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Novells "Chief Technology and Strategy Officer for Open Source", Nat Friedman

Foto: Archiv
Seit Jahren ist Nat Friedman eine der treibenden Kräfte hinter der Weiterentwicklung des Linux Desktops. Zuerst mit seinem eigenen Unternehmen Ximian, das er gemeinsam mit Mono-Entwicklungschef Miguel de Icaza gegründet hatte, nach dessen Übernahme durch Novell nun mit Verstärkung durch den traditionsreichen Softwarehersteller. Vor wenigen Monaten hat er für seine Anstrengungen rund um den SUSE Linux Enterprise Desktop den "Technologist of the Year"-Award des angesehenen VarBusiness-Magazins erhalten. Innerhalb von Novell ist er mittlerweile zum "Chief Technology and Strategy Officer for Open Source" aufgestiegen, übersieht mit gerade mal 29 Jahren nun also neben dem Desktop- auch den Linux-Server-Bereich.

Andreas Proschofsky hat am Rande der unlängst in Salt Lake City stattgefundenen Hausmesse von Novell, der Brainshare, die Möglichkeit mit Friedman ein Interview zu führen, in dessen Verlauf es wieder einmal schwerpunktmäßig um den Desktop-Bereich gehen sollte, aber auch die Konsequenzen des Microsoft-Abkommens und die Fehler in der Entwicklung der E-Mail- und Kalendersoftware Hula zur Sprache kamen.

Anm.: Das Interview gibt es auch im englischen Original.

derStandard.at: Was sind die wichtigsten Neuerungen, die für das Service Pack 1 des SUSE Linux Enterprise Desktop (SLED) geplant sind?

Nat Friedman: Service Pack 1 ist keine große "Feature Release" für uns. Zu den spannendsten Neuerungen gehören aber wohl die, die durch die Zusammenarbeit mit KundInnen, die den SLED bereits in ihren Produktivumgebungen einsetzen - zum Beispiel mit Peugeot - entstanden sind. Als Konsequenz daraus haben wir eine Menge Kraft in die Verbesserung der Interoperabilität gesteckt, etwa in die Bereiche Active Directory oder auch beim Drucken. Außerdem haben wir viele Verbesserungen am Microsoft Exchange Support vorgenommen, dieser ist nun wesentlich ausgereifter als zuvor.

derStandard.at: Wurde dabei auch in Erwägung gezogen einen MAPI-basierten Connector (wie es Outlook selbst macht) statt der (von Evolution benutzten) Anbindung an Outlook Web Access zu entwickeln?

Nat Friedman: Ja, das haben wir, aber MAPI ist äußerst umfangreich und kompliziert aufgebaut, und nicht alles davon ist vernünftig dokumentiert, insofern wäre dies wohl eine erhebliche Kraftanstrengung. Jetzt machen wird das ja per Webdav, was wesentlich einfacher ist, da das Interface dokumentiert ist. Klar ist es langsamer, aber wir denken, dass es ausreichend für die Bedürfnisse der meisten BenutzerInnen ist.

derStandard.at: Angesichts dessen, dass der Groupware-Client Evolution ein zentrales Stück des Desktops ist, verwundert es doch etwas, dass es den Anschein hat, dass derzeit nicht mehr sonderlich viele EntwicklerInnen von Novell dafür abgestellt werden. Vor allem auch, wenn es um die Entwicklung neuer Features geht.

Nat Friedman: Das stimmt so nicht, Evolution wird von unserem Bangalore-Team betreut. An dieser Situation hat sich in den letzten 18-24 Monaten nichts verändert.

derStandard.at: Aber es gibt einen gewissen Mangel an externen EntwicklerInnen...

Nat Friedman: Auch dem würde ich nicht zustimmen. Im Gegenteil gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die in der Community und auch bei anderen Firmen zur Weiterentwicklung von Evolution beitragen. Ein Beispiel wäre Scalix. Sicher, sie sind hauptsächlich damit beschäftigt ihr eigenes Backend zu entwickeln, im Zuge dessen nehmen sie aber auch grundlegende Verbesserungen vor, die in den Kern der Software wandern.

Und dann gibt es natürlich noch die Leute in der Community, die den Evolution Code für ihre eigenen Zwecke anpassen, wie etwa die Contacts und Dates-Anwendungen zeigen. Diese setzen auf dem Evolution Data Server (EDS) auf, was eine feine Sache ist, da genau solche Anwendungen der Grund waren, warum wir den EDS ausgelagert haben. Auf diese Weise könnte es sogar sein, dass sie so bereits am künftigen Interface von Evolution arbeiten, immerhin haben sie die Möglichkeit frei zu experimentieren, und wenn sich daraus etwas Interessantes ergibt, kann ich mir vorstellen, dass wir das jetzige Evolution Interface mit einem neuen UI ersetzen.

