Der Slogan vom "Feinkostladen Europas" ist aufgegangen: mehr Exporte, ausgeglichene Bilanz.

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Über den Wandel der Branche und die Auswirkungen auf den Konsumenten berichtet Johanna Ruzicka.

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Die österreichische Lebensmittelindustrie begreift sich mittlerweile als Erfolgsstory und gleichauf mit hoch exportorientierten Hightech-Industrien.

Dabei war noch vor ein paar Jahren die Stimmung ganz anders. Vor dem EU-Beitritt ging das große Zittern um: Weggefegt vom Markt würde die relativ klein strukturierte Branche werden, wurde befürchtet. Eine Flut neuer, billiger ausländischer Produkte würde in die Regale der Supermarktketten Einzug halten. Die sowieso spärlichen Exporte würden angesichts des offenen europäischen Marktes noch weiter zurückgehen.

Dass keines der Szenarien eingetreten ist, hat vor allem zwei Gründe: Erstens eine hohe Loyalität, ja "Konsumpatriotismus" des österreichischen Konsumenten zu heimischen Produkten. Zweitens eine Exportoffensive in die neuen EU-Mitgliedstaaten, die etwa gleichzeitig mit dem EU-Beitritt strategisch angegangen wurde und die bei den bei den dortigen Konsumenten angenommen wurde (siehe Grafik).

Tiefpunkt im Jahr 2000

Heute steht die österreichische Lebensmittelindustrie hochweiß da. Seit dem Tiefpunkt im Jahr 2000 steigt der Jahresumsatz kontinuierlich und erreichte zuletzt fast 6,5 Milliarden Euro. Gleichzeitig wuchsen die Exporte. Im Jahr 2000 lag die Exportquote bei 36 Prozent und verdoppelte sich bis zum Vorjahr auf 63 Prozent. "Von drei in Österreich produzierten Artikeln gehen mittlerweile zwei ins Ausland", sagt Michael L. Blass, Geschäftsführer des Fachverbands der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Dass Österreich als kleines Land eine ausgeglichene Agrarhandelsbilanz hat, "hätte man sich vor ein paar Jahren nicht träumen lassen", meint Blass.

Mit dieser Professionalisierung ging auch ein Strukturwandel einher, der schon vor über zehn Jahren einsetzte und wahrscheinlich noch immer nicht zu Ende ist. Von 346 Unternehmen im Jahr 1995 schrumpfte die Branche um ein Viertel auf knapp 225 Betriebe; der Mitarbeiterstand reduzierte sich in diesem Zeitraum von 35.500 auf 27.143 (vorläufige Zahlen 2006). "Es wurden größere Einheiten geschaffen", sagt Blass.

Weiterentwicklung der Marken

Viel gearbeitet wurde auch an Marken und deren Weiterentwicklung, teilweise mit ausländischen Eigentümern. Der Bonbonerzeuger Englhofer wechselte von Nestlé zu Storck; der Wiener Süßwarenproduzent Egger belebte alteingesessene Marken wie Sportgummi oder Eibischteig. Überhaupt, sagt Blass, entwickelten sich zwei Branchen zur Speerspitze des Erfolges: Die Süßwarenindustrie und der Getränkesektor, hier vor allem Red Bull. Letztere schafften es, die Marke international tief zu verankern. Außerdem in der Riege der besonders erfolgreichen Exporteure: Der Zuckerproduzent Agrana, der in Fruchtzubereitungen und Fruchtsaftkonzentrate diversifizierte und damit zu einem der weltweit größten Anbieter aufstieg. Gewachsen auch Leipnik-Lundenburger, die über Akquisitionen zum größten Müller Deutschlands aufstiegen und sich bei östlichen Nachbarn einkaufen.

Mit der Notwendigkeit, größere Einheiten zu schaffen, liegt Österreich Schulter an Schulter mit den EU-Staaten. In Europa nämlich ist die Nahrung- und Getränkeindustrie zwar eine der größten Branchen, aber mit wenigen Ausnahmen klein- und kleinst- strukturiert. Die Hälfte der vier Millionen Beschäftigten in der Branche arbeitet in kleinen Betrieben. Umgesetzt werden 840 Milliarden Euro.

Starker Konkurrenzdruck

Was den heimischen Inlandsmarkt betrifft, unterliegt die Branche einem starken Konkurrenzdruck. Vor allem weil die Bevölkerung nicht nennenswert wächst und sich der Markt damit auch nicht vergrößert. Ein zusätzlicher Nachfrageschub kommt deshalb Großveranstaltungen wie etwa der kommenden Fußball-Europameisterschaft zu. "Solche Events laufen ja auch über die Gastronomie ab", erklärt Blass.

Naturgemäß stöhnt die Branche unter der großen Handelskonzentration und dem engen Korsett, in dem die die Lebensmittelhersteller als Zulieferer an die Supermärkte stecken. Steigende Rohwarenpreise auf den Weltmärkten, etwa bei Haselnüssen oder Kakao, könnten nicht schnell und entsprechend übergewälzt werden.

Exporte werden wichtiger

Wegen dieser Sättigung am Inlandsmarkt wird künftig den Exporten noch stärkere Bedeutung zugemessen. Nach Osteuropa sollen über Exportinitiativen auch der Süden Europas, etwa die Balkanstaaten, angegangen werden; außerdem ist in den Golfstaaten das Potenzial für Lebensmittel made in Austria noch nicht ausgeschöpft.

Diese Exportoffensive kam anlässlich der Diskussionen um Klimaschutz erst kürzlich ins Kreuzfeuer der Kritik. Verlogen sei, heimische Lebensmittel im Ausland zu pushen und gleichzeitig darüber nachzudenken, ob Herr und Frau Österreicher auf die Unterschiede zwischen ausländischen und heimischen Lebensmitteln mit "Transportpickerln" aufmerksam gemacht werden sollen, kritisierte SP-Geschäftsführer Josef Kalina anlässlich der Präsentation einer Studie, die die beim Transport von Nahrungsmitteln verursachten Treibhausgase miteinander verglich. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31.3./1.4.2007)