Auf der Flucht war die Annenstraße in Graz "Symbol der Sicherheit" für Talic.

Foto: Zebra
Graz - "Im Lager habe ich oft die Augen geschlossen und mir vorgestellt, in Graz die Annenstraße hinunterzugehen", erinnert sich Izmir Talic an die 1990er-Jahre, "dann hab ich mir überlegt, ob ich wohl noch einmal über diese Straße gehen werde."

Die Annenstraße, über die man vom Hauptbahnhof in die Grazer Innenstadt gelangt, war für den Bosnier zum Synonym für Sicherheit geworden, nachdem er Anfang 1992 als Flüchtling nach Graz gekommen war. Aber diese Sicherheit sollte er bald wieder verlieren: Als Talic, damals Ende 20, ein Jahr später versuchte, seine Eltern nach Graz zu holen, kam er aus Bosnien nicht mehr heraus. Die Familie wurde vertrieben und verbrachte ein Jahr in der Türkei, bevor sie 1994 gemeinsam nach Graz zurückkehrte. Dort kam der gelernte Sozialpädagoge zum Flüchtlingshilfsverein Zebra, wo er erst Klient und später Mitarbeiter war: Er betreute Flüchtlingskinder.

Auch sein weiteres Leben wurde durch Zebra und die damals gesetzlich noch nicht verhinderte Möglichkeit zu arbeiten positiv beeinflusst: Als er am Freitag nach vielen Jahren wieder zu Besuch bei seinen alten Zebra-Kollegen war, empfingen diese - wenn auch privat - einen ehemaligen Minister und jetzigen Botschafter Bosniens in Slowenien.

Anzug statt T-Shirt

Statt T-Shirts trägt Izmir Talic heute Anzug und Krawatte, aber das Plaudern über die alten Zeiten lässt erahnen, dass der Mann hier schöne Tage verbracht hat, die ihm das unfreiwillige Exil erträglich machten. Denn Flucht und Krieg sind immer eine schreckliche Erfahrung, die Talic "nicht einmal dem größten Feind" wünscht.

Die Arbeit des jungen Bosniers war auch für den Verein ein "Glücksfall", erinnert sich Zebra-Geschäftsführerin Edith Glanzer: "Es war toll, weil er nicht nur Sozialpädagoge war, sondern fließend bosnisch und türkisch sprach." Glanzer weiß gut, wie viele Talente seit dem neuen Fremdengesetz in Flüchtlingslagern auf Arbeitserlaubnis warten und wertvolle Jahre der Integration versäumen. "Für dieses Land und seine Wirtschaft ist es eine Schande, dass man dieses Potenzial nicht nutzt", kritisiert sie.

Wertlose Zeugnisse Talic wiederum betont, dass "nichts ohne die Sprache geht". Doch neben dem Mangel an Sprachkursen sei in Österreich die Nostrifizierung ausländischer Zeugnisse besonders schwierig. In Finnland etwa gebe es eine eigene Stelle, die Zeugnisse und Diplome adäquat anerkenne, doch Österreich lasse geflüchtete Akademiker lieber putzen. "Mit mir sind damals bekannte Ärzte gekommen - sie haben hier jahrelang als Pfleger gearbeitet", erinnert sich der Diplomat. (Colette M. Schmidt/DER STANDARD-Printausgabe, 26.03.2007)