Alte, Pflegebedürftige, Obdachlose, Behinderte, Arbeitslose, Asylsuchende ... - alle diese Gruppen haben eines gemeinsam: Sie leben am Rand unserer Gesellschaft und sind dadurch sozial ausgegrenzt. Gemeinnützige Institutionen haben nicht nur die Aufgabe, diesen Menschen unbürokratisch und professionell zu helfen, sondern auch deren Interessen zu vertreten, um gesellschaftliche Integration zu ermöglichen.

Nun wurde bekanntlich vor einigen Wochen eine von der Regierung eingerichtete Expertengruppe beauftragt, darüber nachzudenken, wie unser Sozialsystem "treffsicherer" gestaltet werden könnte. Wobei die Teilnehmer ausdrücklich darauf hingewiesen wurden, dass man damit den leidigen "Sozialschmarotzer"-Debatten ein Ende bereiten wolle - ohne sich dabei irgendwelchen Sparzwängen unterordnen zu müssen. Es ginge vielmehr um neue, effizientere Strukturen in der Sozialpolitik. Soweit, so löblich.

Skeptiker hatten allerdings schon damals Zweifel an den vordergründig guten Absichten. Genährt wurden die Vorbehalte zum einen von der Tatsache, dass in der öffentlichen Debatte um die Zukunft der Sozialpolitik zunehmend simple Erklärungsmuster und Botschaften in den Sprachalltag Einzug halten (siehe etwa Andreas Khols Diktum "Die Böcke sollen von den Schafen getrennt werden"); zum anderen war der geradezu penetrant formulierte Missbrauchsverdacht im Sozial-und Arbeitskapitel des Regierungsprogramms (nicht etwa im Wirtschaftskapitel) nicht eben dazu angetan, vertrauensbildend zu wirken.

Dazu kommt: Wann immer in diesem Land über "Treffsicherheit" diskutiert wurde, zielte dieser Begriff automatisch auf die sozial Schwachen. Unterstützung, so heißt es dann immer, soll nur jenen gewährt werden, die sie wirklich brauchen: ein an sich einleuchtendes Argument.

Bloß: Was legitimiert uns, sofort an sozial Benachteiligte zu denken, wenn von Menschen die Rede ist, die auf unser aller Kosten das System ausnutzen? Gibt es denn diese nicht in allen Gesellschaftsschichten? Müsste daher nicht das ganze Steuersystem, die gesamte Fiskalpolitik unter die Lupe genommen werden?

Vollzugsorgane der Entsolidarisierung?

Und prompt wurde das Misstrauen dann auch bestätigt, als man nach (!) Abschluss der Arbeit der Expertengruppe die eigentlichen Ziele und Motive offen legte: Milliardensummen sollen bei Sozialleistungen eingespart werden - genau das also, was zu Beginn der Arbeit noch vehement bestritten worden war. Unter dem Deckmantel "Strukturreformen" werden reine Budgetsanierungsziele verfolgt. Und diese treffen meist nicht nur den "kleinen Mann", sondern die schwächsten Frauen und Männer in unserer Gesellschaft.

Die sozialen Organisationen stehen nun vor der "Alternative", den Bedürfnissen und Anliegen ihrer Klientel gerecht zu werden oder zu Ausführenden einer Politik zu werden, die sie aus gutem Grund ablehnen: Weil diese Politik benachteiligte Menschen zu Schuldigen macht und sie gegeneinander ausspielt, indem sie dazu auffordert, zwischen besseren und schlechteren Armen zu unterscheiden.

Durch vermehrte Privatisierungen werden diese Tendenzen noch zusätzlich verstärkt: Immer mehr staatliche Agenden werden an gemeinnützige Organisationen delegiert, was meist einer doppelten Verabschiedung gleichkommt: Abschied von der Erbringung der Dienstleistung und von der Finanzierung. Verantwortlichkeiten werden nur mehr selektiv wahrgenommen, mit dem Hinweis, es gäbe "ohnehin" soziale Organisationen, die sich um die wirklich Armen kümmern. Viele - vor allem kleinere - Sozialeinrichtungen sind aber durch die Kürzungen der Ermessensausgaben in ihrer Existenz bereits massiv bedroht, und auch die größeren müssen Federn lassen ...

Der Reifegrad einer modernen, demokratischen Gesellschaft wird nicht nur an ihrer wirtschaftlichen Potenz, sondern vor allem am Umgang mit Minderheiten und mit den Schwächsten in ihren Reihen gemessen. Moderne Sozialpolitik bedeutet, Armut effektiv zu verhindern bzw. zu bekämpfen und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu fördern. Die Sparpolitik der Regierung bewirkt genau das Gegenteil.

Mag. Werner Bachstein ist Universitätsassistent der Abteilung für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien und sozialpolitischer Referent der Caritas Wien; Markus Blümel arbeitet in der Katholischen Sozialakademie.