Stefan Höffinger: "Geiler Geiz, das ist eine dümmliche Formulierung."

Foto: A.T.Kearney
Verena Kainrath sprach mit ihm über Einkaufen rund um die Uhr, Nahversorger und Revolutionen.

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STANDARD: Die Beteiligung der Rewe bei Adeg hat bei Konkurrenten und Lieferanten für Aufregung gesorgt. Zu Recht?

Höffinger: Dieses Thema wird überbewertet. Österreich ist im Lebensmitteleinzelhandel eine Insel, auf der sich zwei große Ketten, Billa und Spar, etabliert haben. Sie haben international jedoch keine entscheidende Größe. 50 Kilometer weiter in Bratislava stellt sich diese Diskussion nicht. Und bei aller Wehmut, es war eine Frage der Zeit, bis die Marke Adeg von anderen Vertriebsformaten überholt wird.

STANDARD: Blicken Österreichs Lebensmittelhändler zu wenig über die Grenze?

Höffinger: Die Branche ist auf einen Zweikampf fixiert und berücksichtigt zu selten, dass rund um Österreich interessante Entwicklungen passieren. Die britische Tesco etwa ist innerhalb von fünf Jahren weltweit vom siebt- zum drittgrößten Handelskonzern aufgestiegen. Die international erfolgreichen Ketten haben an der Insel Österreich vorbeiinvestiert und modernste Filialen in Osteuropa aufgebaut.

STANDARD: Was macht Tesco besser als die Österreicher?

Höffinger: Tesco hat den stationären Handel im Griff, ist führend im Onlinehandel, hat zielgruppenorientierte Kommunikation, managt Kundenbindungsprogramme. Die wissen viel mehr über ihre Kunden, über ihren Lebensstil und ihr Kaufverhalten. Österreich ist da zum Teil noch ein Entwicklungsland. Es gehören die Hausaufgaben gemacht, und das ist harte Arbeit.

STANDARD: Was schlagen Sie dem Einzelhandel konkret vor?

Höffinger: Der Konsument gehört als Individuum begriffen. Man muss über ihn Daten ermitteln, sie in die Unternehmensstrategie einfließen lassen – und nicht darauf warten, dass Flyer und Prospekte die Arbeit erledigen.

STANDARD: Internationale Textilketten wie Zara und H&M haben Österreich da abgehängt.

Höffinger: Formate aus Schweden und Spanien etwa haben die Österreicher innerhalb nur einer Dekade verdrängt. Sie sind hereingeprescht und haben die anderen das Fürchten gelehrt. Sie zeigen vor, wie man Trends setzen kann.

STANDARD: Was will der Konsument Ihrer Meinung nach?

Höffinger: Macht und Mündigkeit des Konsumenten steigen. Er wird sich langfristig binden, wenn die Leistung gefällt. Er will hier und jetzt einkaufen, ob etwa an Flughäfen oder an den Bahnhöfen. Und er will viele Bedürfnisse an einem Ort befriedigen.

STANDARD: Was heißt das für Nahversorger? Werden sich die Umsätze einmal mehr in die Einkaufszentren verlagern?

Höffinger: Es ist sicher einiges überzogen worden, die Innenstädte haben durch neue Einkaufscenter gelitten. Es kann jedoch auch Symbiosen zwischen Zentren und Peripherie geben. Es ist nicht alles Verdrängung und Vernichtung. Und es gibt weltweit eine Renaissance der Innenstädte. Es wird wichtig, für vieles nicht ins Auto steigen zu müssen.

STANDARD: Europa liberalisiert die Ladenöffnung. Aber will der Kunde wirklich rund um die Uhr einkaufen?

Höffinger: Das Geschäft in Berlin oder der Tankstellen zeigt, dass der Bedarf da ist. Die Frage ist, ob es generell möglich sein soll. Für gewisse Formate kann es dramatische Umsatzgewinne bedeuten – für andere nicht. Den Sonntag würde ich nicht antasten.

STANDARD: Warum nicht?

Höffinger: Der freie Sonntag ist ein gesellschaftlicher Kontrakt, der sich über Jahrtausende bewährt hat. Gesellschaften brauchen Zeit zum Innehalten und zur Besinnung. Die Französische Revolution hat versucht, eine Zehn-Tage-Woche einzuführen. Die Menschen hielten das aber nur einige Jahre durch und kehrten bald zum freien Sonntag zurück.

STANDARD: Die Diskonter holen sich immer mehr Marktanteile. Bleibt Geiz geil?

Höffinger: Geiler Geiz, das ist eine dümmliche Formulierung. Schnäppchenjäger und rationale Käufer werden sich immer die Waage halten. Der Einzelhandel muss sich auf beide Zielgruppen ausrichten.

STANDARD: Was halten Sie von billigen Handelsmarken?

Höffinger: In den Köpfen der Leute ist: Da gibt es Premiummarken der Produzenten und günstige Einstiegsmarken der Händler. Diese Gesetze gelten aber nicht mehr. Premium ist auch bei Handelsmarken möglich. Händler wiederum können keine Innovation ausspielen. Es hat zig Versuche gegeben, Red Bull mit Handelsmarken-Plagiaten zu konkurrenzieren. Es ist misslungen.

STANDARD: Viele Hersteller produzieren neben eigenen Marken auch günstigere Handelslabels. Ist das auf Dauer vereinbar?

Höffinger: Es ist eine Gratwanderung. Und Hersteller dürfen nicht hoffen, dass das der Konsument nicht mitbekommt. Er ist hier sehr sensibel und hellhörig. Alles über die gleichen Herstellungs- und Qualitätslevel zu ziehen und einmal das und einmal jenes Label draufzukleben, das ist zu wenig. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.3.2007)