Christa Wirthumer-Hoche ist Institutsleiterin und Bereichsleiter-Stellvertreterin am Institut Zulassung & Lifecycle Management der AGES PharmMed

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Marcus Müllner ist Bereichsleiter der AGES PharmMed

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Da der Stoffwechseln Erwachsener anders funktioniert als der von Kindern kann die Wirksamkeit von Medikamenten nicht auf den wachsenden Organismus umgesetzt werden. Seit 26. Jänner 2007 ist deshalb die so genannte 'Paediatric Regulation', die neue EU-Verordnung für die Sicherheit von Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche in Kraft. Die EMEA (European Medicines Agency) wird bis Ende Juli diesen Jahres ein eigenes pädiatrisches Komitee aufstellen, das sich unter anderem mit Fragen der Zulassung von Medikamenten speziell für Kinder beschäftigen wird. Ein Fakt: Dazu sind Medikamententests an Kindern nötig.

Zusätzlich sollen Anreize für die Pharmaindustrie geschaffen werden, Substanzen für die Pädiatrie zu entwickeln oder auszubauen. Christa Wirthumer-Hoche und Marcus Müllner von der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) erklärten Marietta Türk die genauen Umstände.

derStandard.at: Was ist nun der Unterschied bei der Zulassung eines Medikamentes im Vergleich zu vorher?

Müllner: Der große Unterschied ist, dass egal welches Arzneimittel jetzt zugelassen wird, es muss eine explizite Stellungnahme geben, warum es eventuell nicht für Kinder indiziert ist. Das muss auch dann im 'Paediatric Commitee' abgesegnet werden. Wenn es diesen Grund nicht gibt, dann ist die Firma verpflichtet, Kinder im Entwicklungsprogramm zu haben. Die Pharmafirmen können sich jetzt also überhaupt nicht mehr aussuchen, ob sie für Kinder entwickeln oder nicht. Wenn das Arzneimittel potenziell für Kinder verwendbar ist, müssen Studien dazu gemacht werden.

derStandard.at: Wie werden die Kinder ausgesucht, die an einer Studie teilnehmen?

Wirthumer-Hoche: Man braucht die Zustimmung der Eltern und auch der Kinder selbst. Es kann sein, dass die Eltern vom behandelnden Arzt angesprochen werden.

Müllner: Grundsätzlich wird nur bei kranken Kindern getestet. Bei einer schweren Krankheit tritt häufig das Forschungszentrum an die Eltern und Kinder heran. Oft gibt es auch Patientenorganisationen, Netzwerke, die dafür sorgen, dass diese Informationen nach außen getragen werden. Ich kann mir vorstellen, dass Eltern auch selbst nachfragen.

derStandard.at: Wie sehen die klinischen Tests an Kindern in der Praxis aus?

Müllner: Man testet bei diesen Studien etwas, von dem man nicht weiß, ob es gut oder schlecht ist. Bei einer klinischen Studie gibt es einfach dieses gewisse Maß an Ungewissheit. Es wird generell immer randomisiert, das heißt der Zufall entscheidet ob jemand in der Therapie- oder Kontrollgruppe ist. Das weiß dann weder Arzt noch Patient.

derStandard.at Welche Phasen werden durchlaufen?

Die erste Phase ist: Verträgt es der Mensch überhaupt? Dann schaut man primär auf die Wirksamkeit, nicht so sehr auf die Gefahren des Arzneimittels. Natürlich: Letztlich ist es schon ein Abwägen von Nutzen und Risiko. Das Problem ist, um etwas über das Risiko zu erfahren, braucht man oft viel größere Patientenpopulationen, als im Rahmen der klinischen Studie möglich sind.

Das durchschnittliche Entwicklungsprogramm eines neuen Wirkstoffs beinhaltet ein paar hundert, bestenfalls ein paar tausend Patienten. Bei Kindern werden die Fallzahlen noch deutlich geringer sein. Stellen Sie eine unerwünschte Nebenwirkung vor, die dramatisch ist, aber vielleicht so selten wie einmal in zehntausend Anwendungen: Das kann man in der Phase der klinischen Erprobung nicht entdecken.

derStandard.at Wie geht man dann vor?

Müllner: Die Überwachung der eventuellen Nebenwirkungen kommt nachher. Das Festmachen der Sicherheit kann erst langfristig passieren. Das nennt man Pharmakovigilanz. Da gibt es jetzt auch für Kinder eigene Pläne, wie eine strengere Definition und damit eine bessere Pharmakovigilanz bei Kindern erreicht werden kann.

derStandard.at: Wie sehen Sie das ethische Dilemma: Einerseits wird es jetzt in Zukunft mehr sichere Arzneimittel für Kinder und Jugendliche geben, andererseits aber auch mehr Studien an ihnen?

Müllner: Das ist in Wahrheit kein Widerspruch. Das Problem ist vielmehr, dass jetzt die Arzneimittelsicherheit für Kinder nicht sehr gut ist, weil es eben keine Studien gab. Natürlich, die Studien bergen ein gewisses Sicherheitsrisiko, aber das ist kalkuliert. Wenn man keine Studien durchführen würde, hätte man eben ein unkalkuliertes Riesenrisiko. Das Ziel ist, dass Arzneimittel für Kinder besser und sicherer werden.

derStandard.at: Klinische Studien bis hin zur Marktzulassung dauern bis zu zehn Jahre. Wie lange wird es dauern, bis Kinderarzneimittel sicherer werden?

