Der Netrebko-Rummel nervt schon seit längerer Zeit. Letztes Wochenende hat er einen Hysteriepegel erreicht, der schwerlich zu überbieten sein dürfte: Noch spärlicher bekleidet wird sich, bei gleichbleibender Qualität des Gesanges, kaum eine Frauenrolle auf einer Opernbühne darstellen lassen, auch wenn die künstlich angeheizte Geilheit einer vorgeblich künstlerisch interessierten Society und der sie feiernden Presse nach Steigerung verlangen sollte. Und das ist zu erwarten.

Heute ihre "sexy" Premiere - Alle lieben Netrebko. Die Opern-Diva als Sex-Idol: In "Manon" lässt Anna Netrebko heute fast alle Kleider fallen, brachte "Österreich" schon am Samstag das Ereignis auf das Niveau ihres Herausgebers, ohne dabei seinen volksbildnerischen Auftrag aus den Augen zu verlieren. Einen ersten Eindruck erhielt man, als die Netrebko drei kleine Szenen aus Manon (nicht zu verwechseln mit Puccinis Manon Lescaut) am Wiener Opernball präsentierte.

Die Sparsamkeit der Bekleidung wurde eindrucksvoll der geistigen Fülle des Boulevards gegenübergestellt. Da die Netrebko in Andrei Serbans Staatsopern-Inszenierung in Dessous auftritt und sich im Bett räkelt, gingen bereits die Bilder der Fotoprobe um die halbe Welt. Die Hamburger "Bild-Zeitung" betitelte ihre Fotogalerie mit der Wortschöpfung "Anna Ne-strip-ko". Dass die halbe Welt wegen einer spärlich bekleideten Sängerin nach Wien blickt, sollte Wiens journalistische Halbwelt den Gram leichter ertragen lassen, auf diese Perle des Sprachwitzes nicht selbst gestoßen zu sein.

Barbara Rett, von "Österreich" als Sachverständige interviewt, weil sie im ORF demnächst die Live-"Manon" moderieren wird, traf den Nagel ziemlich genau auf den Kopf mit der Feststellung: Wir müssen uns die Manon heute ein bissel wie Anna Nicole Smith oder Paris Hilton vorstellen. Diese erfrischend nüchterne Beurteilung erklärt, warum "Österreich" am nächsten Tag zufrieden feststellen konnte, "Manon"-Premiere als Society-Ereignis, auch wenn Karl Löbl hartnäckig behauptete: Wir haben an diesem Abend tatsächlich Manon gesehen und nicht bloß eine literarische Person dieses Namens - kaum zu glauben, wenn man an die literarische Person dieses Namens denkt.

Premierenbesucher im Smoking, Damen in bester Abendgarderobe. Schon der erste Eindruck - der doch der wichtigste ist - macht klar: Das ist eine Opernpremiere nicht nur für Fans, sondern auch für die Society. Und zwar: Vom Multi-Millionär Martin Schlaff (ÖSTERREICH berichtete gestern über seine bevorstehende Scheidung) bis zu Helmut Zilk (keine bevorstehende Scheidung): Niemand konnte sich an diesem Abend dem Glanz Netrebkos entziehen.

Falsch! Alfred Gusenbauer, Bundeskanzler, fand sich nicht unter den von "Österreich" im Glanz Netrebkos aufgezählten Personen, vermutlich weil er, wie die hochseriöse "Presse" berichtete, bei einem konkurrierenden Society-Ereignis die Laudatio auf seinen Freund und Berater hielt, einen gewissen Wolfgang Rosam. Dessen Versuch, den Bundeskanzler durch Spärlichkeit seiner Bekleidung für die versäumte Ne-strip-ko zu entschädigen, muss allerdings als missglückt bezeichnet werden, konnte ihn das Blatt - in der Rubrik Menschen - lediglich dabei abbilden, wie er sich im weißen Bademantel darüber freut, dass ihm die Garde-Musik des Bundesheeres ein Ständchen bringen durfte. Dessousmäßig eine versäumte Gelegenheit, aber der Freund, der Gusenbauer auch in schlechten Zeiten die Treue gehalten hat, ist ja erst 50 geworden.

Doch zurück zur Oper. Was für ein unvergesslicher Abend! formulierte es "Heute" im besten "Krone"-Stil. Nur glückselige Gesichter schwirrten nach der Premiere von Jules Massenets "Manon" durch den Marmorsaal der Wiener Staatsoper. Was Dessous vermögen! Society-Mitglieder haufenweise umjubelten die Opern-Stars: "Manon Lescaut" Anna Netrebko (nicht zu verwechseln mit "Manon"!) "Chevalier De Grieux" Roberto Alagna sowie Dirigent Bertrand de Billy strahlten. Dass Letztere zu dem einen oder anderen Schabernack aufgelegt waren und einander vor der Kamera ausgelassen neckten, beflügelte zusätzlich.

Das war aber gar nichts gegen den Schabernack, den sich der kolumnistische Stalker der "Krone" mit seiner Post an Anna, wunderbare Anna Netrebko leistete. Dies ist ein glühender Liebesbrief, versuchte Michael Jeannée seine Zudringlichkeit einleitend zu rechtfertigen, allerdings kein gewöhnlicher (wiewohl mir ein solcher locker von der Hand gehen möchte, aber leider nicht zusteht). Statt an dieser Stelle aufzuhören, rang er weiter um den Versuch einer Erklärung für die Liebe der Massen, und das in einer Welt, in der seit langem das Mittelmaß, die Plastik-Show, der Bluff, das Blenden, die Impertinenz, das Silikon, die Lüge, das Schrille, die Krethis & Plethis & Hiltons & Spears & Mausis, das Gemeine, Gewöhnliche und Ordinäre Triumphe feiern.

So hat es der "Kronen Zeitung" schon lange keiner hineingesagt. Wenn ihm die Liebe zur Netrebko beim Chef nur nicht schadet! (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 6.3.2007)