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Alfred Gusenbauer (re.) hält Atomenergie für den falschen Weg. Angela Merkel (li.)plädiert darauf gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.

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Standard: Frankreich will den Begriff der "erneuerbaren Energie" durch "CO2-arme Energiequellen" ersetzen und es den einzelnen Ländern überlassen, ob sie verstärkt erneuerbare Energie oder Atomkraft einsetzen. Ist das für Sie akzeptabel?

Alfred Gusenbauer: Atomkraft ist keine Form von erneuerbarer Energie, das hat die EU-Kommission klargestellt. Ich halte die Atomenergie für eine Sackgasse und den falschen Weg.

Standard: Das gilt auch, falls die Franzosen, wie angedroht, sonst den verbindlichen Klimazielen nicht zustimmen?

Gusenbauer: Es geht hier um Klimaschutz und nicht um eine Interessenvertretung der Atomlobby.

Standard: Wie sinnvoll sind verbindliche Ziele nach den Erfahrungen rund um das Kioto-Protokoll? Österreich liegt ja deutlich hinter seinen Vorgaben.

Gusenbauer: Das Problem bei Kioto war, dass nur über Ziele gesprochen wurde und nicht über die Instrumente, mit denen man das Ziel erreicht. Das ist die neue Qualität bei der Strategie der EU-Kommission, dass wir nicht nur über Ziele reden, sondern auch über die Methoden.

Standard: Österreich wehrt sich gegen den Vorschlag der EU-Kommission, Energiekonzerne eigentumsrechtlich in Energieerzeuger und Leitungsgesellschaften zu trennen. Warum sind Sie dagegen?

Gusenbauer: Wir halten das für einen gefährlichen Weg. Denn die eigentumsmäßige Entflechtung kann dazu führen, dass die Stromnetze in Europa von denen gekauft werden, die das Geld haben. Das ist dann Gasprom, ein amerikanischer Pensionsfonds oder chinesische Investoren, und ich finde, es ist ohnehin schon unangenehm genug, dass Europa bei seinen fossilen Energieressourcen abhängig von anderen Teilen der Welt ist. Wenn wir dann nicht einmal mehr über unseren eigenen Netze verfügen, kommt Europa in eine schlechte Position. Deswegen ist dieser Weg falsch. Den Weg einer strukturellen Trennung sind wir hingegen bereit zu gehen.

Standard: Wirtschaftskammerchef Christoph Leitl sagt immer wieder, so wie dies früher auch Karl-Heinz Grasser als Finanzminister tat, dass der Strompreis in Österreich zu hoch ist. Sehen Sie das auch so?

Gusenbauer: Der Strompreis ist keine politische Frage, sondern eine der Marktgegebenheiten. Was mir auffällt, ist, dass Flugzeugbenzin und Schiffsdiesel zu billig sind, weil sie überhaupt nicht besteuert werden.

Standard: Der Wettbewerb am Strommarkt in Österreich funktioniert ausreichend?

Gusenbauer: Das Element des Wettbewerbs ist nicht die Stärke des österreichischen Strommarktes.

Standard: Welche Erwartungen haben Sie von Ihrem ersten Gipfel? Welche speziellen Botschaften haben Sie an ihre Kollegen?

Gusenbauer: Ich glaube, dass es das Wichtigste ist, dass Europa die Frage von Wachstum und Beschäftigung nicht einseitig betrachtet, sondern dass wir, gerade wenn es um den Konnex zum Klimaschutz geht, sehen müssen, dass wir erstens eine Verantwortung für die Welt haben, dass aber ein Vorangehen Österreichs und Europas auch eine enorme technologische Chance bietet. Deswegen sollte man den Klimaschutz nicht defensiv angehen und auch nicht Sackgassen verfolgen wie die Atomkraft, sondern das enorme Innovationspotenzial erkennen, das da drinnen liegt. Ich bin für ein Europa der Chancen und nicht für eines der Defensive.

Standard: Bei der Berliner Erklärung gibt es heftige Ausein-andersetzungen um die soziale Komponente Europas. Besonders die Briten, aber auch die Tschechen wehren sich gegen eine "Sozialunion". Ist für Sie ein Europa der zwei Geschwindigkeiten und damit ein Kerneuropa denkbar, und wäre hier die Position Österreichs?

Gusenbauer: Wir haben schon heute ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten, denn bekanntlich sind zwar 27 Staaten Mitglied der Union, aber nur ein Teil ist im Euroraum, ein anderer Mitglied von Schengen. Das sind sehr unterschiedliche Integrationsebenen. Für Österreich als Land im Zentrum Europas war immer klar: Wir wollen bei jeglicher Form der Integration in der ersten Gruppe mit dabei sein. (Michael Moravec, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.3.2007)