Müllner: Wenn ein Medikament in die klinische Phase III eintritt, dauert es in der Regel zwei bis vier Jahre, bis es dann zugelassen ist. Ab 2008 werden die ersten pädiatrischen, also nach dieser Verordnung durchgeführten Studien zugelassen. Das sind natürlich ein paar Tropfen auf heißen Stein, es wird natürlich Jahrzehnte dauern, bis dieser Korb gefüllt wird.

Wirthumer-Hoche: Aber das heißt nicht, dass wir erst in zehn Jahren die ersten Ergebnisse haben, weil die zehn Jahre beziehen sich vom Molekülscreening in der Forschung bis zur Zulassung. Bei der Umsetzung dieser 'Paediatric Regulation' sprechen wir ja auch von schon bekannten Molekülen, die im Entwicklungsplan schon weiter sind und jetzt eben bei Kindern getestet werden.

derStandard.at: Werden durch die neue Verordnung mehr Arzneimittel für Kinder auf den Markt kommen?

Wirthumer-Hoche: Ich glaube nicht, dass mehr auf den Markt kommen werden, aber sie werden sicherer sein. Man wird den Therapiebedarf erheben, Therapielücken für Kinder identifizieren und dann der Industrie vermehrt Anreize setzen, dass sie auf diesem Gebiet forschen soll.

Müllner: Bei der Behandlung von Kindern sehr häufig ist der so genannte Off-Label-Use. Das heißt Arzneimittel werden für etwas verwendet, wofür es offiziell keine Zulassung und keine entsprechenden Sicherheitsdaten gibt. Die Absicht dieser neuen Gesetzgebung ist eben, gute Sicherheitsdaten zu erhalten.

derStandard.at: Welche Anreize für Firmen gibt es, dass an schon bekannten und aus dem Patent gelaufenen Wirkstoffen noch Kinderstudien durchgeführt werden?

Wirthumer-Hoche: Eine Möglichkeit ist ein um sechs Monate verlängerter Patentschutz, wenn eine Substanz noch im Patent ist.

Müllner: Das klingt zwar wenig, aber da ist so viel Geld im Spiel, dass eine Verlängerung von vier Wochen schon gefeiert wird.

Wirthumer-Hoche: Wenn bei einer Substanz kein aktives Patent mehr läuft, gibt es die Möglichkeit der speziellen Marktzulassung für Kinderarzneimittel.

Müllner: Wenn die Substanz für eine seltene Krankheit bei Kindern ist, dann bekommen Sie noch einmal zwei Jahre Exklusivität dazu.

derStandard.at: Der Stoffwechsel von Kindern ist ja anders als bei Erwachsenen. Welche Abhängigkeiten gibt es bei der Medikamentenaufnahme?

Müllner: Der Stoffwechsel ist altersabhängig. Das reicht von der Aufnahme von Arzneimitteln in den Körper, über die Verteilung, die Rezeptorwirkung, die Metabolisierung, die Wirkung bis hin zum Abbau des Mittels und zur Aussscheidung. Das alles kann vollkommen identisch, aber auch vollkommen unterschiedlich sein. Neugeborenen haben zum Beispiel diverse Enzyme, die noch nicht reif sind, das Immunsystem funktioniert noch anders. Auch der Fettanteil ist bei Kindern viel höher als bei Jugendlichen und da gibt es dann wiederum Unterschiede bei Buben und Mädchen.

derStandard.at: Welche Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern gibt es bei den Darreichungsformen?

Wirthumer-Hoche: Diese sind natürlich von den Pharmafirmen zu überdenken und altersabhängig. Denkbar ungeeignet sind zum Beispiel große Kapseln, die Kinder einfach nicht schlucken können. Da muss man auf Säfte umstellen, orale Zubereitungen, die man auflösen kann. Das ist sicher auch eine Frage, mit der sich das 'Paediatric Commitee' beschäftigen wird.

Müllner: Das, was uns plausibel erscheint ist nicht immer das, was Patienten auch brauchen. Ein konkretes Beispiel: Ein inhalatives Antibiotikum für Kinder mit Zystischer Fibrose. Die EMEA hat Patientengruppen befragt, ob das wirklich ein so genanntes 'significant benefit' ist. Herausgekommen ist, dass die befragten Kinder zwischen zehn und 14 Jahren diese Inhalation nicht mochten, weil es ihnen zu lange dauerte und nicht gut schmeckte. Lieber als dreimal 40 Minuten inhalieren, wäre ihnen eine einmalige Infusion gewesen.

derStandard.at: Geplant ist auch ein EU-weites Symbol für Arzneimittel, die für Kinder zugelassen sind. Wie wird dieses Symbol ausschauen?

Müllner: Es ist gar nicht so einfach so ein Symbol zu finden, das EU-weit nicht Verwirrung stiftet.

Wirthumer-Hoche: In Diskussion war 'p' für 'paediatric', aber das geht nicht, weil in England alle rezeptpflichtigen Mittel mit einem 'P' gekennzeichnet sind. Man hat sich auch einen stilisierten Babykopf überlegt. Aber das symbolisiert wiederum nicht die gesamte Altersgruppe bis 18 Jahre. Man weiß noch nicht welches Symbol man verwenden wird. Für die Kennzeichnungspflicht gibt es eine zweijährige Übergangsfrist.