Wien - Als "barbarische Wilde", Kopf- und Menschenjäger erlangten die im Nordosten Indiens beheimateten Stammesgruppen der Naga in westlichen Kreisen Ruhm - begleitet von Abscheu, aber auch Faszination. Die österreichische Sozialwissenschafterin Hilde Schäffler setzt sich in ihrem Buch "Begehrte Köpfe" (Böhlau) mit den Forschungen des Wiener Ethnologen Christoph Fürer-Haimendorf (1909-1995) in Indien auseinander, mit verschiedenen Facetten der Kopfjagd, den nationalsozialistischen Verstrickungen des Forschers, ethnologischer Praxis sowie mit der Kolonialismuskritik.

Auch wenn Fürer-Haimendorf bei seiner Feldforschung in den dreißiger Jahren darum bemüht war, die "edlen" Züge der Naga herauszustreichen, so kommen in seinen Arbeiten auch die Wildheit und barbarischen Eigenschaften zum Ausdruck. Nur so sei das gewaltsame Durchgreifen der britischen Kolonialmacht im Rahmen von Strafaktionen zu rechtfertigen gewesen, analysiert Schäffler.

Strafexpedition mit "Beute"

1936 schloss sich Fürer-Haimendorf erstmalig einer so genannten Strafexpedition an, sie hatte die Unterbindung der Kopfjagd zum Ziel. Eine von ihm nach Österreich mitgebrachte Kopfjagdtrophäe überließ der Himalaya-Forscher 1939 im Rahmen einer großen Sammelausstellung dem Wiener Museum für Völkerkunde.

Waren die Naga-Gruppen untereinander sehr unterschiedlich, so praktizierten sie alle die Kopfjagd: "Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Dörfern, welche sonst durchaus auf Kooperation im Sinne von Warenaustausch und Heiratsbeziehungen beruhten, inkludierten auch das Erbeuten von Köpfen der jeweils anderen Gruppe", schreibt Schäffler. Die Kopftrophäen brachten dem Jäger hohes soziales Ansehen. Die "erbeuteten Köpfe wurden als Träger einer 'magischen Kraft' angesehen", die u.a. zur Fruchtbarkeit des Dorfes beitragen sollte. In den meisten Fällen wurden die Trophäen auch im Dorf ausgestellt.

Der Forscher als Held

Das Bemühen Fürer-Haimendorfs, in seiner Monografie "Die nackten Nagas" ein rationaleres Bild der Kopfjäger zu vermitteln, ist laut Schäffler insbesondere im historischen Kontext des Erscheinungsjahres 1939 "bemerkenswert". Die Versuchung, im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges die Naga als "kühnes Kriegervolk" darzustellen, sei doch groß gewesen. Allerdings hätte er "der Selbstinszenierung als Held, der bisher unerforschtes, niemals vom weißen Mann betretenes Territorium erkundet und von dort aus auch noch Kopftrophäen mitbringt" weniger kritisch gegenübergestanden. Der Akt der Darstellung in der Ethnographie ist laut Schäffler nicht nur als intellektueller, sondern vor allem auch als politischer Akt zu verstehen.

Kritisch hinterfragte Wissensproduktion

Schäffler hinterfragt in ihrer dem Buch zu Grunde liegenden Studie kritisch die "Umstände der ethonologischen/sozial- und kulturanthropologischen Wissensproduktion" rund um die Stammesgruppen der Naga. Die Arbeit entstand im Rahmen des Forschungsschwerpunktes "Lokale Identitäten und überlokale Einflüsse" an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Die Verleihung des Ludwig Wittgenstein-Preises 2000 an Universitätsprofessor Andre Gingrich hatte den nun beendeten, sechsjährigen Forschungsschwerpunkt ermöglicht.

Auch den österreichischen Himalaya-Forscher Heinrich Harrer beschäftigten die Naga im Rahmen seiner Forschungsreisen: Seine Sammlung zu der "Kunst der Naga" wird im Rahmen einer Sonderausstellung vom 1. April bis 31. Oktober im Heinrich-Harrer-Museum Hüttenberg gezeigt. (APA)