STANDARD: Wie sind Sie mit den Skinheads in Kontakt getreten?

Schweizer: Ich interessiere mich seit 1996 für die Skinhead-Bewegung und drehte 1998 einen ersten Dokumentarfilm mit dem Titel SKIN OR DIE über die so genannten „Hammerskins“, eine neonazistische Skinhead-Gruppierung amerikanischen Ursprungs, die in Europa Konzerte veranstaltete. In diesem Film untersuchte ich Entwicklungen in der Schweiz, Dänemark und Deutschland. Es ist eine Reportage über die Musiknetzwerke rechtsextremer Gruppen.

Nach diesem Film, der in der Schweiz und Frankreich eine starke Wirkung hatte, bekam ich Lust, einen Film über die Geschichte der Skinhead-Bewegung von ihren Anfängen bis heute zu drehen. Dieses Thema war noch nie behandelt worden. So drehte ich 2003 SKINHEAD ATTITUDE, einen Langfilm, der die wahre Geschichte dieser Subkultur erzählt: ihre Entstehung in einem ethnisch gemischten Milieu im England der 60-er Jahre, Skinhead-Reggae und Ska, und später die Vereinnahmung dieser ursprünglich unpolitisch oder linksgerichteten Bewegung durch die Neonazis.

Im Anschluss an diesen Film, der ein breites Publikum erreichte, erhielt ich zahlreiche Kommentare und auch Filme von Skinheads. Ich war unfreiwillig zu einer Art Spezialist für die Bewegung geworden, denn ich hatte mit Skinheads in der Schweiz, Frankreich, England, Deutschland, Dänemark, Schweden, Italien und den USA gesprochen. Manche Skinheads betrachteten mich als eine Art Ethnologen. Ich selbst sah mich in erster Linie als Filmemacher, der sich für eine wenig bekannte, wenn auch oft stark mediatisierte Subkultur interessiert.

So erhielt ich Videos von schwedischen Gruppen, darunter die berüchtigten „Kriegsberichter“-Kassetten der neonazistischen Gruppe „Blood and Honour“, die ganz neue Erkenntnisse über die Verbindungen zwischen skandinavischen, amerikanischen und russischen Skinheads lieferten. Diese Videos belegten die Entstehung einer neuen, immer gewalttätigeren und radikaleren neonazistischen Skinhead-Generation über nationale Grenzen hinaus.

Ich beschloss daraufhin, meine Arbeit als Dokumentarfilmer, der die ungeschönte Realität abbildet, fortzusetzen und zu untersuchen, was von der Schweiz bis Schweden, aber auch in den USA und Russland vor sich ging. Doch WHITE TERROR befasst sich nicht nur mit Skinheads, sondern mit allen rechtsradikalen Gruppen, die eine Art internationale WHITE-POWER-Bewegung geschaffen haben.

STANDARD: Wie haben Sie die Erlaubnis erhalten, bestimmte Situationen zu filmen? Könnten Sie einige Beispiele nennen?

Schweizer: Den Zugang zu diesen sehr hermetischen Gruppen verdanke ich meinem Ruf als Historiker der Skinhead-Bewegung durch den Film SKINHEAD ATTITUDE. Dank meiner konsequenten Arbeitsweise und dem Erfolg meiner vorherigen Filme ließen sich manche Gruppen erstmals von uns filmen. Das war eine heikle Sache, aber ich sagte ihnen, dass ich ihre Ansichten nicht teilte und Angst vor ihnen hätte, aber dennoch gern verstehen würde, was vor sich ging. Auch hier betonte ich wieder meinen „ethnologischen“ Ansatz und sagte, ich wolle die reale Situation filmen und bräuchte daher eine zweijährige Vorbereitungszeit für den Film.

Die Tatsache, dass ich ein unabhängiger Filmemacher und kein Journalist bin, erleichterte mir die Arbeit, denn die Herangehensweise ist nicht dieselbe. In einigen Fällen hatte ich trotzdem mit Schwierigkeiten zu kämpfen, denn die Verantwortlichen hatten Angst vor den möglichen Folgen einer Enthüllung ihres Beziehungsgeflechts im Film. So wurden wir z.B. in Deutschland bedroht, denn nach deutschem Recht hätten die Organisatoren bestimmter Konzerte oder Versammlungen strafrechtlich verfolgt werden können, wenn wir diese gefilmt hätten. Jedes Mal waren lange Verhandlungen erforderlich. Daher dauerte die Arbeit an dem Film zwei Jahre.

In den USA und Russland hat uns die Tatsache, dass wir Pastor Butler treffen und filmen konnten und er uns sein letztes Interview gab (er starb wenige Wochen nach unserer Begegnung) zu einem gewissen Ruf verholfen. Für die Extremisten waren wir das Team, das die letzten Bilder des Begründers der „Aryan Nation“ gedreht hatte.

STANDARD: Die Beteiligten erscheinen relativ offen. Wie konnten Sie ihr Vertrauen gewinnen?

