Zürich/Frankfurt/Berlin - Die Bildung einer von Israel abgelehnten palästinensischen Einheitsregierung und die Chancen für Entspannung im Nahost-Konflikt stehen am Montag im Vordergrund internationaler Pressekommentare:
  • "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):

    "In Wahrheit dehnte (Premier Ismail) Haniyeh die bindende Abmachung von Mekka, so weit es nur ging. So skizzierte er im allerersten Programmpunkt eine rein diplomatische Initiative: 'Wir arbeiten zusammen mit den arabischen Brüdern und der internationalen Gemeinschaft daran, die Besetzung zu beenden und die legitimen Rechte unseres Volkes wiederherzustellen. Zuvorderst steht die Errichtung eines völlig souveränen palästinensischen Staates auf sämtlichen 1967 besetzten Gebieten mit der Hauptstadt Al-Quds/Jerusalem.' Das fällt auf von einem Führer einer Kampforganisation, die noch vor zwanzig Jahren die Abschaffung Israels verfochten hatte.

    Das Thema Widerstand, das die islamische Widerstandsbewegung Hamas immerhin im Namen trägt, erwähnte Haniyeh erst im dritten Kapitel, und zwar mit einem bedeutsamen Wortspiel: Er pochte auf das 'legitime Recht auf Widerstand gegen die israelische Besetzung in allen Formen'. Doch anstelle des traditionellen Zusatzes vom bewaffneten Kampf sagte er: 'den Volks- und Massenwiderstand eingeschlossen'. Von einem aktiven bewaffneten Konflikt sprach er nirgends. Vielmehr will Haniyeh die bestehende Stillhalteverpflichtung ausweiten und stabilisieren."

  • "Basler Zeitung":

    "Die Palästinenser haben mit der Bildung der neuen Regierung und deren Programm einen Schritt gemacht. Weitere müssen auf Gegenseitigkeit beruhen. Wenn die internationale Gemeinschaft von den Palästinensern nun Reformen, Verzicht auf Gewalt und die Anerkennung internationaler Abkommen erwartet, muss sie auch Israel an seine Verpflichtungen erinnern. Das Land etwa zur Respektierung des internationalen Rechts und zum Stopp des Ausbaus der Siedlungen auffordern oder seinerseits zum Gewaltverzicht ermahnen.

    Solange nur von den Besetzten, nicht aber von den Besatzern Zugeständnisse erwartet werden, empfinden (nicht nur) die Palästinenser den Diskurs der internationalen Gemeinschaft als doppelzüngig. Das stärkt nicht die friedensbereiten Kräfte, sondern die radikalen."

  • "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ):

    "Haniyeh hatte Grund zur Freude. Die Hamas behält die Oberhand. Auf eine uneingeschränkte Anerkennung Israels mussten sich die Islamisten nicht festlegen. Die neue Einheitsregierung ist ein Abbild der Stärke der Hamas und der Schwäche der Fatah von Präsident Mahmoud Abbas, der jetzt auch noch die Entscheidungen der Hamas mittragen muss. Aber beide Seiten hatten keine andere Wahl: Zu verlustreich und gefährlich wurde der Machtkampf, den sie nun einzudämmen hoffen. Dringend brauchen sie auch Hilfe (...)

    Als Belohnung für die in Mekka beschlossene Einheitsregierung stehen jetzt mehrere Millionen Dollar aus Saudi-Arabien in Aussicht. (...) Auch wenn das palästinensische Regierungsprogramm weit von den internationalen Forderungen entfernt ist, ist Bewegung entstanden: sogar Amerika will mit - einigen - der neuen Minister reden."

  • "Süddeutsche Zeitung" (München):

    "Die Hamas, die von den USA und Israel wegen ihres Aufrufs zur Zerstörung Israels als Terrororganisation eingestuft wird, hat Grund zu feiern: Hamas hält weiterhin am bewaffneten Kampf gegen Israel fest und weigert sich, dessen Existenzrecht anzuerkennen. Dennoch ist es den Islamisten gelungen, die säkulare Fatah von Präsident Abbas ins Regierungsboot zu hieven. Taktisch gewitzt hat es Hamas so geschafft, die internationale Boykott-Front aufzubrechen."

  • "Handelsblatt" (Düsseldorf):

    "Mit ihrem Nein zur neuen Regierung der Palästinenser manövriert sich die israelische Regierung geradewegs ins Abseits. Ihre kategorische Weigerung, mit dem Kabinett zusammenzuarbeiten, ist nicht mehr zeitgemäß. Denn die Palästinenser haben ein neues Programm verabschiedet, das hoffen lässt. Die Mannschaft um Ministerpräsident Haniyeh verdient daher eine Chance. Das Regierungsprogramm enthält zwar nach wie vor Forderungen, die aus israelischer Sicht nicht akzeptabel sind. Aber es finden sich doch auch Ansätze für eine pragmatischere Haltung.

    So akzeptiert das Team alle internationalen Vereinbarungen, die von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) unterschrieben worden sind. Das bedeutet zwar noch keine direkte Anerkennung Israels, aber immerhin eine implizite. An der ließe sich anknüpfen. Die Hamas rückt von ihrer sturen Politik ab - langsam zwar, aber immerhin. Zu diesem Zeitpunkt mehr zu verlangen wäre nicht realistisch."

