Robert Krause leitet die Infektiologie an der klinischen Abteilung für Pulmonologie der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz.

Er ist Internist, Intensivmediziner und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit antibiotika­assoziierten Diarrhoen, Pilzen im Darm, fremdkörperassoziierten Infektionen und Antibiotika-Strategien.

Krause ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Graz.

Foto: Krause

derStandard.at: Der amerikanische Arzt C.O. Truss vertrat in den 1970ern die These, dass Darmpilze zu unterschiedlichen gesundheitlichen Problemen führen. Von welchen Problemen spricht er hier?

Krause: Die Rede ist vom Candida-Syndrom. Tatsache ist allerdings, dass für dieses Syndrom bis heute kein Beweis existiert. Im Gegenteil, es gibt Studien, die zeigen, dass Patienten mit dem sogenannten Candida-Syndrom, nach Behandlung mit einem Pilzmittel, keine Besserung erfuhren.

Daraus hat man rückgeschlossen, dass Pilze im Darm kein Candida-Syndrom verursachen. Diese Krankheit ist ein Phantom. Es gibt sie nicht und die Ursachen der Symptome müssen andere sein.

derStandard.at: Was ist mit Beschwerden im Darm?

Krause: Bis heute gibt es keine Beweise, dass gastrointestinale Beschwerden mit dem Hefepilz in Zusammenhang stehen, aber vielleicht wird sich das bei weiterer Erforschung der Pilze im Darm noch ändern. Das heißt ich kann es nicht ganz ausschließen. Derzeit gibt es aber nur laienmedizinische Publikationen ohne schulmedizinische Evidenz.

derStandard.at: Aber ist es nicht so, dass Menschen mit dem Reizdarmsyndrom auch häufiger Candida albicans im Darm haben?

Krause: Doch, das ist aber noch kein Beweis, dass Candida albicans auch tatsächlich an dem Reizdarmsyndrom beteiligt ist. Es werden einfach laufend Zusammenhänge hergestellt, wo einfach keine sind.

derStandard.at: Das heißt, es gibt überhaupt keine Beschwerden oder Erkrankungen die durch den Darmpilz verursacht werden?

Krause: Die gibt es bei speziellen Patientengruppen. Für Patienten, die immunsupprimiert sind, das heißt eine verminderte Abwehr besitzen, können die Pilze im Darm zum Problem werden. Man nimmt an, dass Candida albicans bei diesen Patienten über die Darmwand ins Blut gelangt und von dort aus in Organe, wie Leber oder Milz wandert. Befinden sich Pilze im Blut, so spricht man von einer Fungämie. Die Candida-Sepsis ist die klinische Ausdrucksweise dieses Vorgangs.

derStandard.at: Für immunkompetente Menschen sind Darmpilze also ungefährlich?

Krause: Das ist richtig.

derStandard.at: Aber gibt es nicht auch Pilzinfektionen bei Menschen mit einem intakten Immunsystem?

Krause: Schon, diese sind jedoch nicht im Darm lokalisiert. Übergewichtige haben oft Candidainfektionen auf der Haut, vorwiegend an Stellen, wo Haut auf Haut liegt. Unter der Brust vor allem oder unter den Achseln, hier finden die Pilze ein besonders feuchtes und warmes Klima. Das ist auch der Grund warum Neugeborene oft einen sogenannten Windelsoor bekommen. Pilze lieben das feuchte Milieu in der Windel.

derStandard.at: Was versteht man unter Darmsanierung beim Candida-Syndrom?

Krause: Mit der Darmsanierung versucht man die Pilze aus dem Darm zu entfernen, um die Beschwerden des Candida-Syndroms zu lindern. Die Methoden sind unterschiedlich. Es gibt unter anderem Darmspülungen und Medikamente, die man schlucken kann. Da jedoch bisher kein Konnex zwischen Candida im Darm und dem sogenannten Candida-Syndrom hergestellt werden konnte, kann eine Darmsanierung keinen Effekt haben.

Der Grund warum Menschen, die an einem Candida-Syndrom zu leiden glauben, eine Symptomverbesserung verspüren, liegt wahrscheinlich an der angewandten Methode selbst. Bei der Colonhydrotherapie beispielsweise wird der Dickdarm über ein anal eingeführtes Rohr mit Wasser gespült. Für manche Menschen ist das ein angenehmer Vorgang und führt manchmal zu einer Verbesserung der allgemeinen Befindlichkeit.

derStandard.at: Wie sinnvoll ist eine Anti-Pilz-Diät?

Krause: Sie ist sinnlos. Es existiert die Meinung, dass Pilze im Darm durch vermehrten Zuckerkonsum besser wachsen und es dadurch zu verschiedenen Beschwerden kommt. Mit der Anti-Pilz-Diät soll der Sprosspilz durch zuckerarme beziehungsweise –freie Diät aus dem Darm vertrieben werden.

