Leipzig - Seit der Kanzlerschaft von Angela Merkel ist es im politischen Gefüge Deutschlands nicht mehr so wie früher. Das belegt eine Untersuchung der Berliner Humboldt-Universität, die heute auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt wurde. Die Autorinnen hatten rund 200 Artikel, die wichtigsten Fernsehsendungen sowie alle Wahlkampfprogramme von 2002 und 2005 in Deutschland analysiert und waren zu dem Schluss gekommen: Eine bisherige Männerdomäne wurde erobert - unter Zustimmung der Öffentlichkeit und Bedenken der bisher Mächtigen.

Zwei Irritationsmomente habe die Kandidatur Angela Merkels für das Amt der Bundeskanzlerin verursacht, sagt die Leiterin der Untersuchung, die Soziologin Sylka Scholz: Zum einen strebte "das Weibliche" das höchste Regierungsamt an. Zum anderen entsprach aber die Darstellung in den Medien nicht dem üblichen Geschlechtsbild, weshalb man mitunter von "das Merkel" sprach. Und aus "Kandidat" wurde die abschätzige Frage "Kann die dat".

Testosteronbombe Schröder

Während im TV-Duell mit Kanzler Schröder Merkel zurückhaltend geblieben sei, aber dennoch die Waffen in die Hand genommen habe und sich nicht habe beirren lassen, wurde dem Wahlverlierer Schröder sein emotionaler Ausritt bei der so genannten Elefantenrunde am Wahlabend als "Testosteronbombe" übel genommen. "Mir war schon vorher aufgefallen, dass mit der Kandidatur einer Frau Politik noch immer als männlich besetzt galt", sagt Scholz und führt als Beweis an, dass erst mit Merkels Antreten der sogenannte "Anden-Pakt" mehrerer CDU-Ministerpräsidenten in den Medien bekannt wurde.

Kritik von Männern

Eine These von Sylka Scholz lautet, dass die Kritik an den männlichen Rekrutierungsmaßnahmen noch am Wahlabend eingesetzt habe. Schon im Wahlkampf hätten Grüne und Linkspartei Probleme mit geschlechtergerechter Ämterbesetzung gehabt, die Grünen mit Joschka Fischer als Spitzenmann und die PDS/Linkspartei mit der männlichen Doppelspitze Gysi/Lafontaine. "Da ist ein Stein ins Rollen gekommen", konstatiert Scholz.

Bereits am Abend der Nominierung Merkels zur Kanzlerin einer großen Koalition hätten die Parteichefs von SPD und CSU, Müntefering und Stoiber, ihre Richtlinienkompetenz in Frage gestellt. Dies sei in der Öffentlichkeit auf große Aufmerksamkeit und Kritik gestoßen, die sich bei der misslungenen Kandidatur von Andrea Nahles als SPD-Generalsekretärin fortgesetzt habe.

Hoffnungsträgerin

Auffallend für Scholz war Merkels häufige Verwendung "veralteter Klischees aus dem 19. Jahrhundert", wie etwa "Fleißigkeit", die sowohl Ostdeutschen wie Frauen zugeschrieben würden. Dennoch sei Merkel als Hoffnungsträgerin für einen neuen Stil hochgeschrieben worden, erkannte die Untersuchung. Nach der Nominierung von Matthias Platzeck zum SPD-Chef, der so wie Merkel eine DDR-Vergangenheit hat, war in den Medien von "Aufbruch Ost" und "Ossis sind jetzt die Bossis" zu lesen. Das Resümee von Soziologin Scholz: "Der neue politische Stil konnte nun durch einen Mann eher vermittelt werden." Das wollte man denn doch nicht auch noch einer Frau überlassen. (APA)