Henikoff: Ich gebe ein Seminar und treffe mich mit Kollegen am Gregor-Mendel-Institut, die so wie ich an der Pflanze Arabidopsis (Ackerschmalwand; siehe unten) Forschung betreiben. An meinem Institut in Seattle nutzen wir auch die Drosophila (Fruchtfliege) und andere Organismen für epigenetische Arbeiten. Dabei haben wir eines gelernt, das für Pflanzen und Tiere gleichermaßen gilt.
Das Problem ist zunächst einfach formuliert: Wie werden genetische Instruktionen weitergegeben, wenn sich eine Zelle zweiteilt? Die verschiedenen Zelltypen im Körper haben ja alle dieselbe DNA-Sequenz. Nun wissen wir zwar einiges darüber, wie sie sich differenziert haben. Aber wie merken sie sich, was sie geworden sind?
STANDARD: Bei Epigenetik geht es um die Weitergabe von Eigenschaften auf nächste Generationen, von Änderungen in der Gen-Regulation. Das untersuchen Sie an den genannten Objekten?
Henikoff: Wir wollen die Programme dieser Änderungen verstehen lernen. Die Programme sind in Pflanzen und Tieren gleich, sie nutzen dieselben Komponenten, obwohl sie sonst sehr früh in der Evolution divergieren.
STANDARD: Wie lassen sich diese Programme verstehen?
Henikoff: Die grundlegenden Mechanismen werden parallel an den verschiedensten Orten weltweit untersucht; das ist ja ein Grund, warum ich da bin. Ich habe gerade mit Kollegen in der Gruppe von Thomas Jenuwein (am Institut für Molekulare Pathologie - IMP) gesprochen, die mit Mäusen arbeitet, und dabei habe ich Gemeinsamkeiten festgestellt. Was wir also für das "zelluläre Gedächtnis" verantwortlich machen, könnte in den unterschiedlichsten Organismen von gemeinsamen Grundbestandteilen herkommen, dem genetischen Grundmaterial.
STANDARD: Sagen Sie mehr über die Änderungsprogramme.
Henikoff: Ich habe vor zehn Jahren begonnen, mit der Ackerschmalwand-Pflanze zu arbeiten. Insbesondere wollte ich wissen, wie DNA-Methylierung funktioniert (die Addition von bestimmten Methylgruppen an DNA, hauptsächlich an der Base Cytosin, die dadurch verändert wird). Seit Langem versucht man zu verstehen, wie hier die epigenetische Vererbung funktioniert. Wenn Cytosin modifiziert und dadurch zu einer Art fünften Base wird, dann scheint das mit dem Auftreten von Krebs zu tun zu haben. Da arbeitet man an einem Zellvorgang in einer Pflanze, und es stellt sich heraus, dass ein Zusammenhang mit einer Krankheit bei Menschen besteht!
STANDARD: Das muss gerade in einem Krebsforschungszentrum ein entsprechendes Echo haben.
Henikoff: Ja, wir haben am Hutchinson Center eine Krebs-Epigenetik-Initiative organisiert. Wir schauen uns etwa an, warum in allen Krebsarten DNA-Methylierung reduziert ist. Wir können die Veränderung immer genauer messen. Einige Forscher verwenden die Methoden bereits, um aus dieser Warte Krebs an Menschen zu untersuchen.
Ein Kollege von mir arbeitet an präkanzerösen Zuständen der Speiseröhre. Dieser Status - noch nicht Krebs selbst - kann erkannt werden. Interessanterweise lässt sich feststellen, dass das Methylierungsniveau sich verändert. Das ließe sich auch an Biopsien feststellen, doch meist sind es noch zu wenige Zellen.
STANDARD: Sind es nicht viele tausende Zellen, die dabei entnommen werden?
Henikoff: Das sind aber nicht genug, um die Änderungen der DNA-Methylierung zu quantifizieren. Es wäre schön, wenn wir das schon könnten. So aber verbessern wir die Techniken noch an den Pflanzen, und das ist bereits eine große Herausforderung.
STANDARD: Wohin kann diese Forschung führen?
Henikoff: Eben genau zu einer Früherkennung. Darum müssen wir mehr über die epigenetische Basis von Krebs in Erfahrung bringen. Dass er genetische Wurzeln hat, das wissen wir. Aber dieselben Gene, die Krebs verursachen, sind überdurchschnittlich oft methyliert und ausgeschaltet. Und die aufregendste Perspektive ist die folgende: Eine genetische Mutation ist irreversibel, epigenetische Veränderungen hingegen sind es von Natur aus nicht. Wir wissen zwar noch nicht, wie man die Veränderungen rückgängig macht.
STANDARD: Aber vielleicht eines Tages.
Henikoff: Eben. Und es werden bereits Medikamente klinisch getestet, die das tun. Sie zielen auf die Enzyme, die Methyl zur DNA addieren. Sie sind viel genauer und beruhen auf anderen Mechanismen als die üblichen chemotherapeutischen Mittel, die vergleichsweise mittelalterlich sind. Da gibt es noch sehr viel zu tun. Für uns ist das Wichtigste, die Grundlagen am Arabidopsis-Modell besser zu verstehen. (Michael Freund/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 3. 2007)
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Entschlüsselte Modellpflanze der Biologie
Für die Landwirtschaft hat es keine große Bedeutung, aber seit den 1940er-Jahren ist das kleine, stark verbreitete Unkraut Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) ein bedeutendes Modellsystem in der experimentellen Biologie. Mit einer Genomgröße von ungefähr 130 Millionen Basen (Mb) hat Arabidopsis das kleinste Genom einer Blütenpflanze. Die Zahl der Gene wird auf 25.000 geschätzt; die Chromosomenzahl ist mit 2n=10 vergleichsweise niedrig. Sie lässt sich einfach kultivieren, Mutanten können in Stock-Centern bestellt werde. Intensive Diskussionen unter den Teilnehmern der Vierten Internationalen Konferenz für Arabidopsis-Forschung, 1990 organisiert von Dieter Schweizer, heute Leiter des Wiener Gregor-Mendel-Instituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, führten zum 'Multinationalen Arabidopsis-Genomprojekt'. Im Jahr 2000 wurde ihr Genom als das erste einer Pflanze entschlüsselt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 3. 2007)