Ein weiteres Beispiel ist die Tinymail-Entwicklung von Philip van Hoof, in deren Verlauf er massive Performance-Verbesserungen an unser Mailzugriffsbibliothek Camel vorgenommen hat.

Bild: Contacts, eine der Anwendungen, die auf dem Evolution Data Server aufsetzt

derStandard.at: Allerdings sind die meisten dieser Änderungen bisher nicht in den Evolution aufgenommen worden.

Nat Friedman: Nun, sicherlich ist vieles bisher noch nicht aufgenommen worden, dies liegt aber vor allem daran, dass Philip extrem produktiv ist, und es so schwierig ist, alles zu übernehmen. Aber es gibt auch vieles, was bereits in den Evolution gewandert ist.

Alles in Allem haben wir eine riesige Anwendung mit 300.000-400.000 Zeilen Code, wir haben rund ein Dutzend EntwicklerInnen innerhalb von Novell, dazu kommen einige von außen und in anderen Firmen, insofern bin ich eigentlich ziemlich zufrieden, mit der Arbeit, die hier passiert.

derStandard.at: Zurückkommend auf Service Pack 1...

Nat Friedman: Neben dem, was ich bereits erwähnt habe, gibt es noch einige Usability-Verbesserungen. Dazu gehören etwa Änderungen an unserem Hauptmenü, eine neue Weltuhr und vieles mehr. Der Hauptteil der Arbeit ist aber in die Verbesserung der Hardwarekompatibilität gegangen, entsprechend gibt es z.B. unzählige zusätzlich Druckertreiber. Aus unserer Zusammenarbeit mit Peugeot ist auch eine erhebliche Verbesserung des Lenovo-Laptop-Supports entstanden, da der Autohersteller vor allem Lenovo X60 und T60 Laptops zum Einsatz bringt. So funktioniert nun etwa endlich auch das Hot Docking und Undocking.

Bild: SLED SP1 bietet ein überarbeitetes Hauptmenü

derStandard.at: Warum wurde das Hauptmenü ein weiteres Mal neu geschrieben?

Nat Friedman: Es wurde nicht vollständig neu geschrieben. Aber es gab zwei gute Gründe für die vorgenommenen Änderungen: Da wäre einmal das Feedback durch die UserInnen, die Verbesserungsvorschläge gemacht haben. Außerdem hat sich herausgestellt, dass einige Sachen nicht so funktionieren, wie wir sie uns ursprünglich ausgedacht hatten. Dazu gehört etwa der Wechsel auf die zuletzt verwendeten Anwendungen. Darum haben wir nun einfach die zwei zuletzt aufgerufenen Programme in die Hauptansicht aufgenommen.

Außerdem wurde die Stabilität verbessert, auch der Speicherverbrauch ist nun deutlich reduziert worden.

derStandard.at: Ein problematischer Bereich ist aber weiter der Application Browser (der beim Klicken auf den Button "Weitere Anwendungen" aufgerufen wird, Anm.). Einige BenutzerInnen haben sich darüber beklagt, dass er beim ersten Aufruf zu lange braucht, um verfügbar zu sein, was den eigenen Workflow unterbricht.

Nat Friedman: Nun, ja Service Pack 1 ist ja noch nicht veröffentlicht, es gibt also sicher noch einiges zu tun. Wir haben uns für diesen Bereich klare Performance-Ziele gesetzt, sowohl das Hauptmenü selbst als auch der Application Browser sollten in weniger als einer Zehntel Sekunde verfügbar sein.

Davon abgesehen haben wir im Service Pack 1 einige unserer zentralen Anwendungen aktualisiert, so liefern wir nun den Firefox 2, Flash 9 und ein Upgrade für den Acrobat Reader aus. Und natürlich gab es unzählige Verbesserungen an Compiz. Bei meiner Keynote habe ich eine Liste mit 350 Einträgen präsentiert, und das ist genau das, was das SP1 ausmacht: Nicht ein oder zwei große Punkte sondern viele kleinere Verbesserungen.

Bild: Die neue Weltzeituhr im SLED SP1

derStandard.at: Trotzdem ist das um einiges mehr, als man sonst so in ein Service Pack packt, oder?

