Georg Friedrich Haas

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Wien - Seine Musik schafft rätselhafte Klangwelten von leuchtender Sinnlichkeit. Und während seine Opern um Hölderlin, Kafka, Poe kreisen und existenzielle Fragestellungen erforschen, behalten sie stets so etwas wie ein utopisches Potenzial. Dass Georg Friedrich Haas mit seinen Kompositionen unmittelbar anzusprechen vermag, resultiert dabei nicht nur aus seinem subtilen Sensorium, mit der er Erfahrungen aus älterer Musik für die Moderne fruchtbar macht. Die Farbigkeit, die seine Partituren erreichen, verdankt sich unter anderem einer aus dem Bereich der natürlichen Obertonreihe gewonnenen Harmonik, die die akustischen Resonanzbedingungen gleichsam "auskomponiert" - mit schillerndem, anspruchsvollem Ergebnis.

So überrascht es nicht, dass Kollege Pierre Boulez Georg Friedrich Haas zu jenen Komponisten zählt, die ihn heute am meisten beeindrucken.

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DER STANDARD: Sie haben vom Musikverein mit einer "Carte blanche" freie Hand für die Gestaltung eines Konzertprogramms erhalten?

Haas: Nun, ganz so frei war ich dann doch nicht ... Dieses Konzert steht im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit als Composer in Residence des Wiener Konservatoriums. Es war vorgesehen, dass Studierende Werke von mir realisieren, die dann mit anderen Kompositionen in einen Zusammenhang gebracht werden. Ich habe mich entschieden, nicht zurückzublicken, sondern nach vorn: Im Konzert erklingen nicht Kompositionen älterer Meister, die für mich von Bedeutung sind oder in meiner Musik ihre Spuren hinterlassen haben, sondern ich bringe meine Musik mit Arbeiten meiner Studenten zusammen.

DER STANDARD: Was verbindet die Arbeiten Ihrer SchülerInnen mit Ihren eigenen? Gibt es gemeinsame Grundbestimmungen wie beim Schönberg-Kreis, existiert eine Haas-"Schule"?

Haas: Ich habe mir vorgenommen, meinen Studierenden niemals zu zeigen zu versuchen, "wo's langgeht". Man soll nur dann komponieren, wenn man den inneren Drang verspürt, Musik, die in einem selbst keimt, zum Wachstum zu bringen. Meine Aufgabe als Lehrer sehe ich darin, hier zu helfen. Wahrscheinlich beeinflusse ich die Studierenden dennoch: Ich fordere z. B., dass die letzte Instanz immer die sinnliche Wahrnehmung ist.

Abstrakte Konstruktionsprinzipien interessieren mich nicht, wer will, darf konstruieren - aber das Ergebnis muss klingen! Und ich lege großen Wert darauf, dass man sich zuerst fragt, was man hören will, und dann erst den Weg sucht, es zu notieren. Ich will keine "Haas-Imitate". Wenn ich bemerke, dass jemand die klangliche Oberfläche meiner Musik imitiert, werde ich ungemütlich.

DER STANDARD: Viele Ihrer Werke stehen im Dialog mit der literarischen und musikalischen Vergangenheit. Wie kommt Ihr Klang eigentlich in Ihre Kompositionen "nach" Schubert'scher oder Skrjabin'scher Klaviermusik?

Haas: Was man für das "Eigene" hält, entpuppt sich fast immer als Aneignung von "Anderem". Ein Spezialfall ist es, wenn man konkret auf eine bestehende Musik reagiert. Das nun zu hörende Tria ex uno über einen Ausschnitt aus einer Messe von Desprez thematisiert den unendlich gewordenen Abstand zwischen uns und diesem Kunstwerk.

In meinem auf einer unvollendeten Klaviersonate Schuberts basierenden Torso wollte ich durch den Klang, der das Ergebnis einer Analyse des Notentexts auch emotional erfahrbar machen soll, sinnlich nachvollziehen, dass Schubert das Werk nicht vollenden konnte, weil er darin die Grenzen der damaligen Musiksprache überschritten hatte.

Skrjabins neunte Sonate war der Ausgangspunkt für eine orchestrale Klangfarbenkomposition, bei der ich jene Stellen weiterspann, wo Skrjabin aus pianistischen Gründen nur andeuten kann - ein Pianist hat ja nur zehn Finger und eine beschränkte Spannweite der Hand, Skrjabin arbeitet mit dem Kontrapunkt zwischen dieser körperlichen Einschränkung und einer Klangfantasie, die weit über das hinausgeht, was pianistisch möglich ist. Ich spüre in diesem Klavierwerk ein intensives Licht, das ich durch eine Steigerung der Kontraste deutlich machen wollte.

DER STANDARD: Wie Skrjabin schwebt Ihnen die Verbindung von Musik mit Licht vor: In der Kammeroper "Nacht" gibt es eine Farbendramaturgie, in manchen Stücken zeitweilige oder völlige Dunkelheit. Wo liegen für Sie die Beziehungen zwischen Klang und Farbe?

Haas: Mich fasziniert ein bewusstes Komponieren mit den optischen Elementen. Ein Stück oder Abschnitt eines Stückes in Dunkelheit zu komponieren ist eine Herausforderung: Es muss so geschrieben werden, dass die Musiker diese Stelle ohne Noten und ohne Dirigent(in) und ohne auf Instrumente schauen zu müssen realisieren können. Ich habe das mehrmals versucht, und das Ergebnis war immer ein intensives Erlebnis - Man hört anders in der Dunkelheit. (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.3.2007)