dieStandard.at: Altern Lesben anders?
Susanne: Ja und nein. Was wirklich anstrengend ist, sind die Fragen nach der Familie, nach den Kindern. Meine Freundinnen – die restlichen - kümmern sich rührend um mich, aber alle fragen nach der Familie.
dieStandard.at: Wer fragt dich nach der Familie?
Susanne: Die Krankenkassabehörden, das Fachpersonal in den Krankenhäusern, die Krankenschwestern. Sie haben auch schon versucht, mich ins Pflegeheim zu stecken, weil keine Familie da ist. Da haben sich meine Freundinnen aufgeführt und all das Feministische zu Familie herumgeschrieen, das mit der Gewalt an den Mädchen und der Gewalt an den Frauen und dann mit der Abwertung der alten Frauen. Das ist mir dann peinlich gewesen. Ich bin noch nicht so lange als Lesbe geoutet und bin noch nicht so daran gewöhnt, dass frau das auch einfach herausbrüllen kann, was sie sich denkt. Aber es ist dann alles auf einmal anders gegangen. Ich wurde auf einmal ganz anders versorgt. Jetzt bin ich wieder auf dem Weg zur Selbstständigkeit, wenn auch alles sehr, sehr anstrengend und zermürbend ist.
dieStandard.at: Wie lange ist es denn her, dein Outing?
Susanne: Erst so 20 Jahre ist das her. Bis dorthin habe ich als Lesbe sehr versteckt und einsam gelebt. Auch meine Mutter, mit der ich zusammenlebte, hat davon nichts gewusst. Freundinnen aus dieser Zeit – einige wenige – sind noch immer sehr erstaunt, dass ich eine Lesbe bin und nerven mich öfters mit ihrem: "So schade, dass du keine Kinder hast!" Deren Kinder leben nicht in Europa und sie sehen sie alle paar Jahre mal. Aber sie haben Kinder. Ich glaube nicht, dass die zurückkehren, wenn ihre Eltern einmal Pflege brauchen.
Ich sehe meine besten Freundinnen jede Woche. Die beiden sind um die vierzig und für mich da. Pflegen werden sie mich nicht, aber immer wieder alles organisieren helfen. Ich würde sie nicht gegen "Kinder" tauschen wollen. Ich glaube auch, dass die Heimhelferinnen besser geeignet sind zum Pflegen als die Kinder. Außerdem machen das doch alles die Töchter und nicht die "Kinder".
dieStandard.at: Du erwähnst deine restlichen Freundinnen?
Susanne: Viele haben sich aus meinem Leben zurückgezogen, genau dann, als ich konkrete Hilfe brauchte. Einige Briefe habe ich noch, wo Frauen mir zu erklären versuchten, warum sich eine Freundinnenschaft mit mir in ihrem Leben nicht mehr ausgeht. Sehr kalte Briefe waren das. Mein Leid haben sie nicht wahrnehmen können und vielleicht haben sie auch meine Sturheit nicht mehr ertragen. Ich weiß es nicht, warum so viele einfach verschwinden, vielleicht wollen sie nicht daran erinnert werden, dass auch sie selber einmal alt werden.
Alt stört sie vielleicht nicht so sehr wie hilflos. Ich war eine Zeit wirklich auf ganz viel Hilfe angewiesen. Das tut weh, wenn dann viele der Freundinnen auch noch gehen. Wir werden alle diskriminiert, aber das macht uns auch nicht besser als die anderen. Im Gegenteil, es macht Stress und krank.
dieStandard.at: Glaubst du, dass dies für Lesben anders ist?
Susanne: Ja und nein. Viele dieser Freundinnen gehörten zu meinem näheren Umfeld, zu alten Lesben-/Frauenprojekten, bei denen ich politisch gearbeitet habe und mit dem Ende der Freundinnenschaft hörte auch die Information über die lesbischen Zusammenhänge für mich auf. Die fehlt mir schon sehr. So richtig schöner "Lesbentratsch" erreicht mich gar nicht mehr. Noch dazu habe ich diese Lesbenszenen doch erst so spät entdeckt und ich habe alles – auch das nicht so Gute – sehr genossen.
dieStandard.at: Hast du jetzt gar keinen Kontakt mehr zur Szene?
Susanne: Doch, doch! Ich schaffe aber nur ein bis zwei Veranstaltungen pro Woche und nach einer Stunde bin ich schon sehr erschöpft und kann dann sehr schwer folgen. Sehr teuer sind meine "Ausflüge" auch. Ich kann mich leider (noch) nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen und die Taxifahrten sind einfach teuer.
dieStandard.at: Was sind deine größten Probleme im Alltag?
