Radikal-Konstruktivist Ernst von Glasersfeld.

Foto: DER STANDARD/Hendrich
Der Name ist Programm. Die Kernaussage des radikale Konstruktivismus mag nämlich auch heute noch vielen radikal erscheinen: Wir Menschen entdecken die Welt nicht "objektiv", sondern wir konstruieren sie uns gleichsam in unserem Gehirn, im Grunde ohne Bezug zur "wirklichen Welt". Einer der wichtigsten Wegbereiter dieser Denkrichtung neben Humberto Maturana und Heinz von Förster ist der vor genau 90 Jahren geborene Ernst von Glasersfeld.

Der Sohn eines vermögenden Kunstfotografen fand nach turbulenten Jugend- und Wanderjahren erst vergleichsweise spät zur Wissenschaft. Viersprachig aufgewachsen, studierte er kurz Mathematik in Zürich und Wien, begründete 1937 den Alpinismus in Australien und emigrierte dann nach Irland, wo er als Farmer lebte.

Über die Lektüre von Finnegans Wake entwickelte der junge Glasersfeld Interesse am italienischen Philosophen Giovanni Battista Vico, übersiedelte nach Italien, wo er zunächst als Journalist arbeitete, ehe Ende der 1950er-Jahre Forscher am Centro di cibernetico an der Universität Mailand wurde.

Von da wiederum gelang ihm 1966 der Sprung in die USA, wo er zunächst Computerlinguistik betrieb, ehe er einen kurzen Abstecher in die Primatenforschung machte.

Über die Lektüre der Schriften Jean Piagets, der selbst einen psychologischen Konstruktivismus vertrat, gelang von Glaserfeld dann der große Durchbruch: eben sein radikaler Konstruktivismus, der einen "radikalen Umbau der Begriffe des Wissens, der Wahrheit, der Kommunikation und des Verstehens" verlange und letztlich auch die Verantwortung für unser Tun und Denken verschiebe. Die wird nämlich, was der radikale Konstruktivist für besonders wichtig hält, "dorthin verlegt, wo sie hingehört: in das Individuum nämlich". (Amü/DER STANDARD, Printausgabe, 14.3.2007)