Nat Friedman: Ja das stimmt schon. Für uns ist der SLED 10 eine Art "Erste Generation"-Produkt, insofern ist das Service Pack dazu da, diese Basis zu verfestigen und Lehren aus dem Feedback unserer KonsumentInnen zu ziehen.

derStandard.at: Mit der ursprünglichen Release des SLED 10 haben Sie auch eine Real / HelixCode-Backend für den Musikplayer Banshee eingeführt, das die Auslieferung von legalem MP3-Support ermöglichte. Wenn ich mich richtig entsinne, gab es damals Bestrebungen, eine ähnliche Lösung auch für Video-Codecs zu finden, im speziellen für Windows Media. Ist das weiterhin geplant?

Nat Friedman: Das ist es definitiv. Eigentlich wollten wir das in Service Pack 1 haben. Momentan warten wir aber noch darauf, dass uns Real Networks ein funktionierendes Windows Media Audio und Video-Decoding liefert, leider sind sie damit in Verzug. So bald wir das haben, werden wir es an unsere KundInnen ausliefern, auch unabhängig vom Zeitpunkt der Veröffentlichung des Service Pack 1.

Bild: Der Musik-Player Banshee bietet nun Podcast-Support aber noch keine Unterstützung für WMA

derStandard.at: Hat man auch DVD-Unterstützung in Erwägung gezogen?

Nat Friedman: Haben wir. Aber das Problem dabei ist, dass man dafür nicht nur MPEG-2 für Video sondern auch MP3 und Dolby Decoding für Audio sowie CSS lizenzieren muss, was doch einige Komponenten sind. Der teuerste Bestandteil davon ist MPEG-2, der uns alleine 2 Dollar pro Lizenz kosten würde. Angesichts unseres niedrigen Preises, müssten wir das als zusätzlichen Kauf anbieten, sonst könnten wir unseren KundInnen keine interessanten Preisabschläge mehr anbieten.

derStandard.at: Nach einem - wie es den Anschein macht - recht erfolgreichen Start des SLED, gibt es da auch neue EntwicklerInnen für das Desktop Team?

Nat Friedman: Wir haben schon jetzt ein ziemlich großes Desktop Team, mittlerweile arbeiten bereits mehr als 80 EntwicklerInnen rund um die Welt in diesem Bereich für uns. Dazu zählen Leute, die an X.org, OpenOffice.org, Evolution, Firefox, GNOME und anderen Paketen arbeiten. Zusätzlich haben wir aber auch noch einige offen ausgeschriebene Stellen.

derStandard.at: Angesichts der stark negativen Reaktion vieler Leute in der Community auf den Microsoft-Deal, hat man Angst, dass es für Novell schwieriger wird, die eigenen Entwicklungen in die Upstream-Projekte zu bekommen?

Nat Friedman: Das kann ich bisher überhaupt nicht bestätigen. Ich meine, Flamewars hat es in der Linux Community schon immer gegeben, das ist bis zu einem gewissen Grad Teil der Community-Kultur. Natürlich gibt es aus dem Abkommen resultierende Konsequenzen, wie ja nicht zu übersehen war. Aber nicht in der Art, dass jemand hergeht und sagt: "Novell hat eine Abkommen mit Microsoft gemacht, also nehmen wir ihre Patches nicht mehr auf". Zusätzlich kommen viele dieser negativen Meinungen ja nicht von denen, die in der Position sind, Patches anzunehmen, sondern mehr von Leuten, die die Rolle von "professionellen KommentatorInnen" in der Community annehmen wollen.

derStandard.at: Trotzdem scheint es ziemlich negative Reaktionen auf das von Novell entwickelte neue Hauptmenü gegeben zu haben (das für die Aufnahme in GNOME 2.18 vorgeschlagen war, und abgelehnt wurde)

Nat Friedman: Schon, aber sein wir hier doch mal ganz ehrlich. Ich habe den Diskussions-Thread gelesen, und sofern ich das beurteilen kann, war die Ablehnung auf Feedback wie "Es verbraucht zuviel Speicher" oder dass es noch nicht ausgereift sei - eine Einschätzung, die wir natürlich nicht teilen - basiert. Das hat aber nichts mit irgendwelchen Business-Entscheidungen von Novell zu tun.

derStandard.at: Dann gibt es aber natürlich noch die Desktop-Suche Beagle, die mehr oder wenigen vom Tracker-Projekt in C reimplementiert wird, weil sie mit Mono entwickelt wurde.

