Die enormen Fortschritte der Radiologie werden zu einer Revolution der medizinischen Praxis führen.

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Wien - "Die Revolution wird nicht ganz einfach werden. Aber sie wird definitiv stattfinden." Was Elias Zerhouni für die nächsten ein, zwei Jahrzehnte prophezeit, ist nichts Geringeres als ein völliges Umkrempeln der Medizin, wie wir sie kennen.

"Heute kommen wir um 20 Jahre zu spät zum Patienten", sagt Zerhouni, und genau diese Verzögerung bringe auch die Behandlungskosten zum Explodieren: In den USA sind es pro Person und Jahr zurzeit 7100 US-Dollar, Tendenz steigend. Die weiter wachsenden Kosten werde man sich in Zukunft nicht mehr leisten können. Es werde in den nächsten Jahren deshalb zur strukturellen Umstellung kommen: "Heute findet die Medizin erst im Krankenhaus statt, in Zukunft wird sie viel früher beginnen."

Bessere Vorhersagen

Die Medizin versteht die fundamentalen Mechanismen immer besser, die an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind - Jahre bevor diese überhaupt auftreten. "In Zukunft werde man also viel besser in der Lage sein, Erkrankungen vorherzusagen, präventiv einzugreifen und personalisiert zu behandeln."

Bereits heute seien rund 500 genetische Tests für Neugeborene verfügbar, wobei im Rahmen der "New Born Screenings" in den USA nur rund 30 dieser Test auch tatsächlich zum Einsatz gebracht werden - nämlich bei jenen Erbkrankheiten, bei denen es derzeit auch eine Therapieoption gibt.

Zerhouni weiß wovon er spricht. Schließlich ist der gebürtige Algerier Präsident der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) und damit unmittelbarer Chef von über 6000 Wissenschaftern. Außerdem ist er Herr über ein Budget von 28,6 Mrd. UD-Dollar, die in rund 50.000 Forschungsprojekte an rund 3000 Universitäten verwendet werden.

Seine starke Ansage fand bei seinen kaum minder prominenten Mitdiskutanten, die anlässlich des European Congress of Radiology nach Wien gekommen sind, durchwegs Zustimmung. So auch bei Philippe Grenier von der Pariser Université Pierre et Marie Curie - so wie Zerhouni ein internationaler Top-Radiologe: "Durch neue bildgebende Verfahren wird man in Zukunft viele chronische Erkrankungen bereits in einem Anfangsstadium erkennen können und sie so früh wie möglich stoppen."

Der Radiologie komme bei der angekündigten Revolution eine besondere Rolle zu: zum einen, weil sie mit neuen Methoden wie Biomarkern oder dem "Imaging" auf molekularer Ebene entscheidend bei der Früherkennung sei. Und zum anderen, weil sie den ganzen technologischen Fortschritt sofort in die Praxis bringe.

Liselotte Hojgaard, die Vorsitzende European Medical Research Council, zitiert in diesem Zusammenhang eine Prophezeiung von Microsoft, dass nämlich im Jahr 2020 die Computerwissenschaft für die Biologie und die Medizin das sein werde, was die Mathematik für die Physik gewesen ist.

Forschung der Zukunft

Für Elias Zerhouni hat der Einsatz von Computern in der Medizin längst die gesamte Forschung, aber auch die Praxis völlig verändert. Wie enorm der Fortschritt der vergangenen Jahre war, illustrierte er an einer Vergleichszahl: Die besten Computertomografen von heute produzieren und prozessieren in einem mehr Daten als alle Computer dieser Welt vor gut zwei Jahrzehnten im gleichen Zeitraum.

Zusätzlich zur enorm gewachsenen Rechnerkraft stehen 20 Millionen Artikel aus medizinischen Zeitschriften zur Verfügung - die NIH betreiben unter Zerhouni eine strikte Politik des offenen Zugang - und über 2000 Genome verschiedener Lebewesen. Was natürlich auch den wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt enorm beschleunige.

Ergänzende Ausblicke auf künftige Forschungsstrukturen gab William R. Brody, seines Zeichens Präsident der Johns Hopkins University, also jener Uni, die über mehr Forschungsgelder verfügt als jede andere in den USA. Fast noch wichtiger als die Erzeugung von neuen Erkenntnissen und ihr Schutz sei für seine Universität die Suche nach wissenschaftlichen Talenten, die sich ähnlich wie im Profifußball längst globalisiert habe.

Anders als in der Vergangenheit wird nicht mehr innerhalb von Fächern geforscht, sondern in multidisziplinären Teams: "Die interessanteste Forschung passiert an den Grenzen der Disziplinen, und die Zukunft der Universitäten wird auch davon abhängen, inwieweit sie in der Lage sein werden, solche Arbeitsgruppen zusammenzustellen." (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 3. 2007)