Wien - EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner hat am Donnerstag in Wien betont, dass in Sachen EU-Verfassung "nicht wieder bei Null" angefangen werden könne. Gleichzeitig sei klar, "dass der gleiche Text den Franzosen und den Holländern nicht noch einmal vorgelegt werden kann", sagte Ferrero-Waldner laut Redetext bei einer Festveranstaltung anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Unterzeichnung der Römischen Verträge hinsichtlich der Ablehnung der Verfassung bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden. "Wir werden wohl mit Schere und Stift arbeiten müssen."

Nicht alles aufknüpfen

Die deutsche Ratspräsidentschaft müsse sicherstellen, dass nicht alles aufgeknüpft und in Frage gestellt werde. Eine neue Regierungskonferenz brauche daher ein genau definiertes Mandat, meinte Ferrero-Waldner. "Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass jene notwendigen Verbesserungen, die die Verfassung ja tatsächlich bringt und die im Interesse der Bürger sind, im Wesentlichen erhalten bleiben." Wenn man neue Nuancen setzen wolle, etwa eine stärkere Betonung des Sozialen, könne man dies auch durch eine Anreicherung etwa in Form eines Sozialprotokolls, wie es die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Längerem angedacht habe, umsetzen.

Leitl:Toter Hund EU-Verfassung

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl warnte bei einer Pressekonferenz vor der Festveranstaltung laut Aussendung vor der "Illusion", dass "der tote Hund EU-Verfassung mit noch ein paar Kompromissen wiederbelebt werden kann und das Vertrauen der Bürger gewinnt". Ausgehend von den 13 Euro-Staaten habe jetzt eine Vertiefung der Union Vorrang vor einer Erweiterung, so Leitl. Neben der Währungsunion brauche man eine gemeinsame Wirtschaftspolitik inklusive Bildung, Forschung und Infrastruktur sowie eine gemeinsame Sozialpolitik und eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Um dies zu erreichen, könne es ohne weiteres ein Europa der mehrfachen Geschwindigkeiten geben, meinte Leitl. "Niemand soll gezwungen werden, an einer Vertiefung in Richtung einer politischen Union teilzunehmen, es soll aber auch niemand daran gehindert werden."

"Wir brauchen weiterhin ein starkes und regierbares Europa"

Der Präsident der Industriellenvereinigung (IV), Veit Sorger, erklärte am Donnerstag laut einer Pressemitteilung, die IV gehe davon aus, dass es der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gelingen werde, beim Gipfel im Juni nicht nur den Fahrplan für einen neuen EU-Vertrag abzustecken, sondern auch die Eckpunkte einer inhaltlichen Einigung im Kreise der 27 Regierungschefs zu diskutieren. "Wir brauchen weiterhin ein starkes und regierbares Europa, das auf einem festen und allgemein gültigen vertraglichen Fundament aufbaut. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ist daher nur die zweitbeste Lösung", betonte Sorger.

Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel forderte bei der Veranstaltung in der Nationalbank "ein soziales Europa, das Arbeit schafft". Auch nach 50 Jahren sei die EU "ein unvollendetes Projekt". Wirtschaftliche Ziele zählten noch immer viel mehr als soziale Zielsetzungen. "Die Lissabon-Ziele werden nicht erreicht, das zeigen mehr als 20 Millionen Arbeitssuchende in der EU ganz deutlich", sagte Tumpel laut einer Aussendung.

Der AK-Präsident trat für eine Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, mehr Verantwortung der EZB für Wachstum und Beschäftigung sowie Maßnahmen gegen Steuerwettlauf ein. Zudem meinte Tumpel, Österreich müsse die Übergangsfristen für den Arbeitsmarkt bis 2011 voll ausschöpfen. "Der österreichische Arbeitsmarkt braucht diesen Schutz. Wir müssen in diesen Jahren noch mehr in die Bildung, in Forschung und in Infrastruktur investieren. Wer die Übergangsfristen in Frage stellt, gefährdet den österreichischen Arbeitsmarkt." (APA)