Nat Friedman: Sicher, aber das ist doch nichts anderes, als unter Linux stetig passiert. Sehen wir uns doch nur mal an, wie viele X-Server, wie viele Window Manager wir haben. Das ist einfach ein ganz normaler Vorgang in der Community.

Beagle hat viele Stärken, es indiziert so gut wie alles, es reagiert extrem schnell auf Abfragen, es gibt mehrere grafische Interfaces dafür und es hat eine leicht erweiterbare Architektur. In der Vergangenheit hatte Beagle vor allem ein Problem - den Speicherverbrauch. Aber auch das hat sich in den letzten Versionen erheblich verbessert. Eine aktuelle Beagle-Version verbraucht im Schnitt gerade mal noch 25 MByte Speicher, und die EntwicklerInnen arbeiten konstant an der weiteren Verbesserung dieses Wertes, das Ziel ist mit rund 8 MByte aus zu kommen.

Tracker bietet hingegen nicht mal die Hälfte der Funktionalität von Beagle. Trotzdem ist es natürlich ok, wenn Leute andere Indizierer implementieren wollen, auch wenn ich persönlich denke, dass es dafür keinen Bedarf gibt.

Ich erwarte, dass mit der weiteren Reduktion des Speicherverbrauchs von Beagle die Software in seiner Verbreitung noch dominanter wird.

Bild: Die Desktop-Suche Beagle

derStandard.at: Arbeitet man bei Novell derzeit an Tagging-Unterstützung für den Desktop?

Nat Friedman: Beagle-Entwickler Joe Shaw kümmert sich da gerade darum. Er hat vor kurzem einen Weblog-Eintrag über ein Metadata-Speicherinterface für Beagle verfasst, welches Tagging ermöglichen sollte. Das war genau das eine Feature, das Tracker voraus hatte, jetzt kann das Beagle eben auch.

derStandard.at: Wie interessiert ist man daran, etwas ähnliches wie Time Machine (Mac OS X) oder Shadow Copy (Windows) zu implementieren, wodurch ältere Versionen von Dateien leicht wieder hergestellt werden können?

Nat Friedman: Das ist sicherlich eine interessante Idee, die es lohnen würde, sie umzusetzen. Momentan bin ich mir noch nicht sicher, wie wir das implementieren würde. Das ist aber sicher etwas, über das wir für den SLED 11 nachdenken werden.

derStandard.at: Ist eine tiefere Integration des Desktops mit Web-Services geplant?

Nat Friedman: Es gibt in diesem Bereich einige interessante Experiment, die wir verfolgen, um - wenn etwas daraus entsteht - die richtigen Teile herauszupicken. So ist etwa einer der nächsten Schritte für Gimmie die Integration mit Web-Services. Damit kann man dann etwa mithilfe des Flickr-Accounts erkennen, ob jemand online ist.

Abgesehen davon geh ich mal davon aus, dass die Mugshot-Entwicklung von Red Hat in diese Richtung gehen wird, immerhin haben sie da einerseits dieses Web-Service-Ding und andererseits ihre Desktop-Erfahrung, da sieht es nach einem natürlichen Schritt aus, dies miteinander zu verknüpfen.

Bild: Mugshot

derStandard.at: Was lief bei der Entwicklung der E-Mail und Kalendersoftware Hula falsch? (deren Entwicklung Novell mittlerweile abgegeben hat, Anm.)

Nat Friedman: Nun, ich denke wir haben hier einige Lektion gelernt. Der größte Fehler den wir gemacht haben, war sicherlich, dass wir nie eine Release gemacht haben, was es erschwert hat, eine Community entstehen zu lassen. Wir waren einfach davon überzeugt, dass das was wir hier tun, so großartig ist, dass jeder, wenn wir die Software mal veröffentlichen, richtiggehend weggeblasen wird.

Erfreulicherweise hat aber mittlerweile einer der Novell-Kunden, Messaging Architects, Hula übernommen und wird die Software weiterentwickeln. Das ist etwas, das mich auch persönlich sehr erfreut hat, immerhin ist in Hula einiges an großartiger Technik zu finden, wie etwa das AJAX-Interface.

Zusätzlich gibt es noch eine Abspaltung von Hula namens Bongo, wo wirklich gute Arbeit passiert, also bin ich zuversichtlich, dass Hula durch die beiden weiterleben wird.

derStandard.at: Danke für das Gespräch.

(Andreas Proschofsky)