  • "Der Tagesspiegel" (Berlin):

    "Die Palästinenser verfolgten mit der Bildung ihrer 'Regierung der nationalen Einheit' zwei Ziele: Ruhe und Geld. Sie wollten einen Bürgerkrieg verhindern und hofften auf ein Ende des internationalen Boykotts. Schon einen Tag nach der Vereidigung ihres Kabinetts hat es den Anschein, als könnten sie in absehbarer Zeit beide Ziele erreichen. Selbst wenn die internationale Gemeinschaft ihren bisherigen Boykott der Hamas-Regierung auf die neue Einheitsregierung überträgt, so wird sie doch mit den moderaten Ministern, die nicht der Hamas angehören, und mit Präsident Abbas Gespräche führen.

    Sie tut gut daran. Beim Beschluss der israelischen Regierung, die palästinensische nicht anzuerkennen und mit keinem Minister zu sprechen, wohl aber mit Abbas weiter zu kooperieren, handelt es sich um ein ziemlich absurd wirkendes Rückzugsgefecht."

  • "die tageszeitung" (taz) (Berlin):

    "Nicht nur die Palästinenser sollten nach der Vereidigung neuen palästinensischen Regierung einen Seufzer der Erleichterung von sich geben. Auch die Israelis haben allen Grund dazu. Die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten ist zwischen Fatah und Hamas geteilt. Es wäre sinnlos, ein Abkommen mit einer Hälfte der Bevölkerung zu unterzeichnen und gegen die andere Krieg zu führen. Konzessionen muss Israel in jedem Fall machen (...)

    Leider wird gerade jetzt, wo endlich eine stabile palästinensische Regierung in Sicht ist, die israelische Regierung immer schwächer. Die Unterstützungsquote für Premier Ehud Olmert geht den Umfragen zufolge auf Null zu. Alle erwarten seinen politischen Abgang innerhalb weniger Wochen, vielleicht nach der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse der Kommission über den zweiten Libanonkrieg."

  • "Frankfurter Rundschau":

    "Soll man die palästinensische Einheitsregierung nun ächten wie zuvor die Hamas? Israel hat die Frage für sich ohne lange Debatte entschieden. Man wollte die internationale Gemeinschaft auf keinen Fall im Unklaren lassen, dass man hier hundertprozentige Prinzipientreue erwartet. Nur: Der internationale Konsens bröckelt bereits. Schon wird in den europäischen Hauptstädten heftig nachgedacht, was es dazwischen gibt, zwischen Boykott und normalisierten Beziehungen. Die an die Hamas gestellte Forderung, Israel anzuerkennen, soll nicht fallen gelassen werden. Aber per Dialog klappt Überzeugungsarbeit eher als per Druck.

    Nebenbei hätte Israel von einem erzwungenen Lippenbekenntnis der Hamas nicht viel. Noch ein Argument: in der palästinensischen Koalitionsregierung sitzen neben Hamas-Ministern einige Friedensbefürworter, die staatliche Koexistenz mit Israel zweifellos bejahen. Andersherum gilt, auch im israelischen Kabinett sind beileibe nicht nur Tauben zugange. Natürlich ist die in den USA und der EU als Terrororganisation aufgelistete Hamas ein Fall für sich. Aber man soll nicht übersehen, dass sie, einst berüchtigt wegen ihrer fürchterlichen Selbstmordattentate, in einer politischen Entwicklung begriffen ist. Ihre ideologischen Konzessionen mögen bescheiden sein. Wer jedoch Handfestes will, muss die Hamas-Fatah-Koalition an Realem messen: zum Beispiel daran, die Milizen unter Kontrolle zu bringen und eine Waffenruhe durchzusetzen."

  • "Stuttgarter Zeitung":

    "Die palästinensische Einheitsregierung ist in jedem Fall eine Zäsur. Schließlich handelt es sich bei der großen Koalition zwischen Hamas und Fatah um eine Zwangsehe, die erst nach monatelangem Blutvergießen, sozusagen im Angesicht des drohenden Bürgerkrieges, zu Stande kam. Aber für viele Palästinenser, die in Gaza oder der Westbank das Ereignis vor dem Bildschirm verfolgten, ist es gerade deswegen ein Tag neuen Muts, gemischt mit Skepsis."

  • "Stuttgarter Nachrichten":

    "Israel, das nur mit Abbas Kontakte aufrecht erhalten will, sieht seine Felle davonschwimmen. Neben Frankreich und Russland will auch Norwegen wieder direkte Kontakte mit der neuen Palästinenserregierung aufnehmen. Nur die USA zeigten sich 'enttäuscht' von der neuen Regierung und machten klar, sie würden keine Regierung anerkennen, die nicht die Bedingungen des Nahost-Quartetts akzeptiere. Das Quartett verlangt von den Palästinensern eine Abkehr von der Gewalt sowie eine Anerkennung des Staates Israel und der unterzeichneten Verträge." (APA/dpa)