Schweizer: Das liegt daran, dass wir uns zum Drehen Zeit ließen. Ich sagte den Leuten, dass ich kein Reporter bin, sondern Regisseur. Daher verliefen die Interviews anders, unsere Gespräche dauerten sehr lange, auch wenn im Film davon nur wenige Minuten übrig blieben. Die Skinheads waren überrascht, dass wir sie oft mehrere Tage lang begleiten wollten und auch an Treffen teilnahmen. Sie waren erstaunt über unsere Verfügbarkeit und unsere große Präsenz in den verschiedenen Ländern. Für manche war es das erste Mal, dass ein Filmteam so lange bei ihnen blieb. In einigen Fällen entstand aufgrund unserer „anderen“ Arbeitsweise ein Vertrauensverhältnis.

STANDARD: Wie haben sich die Skinheads verhalten? Konnten Sie mit ihnen reden?

Schweizer: Die Reaktionen waren jedes Mal anders. Einige Gruppen, mit denen ich bereits bei meinen früheren Recherchen in Kontakt war, standen mir relativ offen gegenüber: Sie hatten meine Filme gesehen und wussten, wer ich war. Es kam immer darauf an, den richtigen Abstand zu meinem Gesprächspartner zu finden – weder zu nah noch zu distanziert. Mein Film sollte so realitätsnah wie möglich werden. Ich sagte ihnen, ich sei so etwas wie ein Ethnologe und sie ein sonderbarer Stamm, den ich filmen wolle. Es war ganz klar, dass ich ihre Ansichten nicht teilte und manchmal auch Angst vor ihnen hatte, aber ich wollte die Wirklichkeit filmen.

Eine Diskussion über ihre Ideen kam für mich nicht in Frage, denn wir hatten nicht dieselben Wertvorstellungen. Ich sagte ihnen, ich verträte jüdisch-christlichen Werte und hätte nicht dasselbe Weltbild wie sie, wolle aber dennoch versuchen, ihre Welt zu verstehen, um einen möglichst authentischen Film zu drehen. Dieses Streben nach Authentizität und Wahrheit war für die Skinheads sicherlich oft überraschend.

In einem Punkt war ich unnachgiebig: Wenn die Skinheads uns eine Veranstaltung filmen ließen, mussten sie auch gegenüber ihren Mitgliedern unsere Sicherheit gewährleisten. Manchmal standen Extremisten unserer Kamera ablehnend gegenüber, und die Lage konnte rasch sehr kompliziert werden. Wir brauchten viel Geduld und mussten stets Ruhe bewahren.

STANDARD: Gab es auch brenzlige Situationen?

Schweizer: In Schweden gerieten wir bei dem nächtlichen Aufmarsch in Salem in Gefahr. Dieses europäische Treffen wurde zum ersten Mal „von innen“ gefilmt, und beim Verlassen des Drehortes mussten wir sehr aufpassen, denn einige Teilnehmer hatten uns bedroht. Außerdem wurde unsere Arbeit durch die Haltung der Polizei erschwert, die ebenfalls versuchte, uns am Filmen zu hindern.

Und in den USA wollten beim Treffen in Valley Forge Mitglieder des Ku Klux Klans und der KSS Skinheads nicht gefilmt werden. Als am Ende der Veranstaltung die Polizei abrückte, gab man uns zu verstehen, wir müssten sehr aufpassen, da auch dort einige Extremisten unsere Ausrüstung zerstören wollten. Wir mussten sehr schnell verschwinden. Stets mussten wir aufpassen, dass die Situation nicht eskalierte.

In Russland lehnten uns einige Mitglieder der Gruppen, denen wir begegnet sind, ab. Ihnen gefielen viele Fragen nicht, die wir stellten. Es störte sie auch, dass wir Verbindungen zu den Amerikanern aufzeigten. Einmal mussten wir sogar ein Interview vorzeitig abbrechen, weil unsere Gesprächspartner erwogen, uns nicht wieder gehen zu lassen. All diese Situationen waren ziemlich ungewohnt und heikel. Ich habe aber durchgehalten, weil ich wusste, dass dies der letzte Teil meiner Trilogie würde und ich danach diese Welt und diese Leute nicht mehr filmen würde.

STANDARD: Sie haben in Schweden, Deutschland, Russland, den USA und der Schweiz recherchiert. Warum haben Sie gerade diese Länder gewählt?

Schweizer: Wir folgten den Gruppen auf der Kassette „Kriegsberichter 5“, die uns als Leitfaden diente. Wir wollten in den verschiedenen Ländern die Gruppen aufspüren, die enge Verbindungen unter Schweizern, Deutschen, Schweden, Amerikanern und Russen unterhalten, um diese Vernetzung zu belegen. Dies ist der Beweis für das Bestehen einer internationalen WHITE-POWER-Bewegung, deren Mitglieder sich regelmäßig treffen.

