Genau hundert Jahre später, im Jahr 2000, starben zwei der heute knapp 664.000 Ost- und Nordtiroler an Tuberkulose. Ganz Österreich verzeichnete im Jahr 2005 nur noch 981 Patienten, die in den meisten Fällen erfolgreich behandelt werden konnten. Ist die Bedrohung durch den hochansteckenden Erreger also Geschichte?
"Mitnichten", sagt die Tuberkulose-Expertin Lucica Ditiu von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Tuberkulose sei nach wie vor eine der größten Gesundheitsgefahren für die Menschheit. Etwa zwei Millionen sterben jährlich an Tuberkulose - mit steigender Tendenz. "Etwa zwei Milliarden tragen den Erreger in sich", sagt Ditiu. Und bei zehn Prozent der Infizierten bricht die Krankheit auch aus.
Das, was sich bei einer Infektion im Körper abspielt, nennt Stefan Kaufmann, Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin, einen "kalten Krieg zwischen Körper und Mikrobe". Zellen dienen als Trojanische Pferde, in denen sich die Bakterien verstecken. "Brechen sie aus, kommen die T-Helfer-Zellen, um sie zügig zu vernichten", so Kaufmann.
Ursache Armut
Gewöhnlich gewinnen die Helferzellen und damit der Mensch. Doch vor allem in Afrika, Indien und Osteuropa trifft der Erreger auf zwei Faktoren, die ihm das Überleben und die Ausbreitung leicht machen: Armut und Aids.
"Armut ist seit jeher einer der größten Krankheitsverursacher - auch in Europa", mahnt Rudolf Rumetshofer, Leiter des Arbeitskreises Tuberkulose der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie. Die HI-Viren entkräften das Abwehrsystem zudem, weil sie eben die T-Helfer-Zellen außer Kraft setzen. Die Folgen müssen Ärzte fast machtlos mit ansehen: Wegen mangelnder Gesundheitsversorgung entwickeln sich Keime, gegen die Medikamente wirkungslos sind.
"Gerade diese resistenten Vertreter nehmen bei aller positiver Bilanz in Westeuropa auch in Österreich wieder zu: Waren es 2003 noch zwölf, hatten wir 2004 18 Fälle zu verzeichnen", warnt Rumetshofer. Eingeführt werden sie großteils von Immigranten aus Osteuropa und Afrika. Tatsächlich machten Einwanderer fast die Hälfte der TBC-Fälle in Österreich aus, bestätigt der Lungenfacharzt.
Ein wesentliches Problem sehen die Experten in der Behandlung. Sie dauert im besten Fall sechs Monate und darf nicht unterbrochen werden, um auch das letzte versteckte Bakterium zu vernichten. Bereits nach zwei Monaten geht es den Patienten äußerlich wieder bestens.
"Sie dann dazu zu bewegen, die Medikamente noch vier weitere Monate einzunehmen und gleichzeitig auf Alkohol zu verzichten, ist schwierig", weiß Rumetshofer aus leidvoller Erfahrung. Doch aufgrund von zu kurzen Behandlungen konnten die Erreger Resistenzen entwickeln.
Nötige neue Mittel
Deshalb sind neue Medikamente dringend vonnöten. Doch in der Pharmabranche herrschte viele Jahre lang Flaute. Sinkende TBC-Fälle in den Industrienationen versprachen keine rauschenden Gewinne. Erst seit die Zahl der multiresistenten Mikroben bedenklich zugenommen hat, Mediziner laut Alarm schlagen und Hilfsorganisationen wie etwa die Gates-Foundation die Forschung finanzkräftig unterstützen, tut sich etwas auf dem Markt.
Inzwischen sind zwölf neue Präparate in der Pipeline. Das Wiener Biotech-Unternehmen Intercell entwickelt derzeit mit dem dänischen Statens-Serum-Institut (SSI) einen Impfstoff gegen Tuberkulose. "Das fatale an der derzeitige Impfung ist, dass sie lediglich Kinder - und die auch nur leidlich gut - schützt", sagt Gerd Zettlmeissl, Geschäftsführer von Intercell. Ein Eiweiß kombiniert mit einem Wirkstoff, der die T-Zellen des Körpers aktiviert, wird derzeit am Menschen getestet. "Die ersten klinischen Versuche zeigen eine gute Immunantwort", sagt Zettlmeissl zuversichtlich.