...die auch an die New Yorker Met gehen wird, machte nun als lustiges Fest der virtuosen Stimmen in Wien Station.
Wien – Theoretisch gibt es Zeiten des Ernstseins und jene des heiteren Zerkugelns; jene des Denkens und solche, da man am besten seine Verstandeskräfte, alle Fragen nach Logik und Ethik an der Garderobe abgibt – an jener der Wiener Staatsoper, was seit einiger Zeit nichts mehr kostet.
Da solche Trennungen des Gefühlten und des Gedachten allerdings selten vollkommen gelingen, ist man zumeist als fühldenkender Mix unterwegs, für den es denn auch unmöglich ist, nur Ohr zu sein – und so schleichen sich in der Staatsoper einfach zwischen den vielen hohen Tönen Fragen ein. Etwa, warum es nötig war, die Handlung der Regimentstochter gerade in den Ersten Weltkrieg zu verlegen.
Das wär nun wirklich nicht nötig gewesen. Regisseur Laurent Pelly begegnet der Geschichte von 1500 lustigen Kriegern, die ein Baby adoptieren und bis ins Fräuleinalter umsorgen, ohnedies mit jener "Deutungskühnheit", die man gemeinhin sommerlichen Operetten angedeihen lässt. Man hätte ruhig in Napoleons Zeit bleiben können.
Dies hätte in uns das staunende Kind aktiviert, das sich am Anblick der auf Landkarten herumhopsenden (Bühnenbild: Chantal Thomas) oder besoffen herumtorkelnden Soldaten erfreut. Man hätte einfach genossen, dass der Regie manch spaßiges Gruppenbild gelang, wenn die Soldaten etwa zu einer Marie anhimmelnden Massenskulptur erstarren oder Gäste der Hochzeitsvertragsunterzeichnung gebrechlich herumwanken.
Andererseits: So schlimm war's auch wieder nicht. Es entfaltet die groteske Geschichte schon aus sich heraus eine denkvertreibende Sogwirkung, und wie man bemerkt, dass Natalie Dessay virtuos auf diesen humorigen Zug aufspringt, ist man dem naiven Vergnügen doch wieder recht nahe.
Dessay müsste sich gar nicht als ruppige Manieren verinnerlichende Göre, als eine Art derbe Pippi Langstrumpf outen, müsste nicht in der Gesangsstunde Gesten zitierend Assoziationen an Offenbachs Olympia – wie sie Dessay selbst an der Staatsoper darstellte – wecken.
Es reichte vollkommen, wenn sie Gemüse schält oder Soldatenwäsche bügelt, um seltenes Darstellungskönnen zu demonstrieren. Eines, dass mit den Melodielinien verschmilzt. So kommen Koloraturen nicht als sinnfreier Artistikgesang daher; sie sind eine sinnvolle vokale Konsequenz erfühlter Situationen.
Dessay ist der pointenreiche, sich bisweilen ins Groteske steigernde Mittelpunkt eines harmlosen Abends, gewissermaßen die Personifizierung dessen, was diese Inszenierung hätte werden können, wenn sie das Lächerliche der Geschichte inspiriert ins Absurde, Surreale weitergedreht hätte. Doch Mutlosigkeit ist hier der rote Faden: Die Soldaten und Tonio (ja, der darstellerisch etwas unbeholfene Juan Diego Flórez bringt in der Cavatine alle neun hohen Cs!) kommen zum Finale mit einem kleinen Panzer dahergefahren.
Und der beklatschte Auftritt von Montserrat Cabalé (als Duchesse de Crakentorp) wirkt unvorteilhaft inszeniert und nur unfreiwillig pointenreich, wenn die Koordination der Gags misslingt und die alte Operndame (sie singt ein Schweizer Volkslied) textlich etwas ins Schwimmen gerät.
Ziemlich bieder
Bei ihr wirkt natürlich auch Orientierungslosigkeit sympathisch, fast möchte man ihr für den 12. April, wenn sie auf der Bühne der Staatsoper in dieser Produktion ihren 74. Geburtstag feiert, wünschen, dass sie abermals das Regiekonzept spontan unterläuft, es für diese kurzen Augenblicke vom Flair der biederen Boulevardkomödie befreit, die für Opernverhältnisse durch Janina Baechle (als Marquise de Berkenfield) und den souveränen Carlos Álvarez (als Sulpice) aber gut umgesetzt wurde.
Verrückter, verdrehter, extremer – das hätte wohl auch szenische Spannung ergeben. So bliebt der Genuss von Stimmen, wobei die sehr gute Dessay offenbar nicht mehr jene frühere unglaubliche Sicherheit der Linien anzubieten hat, bisweilen Unsicherheit zeigt und auch vom Timbre her ein paar Unebenheiten nicht verbergen kann.
Sie klingt aber noch immer beeindruckend, und hat – wie man so sagt – von den Philharmonikern unter Yves Abel eine spritzige Begleitung erfahren. Ein durch Szenenapplaus verlängerter Abend ging schließlich ob der alle treffenden Begeisterung noch ein Weilchen weiter ... (Ljubisa Tosic/ DER STANDARD, Printausgabe, 2.4.2007)