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Bereits im Vorjahr wurde das House of Lords reformiert. Die frühere Labour-Ministerin Helene Hayman wurde zum ersten „Lord Speaker“ ernannt.

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Die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher ist bloß „Lady“ im Oberhaus.

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Kaum etwas machen die Abgeordneten des ehrwürdigen Unterhauses zu London lieber als in blumigen Redewendungen die Geschichte zu beschwören und vor Reformen zu warnen. Die Kammer spiele „Sudoku mit der Verfassung“, warnte der Labour-Mann Gerald Kaufman. Es gehe hier, donnerte der konservative Hinterbänkler Patrick Cormack, um „die wichtigste Verfassungsreform Großbritanniens seit 1650“. Damals schaffte Lordprotektor Oliver Cromwell das Oberhaus kurzerhand ab.

Davon waren Kaufman, Cormack und ihre 644 Kollegen und Kolleginnen am Mittwoch weit entfernt, im Gegenteil: Das Unterhaus votierte ausdrücklich für den Verbleib der zweiten Parlamentskammer. „House of Lords“, wie das Oberhaus genannt wird, könnte aber schon bald ein anachronistischer Name sein. Denn das Unterhaus befürwortete mehrheitlich, dass die Mitglieder der zweiten Kammer zur Gänze gewählt werden. Bisher wurden zwar die meisten der derzeit amtierenden 744 Lords and Ladies, darunter Fachleute wie Star-Architekt Norman Foster und ausgediente Politiker wie Margaret Thatcher von einer Berufungskommission auf Vorschlag der Parteien ausgewählt.

Andere gehören dem Parlament aber aufgrund ihres Amts an, darunter die höchsten Richter sowie 26 Bischöfe der Staatskirche von England. Wenn das Unterhaus seinen Willen durchsetzt, könnte es damit bald ein Ende haben. „Die Regierung wird den Willen des Parlaments nicht ignorieren“, versprach gestern Jack Straw, der im Kabinett Tony Blairs für Parlamentsangelegenheiten zuständig ist. Allerdings hat das Oberhaus zuletzt vor vier Jahren mit großer Mehrheit für den Status quo gestimmt – und wenig spricht dafür, dass das geplante Votum am kommenden Mittwoch anders ausgehen wird. Blair zögerlich

Hinzu kommt, dass die Abstimmung im Unterhaus nur konsultativen Charakter hatte. Dass Straw und Blair die gänzlich freie Wahl der Lords und Ladies nicht gerade mit Hochdruck in einen Gesetzentwurf gießen werden, kann man getrost vorhersagen. Sie sind für eine Mischung aus ernannten (50 Prozent) und auf 15 Jahre gewählten Mitgliedern. Schatzkanzler Gordon Brown hingegen hatte die Parlamentsmehrheit auf seiner Seite, als er bei der vorletzten Abstimmung eine Mischung aus 80 Prozent gewählten und 20 Prozent berufenen Parlamentariern befürwortete.

Wie viele andere Unterhaus-Abgeordnete reagierte Brown damit auf die Vertrauenskrise, die durch Korruptionsvorwürfe rund ums Oberhaus ausgelöst wurde. Seit fast einem Jahr untersucht Scotland Yard, ob Mitarbeiter von Blair reichen Geschäftsleuten den Lord-Titel und damit die Mitgliedschaft in der zweiten Parlamentskammer angeboten und dafür Parteispenden in Millionen-Höhe verlangt hatten. Brown will sich möglichst deutlich von den unappetitlichen Vorgängen distanzieren. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 9.3.2007)