Foto: World Circuit / Indigo

Bekannt wurde der 1927 in der östlich gelegenen kubanischen Metropole geborene Ausnahmesänger, der seinen Lebensunterhalt auch als Zimmermann und Dockarbeiter verdiente, in Kuba selbst erst im Pensionsalter. 1996 wurde er von Ry Cooder im Rahmen seiner Aufnahmesessions für den Buena Vista Social Club in Havanna für 50 US-Dollar ins Studio geholt, nachdem sich Ferrer, enttäuscht von seiner glücklosen Profession als Musiker, die Jahre zuvor seine karge Pension unter anderem als Schuhputzer in der Altstadt aufgebessert hatte. Die daran anschließende späte Karriere und der Welterfolg der diversen Buena-Vista-Alben und Tourneen gelten als bis dato größter Coup im Bereich der so genannten World Music.

Das Album Buena Vista Social Club verkaufte weltweit acht Millionen Stück, Ibrahims Soloalbum Buena Vista Social Club Presents Ibrahim Ferrer kam auf stolze 1,7 Millionen verkaufte Einheiten. 2003 folgte noch das Album Buenos Hermanos. Vom beständigen Tourneeleben erschöpft, begann Ferrer schließlich 2004, ein Jahr vor seinem Tod, die Arbeit an seinem Lebenstraum: ein Album, das ausschließlich langsame, herzzerreißende Boleros beinhalten sollte.

Immerhin wollte Ferrer als Schüler des kubanischen Sängergiganten Beny Moré damit endlich eine wesentliche Scharte in seiner Biografie ausmerzen. Jahrzehntelang mochte man dem kleinen Mann mit der warmherzigen, aber offenbar für kubanische Verhältnisse zu wenig nach Machismo klingenden sanften Stimme die Königsdisziplin des waidwunden, haltlos romantischen und sehr oft todessehnsüchtigen, langsam schlurfenden Bolero nicht zutrauen. Man buchte ihn immer wieder nur als rhythmischen Improvisateur der afrokubanischen Uptempo-Stile des Son oder der Guarachas.

Nachdem Ferrer also vor allem auch live immer wieder bewiesen hatte, dass die von ihm beflissentlich und mit viel Herzblut über die Jahrzehnte gesammelten Boleros sehr wohl zu seiner Stimme passen, erarbeitete er sich mit der Tourband im harten Test vor dem Konzertpublikum jenes Programm, das er dann bis drei Wochen vor seinem Tod im August 2005 in einem Studio in Havanna probehalber auf Demobändern festhielt. Bevor man jetzt billige Geschäftemacherei und Ausverkauf wittert: Noch auf dem Sterbebett hielt Ibrahim Ferrer fest, dass er unbedingt wünsche, dass das nun vorliegende Album Mi Sueno fertiggestellt werden sollte.

Nachdem die Demo-Bänder einige Zeit lang verschwunden gewesen waren, brachte ein kleines Ensemble um Ferrers Pianisten Roberto Fonseca, den Buena-Vista-Bassisten Orlando "Cachaito" López und den wunderbaren kubanischen Surf-Gitarristen Manuel Galbán nun endlich diese letzten, dem Tod abgerungenen Aufnahmen zu einem würdigen Ende.

Und Ferrers zwar angegriffene, oft schon in eine andere Welt weisende, aber immer noch unglaublich fein und frei phrasierende Stimme lässt dieses Vermächtnis tatsächlich zum Triumph werden. Anders als bei vielen Buena-Vista-Produktionen reduziert man die Instrumentalbegleitung auf das Allernötigste, lässt Ferrer viel Raum und phrasiert eher im US-geprägten Jazzsinn als in afrokubanischer Tradition.

So schwingt auf diesem Album neben den großen Gefühlen im Zeichen vergeblicher Liebe und Trauer immer genügend Leidenschaft und Lebensfreude mit, die diese zwölf Boleros im Hier und Heute festmachen. Liebe ist stärker als der Tod. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.3.2007)