Die Grenzen von Stuben werden jedes Jahr aufs Neue durch den Schnee bestimmt. Heuer sind sie nicht ganz so streng gezogen.

Foto: Tourismusbüro Stuben
Markus Kegele war Anfang Dezember in Jubelstimmung. Und das, obwohl da für einen Wintertouristiker auf den ersten Blick wenig Grund zum Jubeln bestand. Aber der Vorarlberger Junghotelier hatte in diesem Augenblick kein Auge für den noch nicht vorhandenen Schnee: "Davon werden alle am Arlberg profitieren – aber Stuben ganz besonders: Wir wollen uns noch mehr als Geheimtipp positionieren." Was Kegele, den Chef des Stubener "Hotel Mondschein" Anfang Dezember entzückte, dürfte anderswo ab sofort für weniger Begeisterung sorgen: Am Mittwoch präsentierten die Arlberggemeinden St. Anton, St. Christoph, Lech, Zürs und – eben – Stuben auf der Berliner Tourismusmesse ITB die "Marke Arlberg". Auch weil in den letzten Jahren schon Gemeinden, die eine halbe Autostunde und mehr vom Berg entfernt liegen, das prestigeträchtige "Arlberg" im Werbeauftritt platzierten.

Die mondänen Orte am Berg ärgerte das. Aber bei jenem Publikumssegment, das bei Wintersport nicht nur an Prestige, sondern mitunter doch auch noch an den Preis denkt, pflichtet Stubens Tourismusdirektor Rudi Pichler dem Chef des "Mondschein" bei, dürfte das 110 Einwohnerdörfchen Hauptprofiteur der Dachmarke sein: "Stuben ist und bleibt klein – das ist unser Asset." Denn das knapp 700 Gästebetten beherbegende Dörfchen auf 1400 Metern kann gar nicht mehr wachsen: Die Grenzen des Ortes ziehen die Lawinenschutzzonen – und so wahnsinnig, in die "rote Zone" hineinzubauen, ist in einem Ort, der seinen Platz am Fuße der Flexenstraße immer wieder hart gegen Lawinen verteidigen musste, niemand.

Etwaigen Luxus-Megahotel-Träumen setzt der Hausverstand Grenzen: Die Highend-Luxusklasse ist von St. Christoph und Co traditionell dicht besetzt und hart umkämpft. Und in Stuben hätte man gar nicht den Platz, mit riesigen Wellnessanlagen und anderen "Musts" der Fünfsternewelt mitzuhalten, erklärt "Mondschein"-Hotelier Kegele. Aber wie Pichler verwahrt er sich vor der Verwechslung von Fünfsterneluxus mit Qualität: Mit einem Vierstern- und mehreren Dreisternhäusern sowie etlichen Pensionen brauche sich Stuben nicht zu verstecken. Auch gastronomisch nicht: Werner Walch, Seniorchef im "Mondschein", gilt bis heute als "Bocuse vom Arlberg": Selbst Otto Koch, die Michelin-Stern-bewehrte Münchner Kochlegende, die in Zürs eine Koch-Dependance hat, bringt kochende Stargäste (zuletzt etwa Jean-Marie Meulien, ein Stück französischer Küchengeschichte) gerne hierher. Als Geheimtipp.

Rausch aus Stuben

Neu ist die Stubener Small-is-beautiful-Strategie aber nicht: Die die Weite von Panoramen und Skigebiet konterkarierende Gedrängtheit des Ortes erkannte schon Luis Trenker. Und machte Stuben und seine (immer noch einzige) Dorfstraße zur Kulisse für "Der weiße Rausch", "Berge in Flammen" und "Sonne über dem Arlberg". Und wenn es heißt, dass die Wiege des Skifahrens auf dem Arlberg stand, präzisiert Pichler gerne, wo genau: Es war der 1890 hier geborene Hannes Schneider, der das Spinnerding "Narrenholzgleiten" der großen Welt nahe brachte: dem Arlberg, Japan und – nachdem er 1938 flüchten musste – den USA. Dass Denkmal und Schneider-Museum in St. Anton sind, passt da ins Geheimtipp-Konzept. Denn Stuben will gefunden werden. Von denen, die es verdienen: Während die Sessellifte in den "berühmten" Orten acht Personen fassen, beheizt und mit Plexiglasglocken bewehrt sind, steigt man in Stuben neben der Kirche in einen Doppelsessellift – mit einer Decke gegen den Wind.

Das Resultat rechtfertigt das Understatement. Oben, am Berg (der Albona), ist das riesige Arlberg-Skigebiet drei Pistenschwünge entfernt. Aber einige der schönsten Hänge und Routen des Arlbergs sind hier – weil keiner den Popo anwärmt – nicht überlaufen.

Dasselbe gilt unten, im Ort: ein Dorfladen; ein Sportgeschäft. Wer schick shoppen will, ist in Lech besser dran. Auch beim "Après": Stuben hat keine laute Schneebar, keinen schicken Nachtclub. Stattdessen hängt mitten im Ort – wer zum Lift will, muss daran vorbei – ein Testgerät für Lawinenpiepser. Und das, betont Pichler, ist kein Geheimtipp. (Thomas Rottenberg/DER STANDARD, Printausgabe, 10./11.3.2007)