entlassungen und ein neues Amnestiegesetz ab. Als Alternative schlug BZÖ-Chef Peter Westenthaler am Donnerstag vor, leer stehende Bundesheerkasernen als Gefängnisse zu adaptieren. Auch die ÖVP hat schwere Bedenken gegen die Pläne des Koalitionspartners.

Zufrieden zeigen sich hingegen "Praktiker" wie der Wiener Rechtsanwalt Richard Soyer oder der Kriminologe und Leiter des Fortbildungszentrums Strafvollzug, Wolfgang Gratz. Beide haben gemeinsam mit anderen Experten als "Kriminalpolizeiliche Initiative" viele von Bergers Vorschlägen bereits im Vorjahr vorgestellt - der Standard berichtete. Als nächsten Schritt fordert der Thinktank nun Qualitätssicherung in der Strafrechtspflege.

"Im Gesundheitswesen wäre es undenkbar, keine Qualitätssicherung durchzuführen. Auch in anderen öffentlichen Bereichen sind längst Managementstrukturen eingezogen. In der Strafrechtspflege hingegen gibt es kaum so etwas wie moderne Gütesiegelkriterien", kritisiert Rechtsanwalt Soyer.

Urteile unterschiedlich

Hintergrund ist die im Bundesgebiet sehr unterschiedliche Rechtsprechung. Seit rund zwanzig Jahren sind regionale Unterschiede etwa hinsichtlich der Strafpraxis wie auch der Verhängung der Untersuchungshaft oder der bedingten Entlassung offenkundig; mit der Tendenz, dass im Oberlandesgerichtssprengel Wien schärfer gegen Straftäter vorgegangen wird als im Sprengel Innsbruck.

Bei verhängten Freiheitsstrafen zwischen einem und drei Jahren beträgt die Chance auf bedingte Entlassung in Krems beispielsweise fünf Prozent. Im Westen des Landes liegt der Anteil über 50 Prozent. Die Rückfallquote von 38 Prozent ist aber überall gleich hoch.

Die "Kriminalpolizeiliche Initiative" will ausdrücklich nicht der freien Beweiswürdigung von unabhängigen Richtern ins Handwerk pfuschen. Soyer setzt auf die "Eigenverantwortung der Rechtsprecher". Durch den Vergleich von unterschiedlichen Praktiken könne nicht nur eine Angleichung erzielt, sondern auch Missstände erkannt und abgeschafft werden. Außerdem, ist sich Soyer sicher, könnten Ressourcen besser eingesetzt werden.

Voraussetzung ist allerdings, dass vom Justizministerium ausreichend Datenmaterial als Grundlage zur Verfügung gestellt wird. Die vorher erwähnten Daten stammen aus einer Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie. Amtliche regionale Verurteilungsstatistiken oder an diese angepasste Diversionsinformationen gibt es nicht. Viele offizielle Auswertungen sind in den vergangenen Jahren dem Sparstift zum Opfer gefallen. (Michael Simoner, DER STANDARD - Printausgabe, 2. März 2007)