Es gibt aber auch hier Untersuchungen, die das Gegenteil beweisen, dass eine vermehrte Zuckerzufuhr nicht zu einer Erhöhung der Sprosspilze im Darm führt. Im American Journal of Nutrition wurde dazu 1999 eine Studie veröffentlicht.

derStandard.at: Das heißt die Ernährung hat überhaupt keinen Einfluss auf die Darmpilze.

Krause: Richtig.

derStandard.at: Gibt es denn andere Faktoren, die eine Besiedelung des Darmes mit Pilzen fördern?

Krause: Bei Einnahme bestimmter Antibiotika kann es zur Veränderung der Darmflora kommen. Wird ein Keim der normalen Flora vernichtet, wird dieser Platz von einem anderen, unter anderem auch von Candida albicans eingenommnen.

derStandard.at: Das heißt der Durchfall, der bei Antibiotikaeinnahme auftreten kann, könnte durch Candida verursacht sein?

Krause: Nein, es gibt keinen Beweis für Antibiotika-assoziierte Durchfälle durch Pilze. Wir haben 2001 publiziert, dass Candida kein Auslöser dafür ist. Von anderen Keimen kennt man das aber sehr wohl. Erst vor kurzem hat unsere Arbeitsgruppe in Graz spezielle Klebsiellen im Darm gefunden, die Antibiotika-assoziierte Durchfälle machen. Diese Studie wurde im New England Journal of Medicine veröffentlicht.

derStandard.at: Gibt es sonst noch äußere Faktoren, die Einfluss auf die Pilzbesiedelung haben?

Krause: Abführmittel sind Faktoren, die eine Veränderung der Darmmotilität bewirken. Sie machen Durchfall und haben somit auch Einfluss auf Candida im Darm. Die Folge kann eine Überwucherung des Darms mit Pilzen sein.

derStandard.at: Und das ist egal?

Krause: Völlig. Der Organismus verdrängt die überschüssigen Pilze wieder und stellt so die normale Darmflora wieder her.

derStandard.at: Wann muss man eine Candida albicans Infektion therapieren?

Krause: Darmpilze muss man gar nicht therapieren, außer es liegt eine schwere Immunsuppression vor. Candida im Mund, man nennt diese Erkrankung auch Mundsoor, wird therapiert. Canididainfektionen im Bereich der Haut und im Vaginalbereich müssen ebenfalls therapiert werden. Pilze im Blut werden natürlich auch therapiert.

derStandard.at: Erfüllt Candida im Organismus irgendeine Aufgabe?

Krause: Candida ist einfach ein Bestandteil der normalen Darmflora, wie andere Keime auch. Gemeinsam stellen sie ein besonderes Milieu her und gewährleisten damit die Funktionstüchtigkeit des Darmes.

derStandard.at: Angeblich schützt der Darmpilz vor Schwermetallen. Er wird auch als Giftfänger bezeichnet. Ist an dieser Theorie etwas dran?

Krause: Nein. Es gibt viele Interpretationen bezüglich der Candidabesiedelung im Darm. Das alles ist jedoch nicht bewiesen, auch nicht das Abfangen von Schwermetallen. Trotzdem ist es schwierig, Menschen die an das Candida-Syndrom glauben, davon abzubringen. Denn vieles davon klingt logisch. Sie sind dankbare Kunden, aber in Wahrheit wird ihnen das Geld aus der Tasche gezogen, denn die Pilzbesiedelung im Darm wird von lebenslanger Dauer sein.

derStandard.at: Bildet Canidida albicans Toxine? Sind sie vielleicht die möglichen Krankmacher?

Krause: Candida albicans bildet zwei verschiedene Gruppen von Toxinen: Proteinasen und Phospholipasen. Beide können oberflächliche Zellen zerstören. Eine Rolle spielen sie aber nur bei invasiven Infektionen, wenn Candida über die Blutbahn zu den Organen gelangt. Im Darm selbst führen sie nach derzeitigem Stand der Forschung zu keinen Symptomen.

derStandard.at: Würden sie empfehlen den Pilzen im Darm keine Beachtung zu schenken?

Krause: Bei immunkompetenten Patienten würde ich dazu raten. Es macht auch keinen Sinn seinen Stuhl auf Pilze untersuchen zu lassen.

derStandard.at: Was wenn sich Pilze im Stuhl finden?

Krause: Wenn zufällig Pilze im Darm gefunden werden, dann kann man das als normal betrachten und muss sich darüber keine weiteren Sorgen machen. (derStandard.at, Regina Philipp, 14.3.2007)