Es gibt keine Grenzen und keine Nationalismen mehr. Das wäre noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen. Dieser Film beweist, dass die neue Generation der Rechtsradikalen international vernetzt ist.

STANDARD: Im Film entsteht der Eindruck, dass Sie ständig von der Polizei gestört werden. Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass die Polizei die Rechtsextremisten toleriert?

Schweizer: In manchen Fällen hat die Polizei mehr Angst vor den Bildern, die in den Medien erscheinen könnten. Die Polizei will vermeiden, dass die Realität dieses Phänomens öffentlich diskutiert wird, denn sie weiß nicht, was sie dagegen tun soll. Skinheads und Neonazis denken oft, dass sie tun können, was sie wollen, solange die Presse nicht dabei zuschaut und es keine Bilder von ihnen gibt. In mehreren Fällen (in Schweden und den USA) fühlten sie sich von der Polizei beschützt. Mehrmals versuchte auch die Polizei zu erfahren, was wir gefilmt hatten, als würden unsere Bilder aus dieser Welt stören.

STANDARD: In der Szene vom Treffen in den USA macht ein kleines Mädchen den Hitlergruß. Haben Sie nähere Informationen über dieses Mädchen?

Schweizer: Dieses kleine Mädchen war mit seinem Vater gekommen. Es gehört der Gruppe „Aryan Nation“ an und teilt deren Ideen, wie z.B. „My skin is my religion“.

STANDARD: Wo besteht Ihrer Meinung nach die einflussreichste rechtsextreme Szene?

Schweizer: Die Ideologen sitzen in Amerika, aber die einzelnen Gruppen haben „Chapters“ in den verschiedenen europäischen Ländern gegründet. Am stärksten auf dem Vormarsch sind die Rechtsextremisten vielleicht in den Ländern des ehemaligen Ostblocks: Russland, Serbien und Ungarn. Und Schweden fungiert wegen seiner toleranteren Gesetzgebung als Drehscheibe zwischen den USA und Deutschland.

STANDARD: Erlebt die extreme Rechte derzeit einen Boom?

Schweizer: Eine neue Generation nimmt gerade das Heft in die Hand. Es gibt nicht nur einen Anführer, sondern verschiedene Bosse, die den Kampf organisieren. Sie reden nicht mehr von Nationalsozialismus, sondern von WHITE POWER, d.h. Verteidigung der weißen Rasse, oder sogar (wie in Russland) von „White Dschihad“. Das sind sehr starke Worte, und deren Bedeutung zu erkennen ist sehr wichtig. Diese Menschen zielen darauf ab, die Demokratien zu schwächen, um an die Macht zu gelangen. Wir haben es mit einer unbestimmten Masse radikaler Gruppierungen zu tun, die alle der Vorstellung anhängen, ein Rassenkrieg sei unausweichlich.

Die extreme Rechte hat heute den Eindruck, dass die Menschen weniger Angst vor ihr haben, und viele Jugendliche teilen gewisse rechtsextreme Vorstellungen. Am schockierendsten ist die französische Front National, deren Doppelzüngigkeit im Film klar zutage tritt. Offiziell spielt sie das Spiel der Demokratie, und vor den russischen Nazis der „Slavic Union“ sagt die Nummer 6 der FN: „Ihr seid unsere Zukunft“, und die Menschen im Saal antworten mit dem Hitlergruß. Ist das nicht alarmierend? Die extreme Rechte gewinnt langsam, aber sicher an Einfluss, und ihre radikalsten Vertreter leben halb im Untergrund.

STANDARD: Im Film ist die Rede vom „Virus der Angst vor dem Unbekannten“. Welche Rolle spielen die Medien hierbei?

Schweizer: „Virus of xenophobia“ ... Ich glaube, dass die Medien zu oft den Rechtsextremismus als Klischee behandeln und sich nicht die Zeit nehmen, hinter die Fassade zu blicken. Ich denke, dass man den Mut haben muss, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind: Die neonazistischen Gruppen verbergen sich heute unter dem Deckmantel der White-Power-Bewegung.

Wir sind über diese Tatsache, die „rechtschaffene“ Leute stört, nur sehr schlecht informiert. Unsere Gesellschaft will der Wahrheit nicht immer ins Gesicht sehen, und auch gewisse Medien machen sich nicht mehr die Mühe einer eingehenden Untersuchung. Skinheads und Neonazis werden als Schreckgespenster dargestellt, aber die Wirklichkeit ist komplexer. Man muss sich vor vereinfachenden Klischees hüten. Ich bin überzeugt, dass es uns heute an Informationen über radikale neonazistische Gruppen fehlt. Seit dem 11. September ist in den Medien nur noch von islamischen Extremisten die Rede, und wir haben die Feinde im Inneren vergessen, die eine Gefahr für die Demokratie darstellen. In Europa sind die Rechtsradikalen ein absolutes Tabu. Wir sollten jedoch nie vergessen, was bereits Bertolt Brecht sagte: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“.