Auch Edvard Munch kannte beschwingtere und farbigere Zeiten: In seinem Frühwerk – hier "Frau mit Mohnblumen" (1918/19) – fand er in der Natur Symbole für existenzielle, seelische Befindlichkeiten.

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Die Orangerie vor wenigen Wochen: Nun befindet sich dort ein dicht bewachsenes Bildergärtlein zum Thema Gartenlust.

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Marc Quinn: Ice Age (2006)

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Gezeigt werden gefällige grüne Idyllen vom Mittelalter bis zur Moderne. Für die sehenswerten Zeitgenossen muss man allerdings wieder in den Augarten reisen.

Wien – Es ist wegen der Paradeiser und Chilischoten, der Ranunkeln und Stiefmütterchen, die seit geraumer Zeit auch die jungen Städter wieder im Blumenkisterl vor dem Küchenfenster zärteln. Statt bis in die Puppen zu tanzen, wird parallel zum neuen Rühren in alten Kochtöpfen wieder gegartelt – ob im Hinterhof oder im ererbten großelterlichen Schrebergärtlein. "Neues Biedermeier" nennt sich das und ist quer durch alle Altersgruppen wirklich chic.

Seinen Niederschlag findet dieser Rückzug ins Private in einer Vielzahl von Ausstellungen zum Grün vor der Haustür: 2004 gab die Londoner Tate einen Überblick über Art of the Garden, zuletzt betrachtete man Ordnung, Inspiration und Glück der Grünidyllen im Frankfurter Städel Museum.

Im Belvedere "stört man sich nicht sehr" an der Omnipräsenz des Themas, die Lust auf den Garten lässt man sich von der Konkurrenz nicht vermiesen – auch nicht von Petrus. Der Apostel mit dem Schlüssel zum Himmel "hatte keine Gnade mit uns", kommentierte Agnes Husslein-Arco frühlingsbeschwingt das feuchtkühle Lüftchen. Die Gartenlust ist die erste Ausstellung in der Verantwortung der neuen Direktorin. Das Belvedere will sie zum "Kompetenzzentrum österreichischer Kunst" etablieren – und im unteren Belvedere, "Wiens allererstem Ausstellungsraum mit 250-jähriger Geschichte", hiesige Kunst stets im internationalen Kontext präsentieren.

Lust, ganz ohne Erotik

Für ihre "Ouvertüre", so titelt auch ihr Katalogvorwort, geht Husslein kein Wagnis ein: Ein Thema des Alltags, das nicht breiter gefasst sein könnte und massentauglich ist, obwohl nirgendwo auch nur ein Quadratzentimeter nackten Fleisches oder die Erotik einer Blüte aufblitzt. Obendrein pünktlich zu Frühlingsbeginn, wenn die Sehnsucht nach dem sprießenden Grün am Größten ist, perfekt platziert. Das Thema Garten, das sich "über die Jahrhunderte hinweg" dokumentieren lässt, konnte man zudem geschickt zu 40 Prozent aus der hauseigenen Sammlung bestücken. Noch dazu ließ die neue Direktorin in Windeseile die Orangerie zu einem modernen Ausstellungsraum umbauen, ein Unterfangen, bei dem sich die Großbaustellenerfahrung des von der Albertina abgesprungenen Vizedirektors Alfred Weidinger in den letzten Wochen als nützlich erwies.

Liest man die zehn Kapitelüberschriften, die von den Gärten des Mittelalters und des Barocks über den englischen Landschaftsgarten bis zum Jugendstil, Ex- und Impressionismus und der Moderne führen, erwartet man eine Ausstellung über weite Raumfluchten. Aber das Gegenteil tritt ein: Dicht an dicht drängen sich im neuen White Cube die mittelalterlichen Madonnen in ihren Paradiesgärtchen. Von Canalettos Blick auf die barocke Parkanlage des Belvederes bis zum Biedermeiergarten bleibt nur ein Halbschritt, und auch der Rest der Kunstgeschichte lässt sich füßeschonend abgehen. Ein Gemälde von Claude Monet allerdings einmal nicht als Ehrfurcht gebietendes Altärchen zu präsentieren, sondern in trauter Nachbarschaft mit Alfred Sisley und Johann Viktor Krämer, ist erfrischend.

Mau hingegen die Versuche, den zeitgenössischen Teil der Gartenlust schon im Belvedere beginnen zu lassen. Vollkommen verloren, weil von der barocken Ensemblemasse erdrückt, Dan Grahams Glaspavillon, der dringend verrückt gehört. Fast gänzlich unbeachtet Ian Hamilton Finlays Bronzeköpfe, die "am Gang" auf den ebenfalls generalüberholten Kammergarten blicken.

Auch das Algenwasser auf Plastiksessel, Teil einer auf den Groteskensaal antwortenden Installation von Lois & Franziska Weinberger, wird vom älteren Publikum durchwegs mit verächtlichen Blicken gestraft. – Den Weg ins Atelier im Augarten, im Park mit der ältesten barocken Gartenanlage Wiens, finden sie vermutlich nicht mehr, auch wenn Husslein das sehr "hofft". Ein Shuttle-Bus ist nicht angedacht. Obwohl sich nicht nur die zuvorkommenden Aufseher an der vernachlässigten Außenstelle, sondern auch die luftig arrangierten Kunstwerke unter dem Glasdach und den bald grünen Baumwipfeln weitaus mehr Besuch verdient hätten. (Anne Katrin Feßler/ DER STANDARD, Printausgabe, 22.03.2007)