Susanne: Im Großen und Ganzen spielt sich alles gerade wieder ein. Das Betreuungsnetz in Wien ist ja ganz gut. Wenn frau es schafft, alles zu organisieren, dann läuft's schon. Einsam bin ich halt. Ich hätte gerne mehr lesbische Freundinnen in meinem Alter. Viele sind schon gestorben, viele sind krank, schwerkrank. Schön wäre es, mehrere lesbische Betreuerinnen zu haben. Da sind sicher auch einige dabei gewesen, aber viele outen sich ja nicht, so wie ich früher.
In meiner Wohnung ist es nicht zu übersehen, dass dies die Wohnung einer Lesbe ist – die Bücher, die Bilder, die Symbole – und eigentlich sagt nie eine Hetera was dazu. Wenn ich Fischen würde oder bei einem Astronomieklub wäre, würden mich sicher viele darauf anreden. Bei mir gehen viele verschiedene Hilfsdienste aus und ein und ein einziges Mal war auch eine Lesbe dabei, die mir gleich erzählt hat, dass sie auch eine ist. Da habe ich mich sehr gefreut.
dieStandard.at: Während deiner Krankenhausaufenthalte hast du auch nie Lesben getroffen?
Susanne: Zumindest keine, die mit mir darüber gesprochen hat. Apropos Krankenhäuser. Es ist sehr anstrengend, wenn frau eh schon krank ist und dann noch so vieles immer wieder neu einfordern muss. Ich lasse mich von keinem Mann waschen und ich musste dies immer wieder fordern und durchsetzen. Ich bin mir sicher, dass dies viele andere Frauen auch nicht wollen, aber mir ist dies so wichtig, dass ich das immer wieder geschafft habe. Meine Freundinnen haben dann auf meine Papiere schreiben lassen, dass ich eine Menschenrechtsaktivistin sei und dass meine Wünsche zu erfüllen seien und dass ich eh die Krankenschwestern achte und schätze und mir nur das wünsche, was wirklich wichtig ist. Das hat gewirkt.
Menschenrechtsaktivistin bin ich wirklich. Ich kämpfe für die Rechte der Lesben und jetzt da ich schon ein älteres Semester bin, wird das auch noch mehr, das Kämpfen, statt weniger. Ich dachte, es wird besser mit der Zeit. Tja, wenn es ein Altersheim für Lesben geben würde, das wäre ein Traum, da könnte ich mich dann ausruhen, mit all den lesbischen Krankenschwestern und Therapeutinnen und die wilden Streitereien würde ich auch hinnehmen, schließlich lernen wir ja daraus wieder was.
dieStandard.at: Du kennst doch sicher den Verein "Safia e.V.- Lesben gestalten ihr Alter" in Deutschland, der als Anliegen u.a. Wohnen, Versorgung und Betreuung von älteren Lesben als Thema und zum Ziel hat?
Susanne: Klar kenne ich den und ich habe auch alles, was es darüber gibt, gelesen. Leider richtet sich dieser Verein sehr an Frauen mit Vermögen und es ist sehr schwer, da hinein zu kommen. Da wir Lesben auch Frauen sind, haben wir – die meisten zumindest - auch in den Berufen mit den geringeren Verdiensten gearbeitet und daher auch wenig Pension. Ich glaube auch, dass viele Lesben weniger erben, weil sie Lesben sind. Auch das Reisen ist für mich zu beschwerlich um einmal wirklich zu einem (offenen) Treffen dieser Lesben zu fahren. Täte ich aber gerne einmal.
dieStandard.at: Was wünscht du dir denn für deine Zukunft?
Susanne: Na ja, zu einem Safia–Treffen fahren. Und nach Mexiko möchte ich reisen. Ich möchte das Haus von Frida Kahlo sehen und dann noch in ein Konzert von Chavela Vargas (mexikanische, lesbische, vierundachtzigjährige Sängerin, Anm.) gehen. Am liebsten würde ich mit jungen Lesben zusammen wohnen. Ich habe auch schon Erkundigungen bei der Gemeinde Wien eingeholt. Also es gibt keine Förderungen für Wohnungen, wo Behinderte mit Nichtbehinderten zusammen wohnen. Dies ist nicht vorgesehen.
Es ist auch nicht so leicht eine genügend große Wohnung zu finanzieren, wo wir zu dritt, zu viert zusammenleben könnten. Viel Platz bräuchten wir. Ich möchte diese Frauen ja auch nicht als Gratispflegerinnen benützen sondern mit ihnen leben. Oder ein großer ökologischer Gemeindebau für Lesben, das wäre fein.
dieStandard.at: Hättest du da nicht Angst in einem Ghetto zu leben?