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„Eine Tragödie verpasster Gelegenheiten“: Tony Blair als Pappfigur auf dem Rasen vor den Houses of Parliament in London.

Foto: Reuters/Pierdomenico
Mit der ausufernden Rückschau, die seinen baldigen Abgang begleitet, erweist der britische Premierminister Tony Blair seiner Labour Party einen letzten Dienst. Denn die ist sich über den Nachfolger keineswegs einig.

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Medienanwalt in London müsste man sein. Für die Spezialisten ihrer Zunft gibt es dieser Tage viel zu verdienen. Polizei und Regierung auf der einen Seite sowie TV-Anstalten und Zeitungen auf der anderen streiten beinahe täglich vor Gericht darüber, ob weitere obskure Details aus einem Ermittlungsverfahren veröffentlicht werden dürfen, das seit bald einem Jahr das politische London in Atem hält.

Es geht um die Anschuldigung, enge Mitarbeiter des Premierministers Tony Blair hätten großzügigen Geldgebern der Labour-Party Auszeichnungen und Sitze im Oberhaus angeboten. Alle Beteiligten beteuern vehement ihre Unschuld, gegen einen Beschuldigten wurde das Verfahren bereits eingestellt. Aber vieles deutet darauf hin, dass Scotland Yard eine Anklage gegen Michael Levy vorbereitet. Blairs Tennispartner fungierte bisher als wichtigster Spendeneintreiber der Labour-Party.

Wie ein schwarzer Schatten hängt die anrüchige Affäre über den letzten Amtswochen des Premiers. Eigentlich könne Blair im Sommer hocherhobenen Hauptes die Downing Street verlassen, sagt Matthew Taylor, der bis Ende 2006 zu den engsten Mitarbeitern des Premiers zählte: "Schließlich ist Großbritannien ein stärkeres, selbstbewussteres Land als bei seinem Amtsantritt." Zu den Problemfaktoren, die einer positiven Bewertung im Weg stehen, zählt Taylor die Parteispendenaffäre - und den Irakkrieg.

Taylors Analyse ist in einer glänzenden BBC-Dokumentation des Reporters Michael Cockerell über Blairs Amtsjahre enthalten, deren dritter und letzter Teil am Dienstag ausgestrahlt wurde. Die BBC machte damit den Anfang einer Rückschausaison, die ermüdend zu werden verspricht. Immerhin erweist der sterbende Schwan seiner Partei noch einen letzten Dienst: Der Rückblick lenkt ab von Labours Zukunftsproblemen. Allerorten gilt Schatzkanzler Gordon Brown als sicherer Nachfolger Blairs. Weil die Briten in jüngsten Umfragen Brown immer skeptischer bewerten und Labour um bis zu zehn Prozentpunkte hinter den Konservativen liegt, wächst in der Partei die Unruhe. Verzweifelt suchen eingeschworene Brown-Gegner nach einem jüngeren Gegenkandidaten aus der Mitte der Partei - bisher vergeblich.

Zu beschäftigt

Da ist die Beschäftigung mit der Vergangenheit allemal angenehmer. Cockerell hatte jahrelang privilegierten Zugang zum Regierungschef. Diesmal verweigerte Blair die Zusammenarbeit: Der Premier sei mit Regieren beschäftigt und habe zur Rückschau keine Zeit, erklärte sein Sprecher.

Stattdessen ließ der BBC-Mann eine eindrucksvolle Schar von Insidern und Beobachtern auftreten, die das Fazit des liberal-konservativen früheren Telegraph-Chefredakteurs Max Hastings teilten: Die Amtszeit "dieses Mannes von höchster Begabung" stelle "eine Tragödie verpasster Gelegenheiten" dar. Immer wieder wurden vor allem der Irakkrieg und Blairs beinahe bedingungslose Gefolgschaft für US-Präsident George W. Bush genannt als "schwerstes politisches Fehlurteil", so der Bestseller-Autor und frühere Blair-Verehrer Robert Harris.

Der Premier selbst weigert sich bis heute, seine Beteiligung an der US-Invasion des Zweistromlandes als Fehler zu bezeichnen. Zu guter Letzt werde Gott über ihn richten, hat Blair einmal gesagt. "Ganz einfach gesagt: Wir tun das Richtige", ließ er sich vor den Kriegen im Kosovo und im Irak vernehmen, und der damals höchste Beamte Großbritanniens war "beeindruckt von seiner Überzeugung, er habe Recht". An Richard Wilsons Gesichtsausdruck merkt man, dass er diesen Satz nicht als Kompliment meint. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 7.3.2007)