Inhalt der neuen Ausgabe
(Nr. 27, April/Mai 2007)

SCHWERPUNKT: MIGRATION
Einwanderungsgeschichte
Flüchtlingskinder, Gastarbeiter & "echte Österreicher"
Am Rand des rotgelben Universums
Zu Besuch bei zwei Wiener Galatasaray-Enklaven
Unsichtbar im Fanblock?
Migrantische Fans zwischen Rassismus und Integration
Fußball unterm Hakenkreuz
Die NS-Verfolgung der tschechisch-wienerischen Fußballer
Deutsch-Afrikaner
Hans Sarpei startete seine Karriere am Dach eines Plattenbaus
Erfolgsmodell Schweden
Drei-Kronen-Team erntet Früchte einer aktiven Migrationspolitik
Dober Dan, Down Under
Kroaten haben den australischen Fußball geprägt

Außerdem im neuen ballestererfm:
Sushi-Essen mit Mario Haas
Der Japan-Heimkehrer im Interview
Eisenstädter Verwandlung
Lokalaugenschein nach dem Trenkwalder-Einstieg
Die Folgen von Catania
Wie reagieren die Behörden?
+ Interview Carlo Balestri/Progetto Ultrà
Fußball für alle
Die EURO-Erwartungen behinderter Fans
Kant vs. Aristoteles
Monthy Pythons großartiges Fußballspiel der Philosophen
Vom Fernweh gepackt
Rudi Strittich kickte in Kolumbien und trainierte Dänemark
Deutsches Dorf im Größenwahn
Ein Software-Unternehmer will mit Hoffenheim in die 1. Liga
Groundhopping
Hüpfen mit Independiente, Saufen wie Mechelen, Sprinten in Hanoi
Dr. Pennwiesers Notfallambulanz
Schultergelenk, das ausgekugelte

Geboren am 10. Oktober 1977, lief für Sanel lange Zeit alles nach Plan. Bis zum Alter von 14 spielte er in seinem Heimatort Grödig, 15 Kilometer südlich von Salzburg, für den dortigen SV. Dann der Wechsel ins BNZ, er wird EM-Vierter mit dem ÖFB-U16-Team, ehe ihn Otto Baric 1995 mit 17 in den erweiterten Kader der Salzburger Austria holt. Unter Heribert Weber kommt Kuljic 1996/97 zwar zu Meisterehren, über Kurzeinsätze allerdings nicht hinaus.

Auf einmal geht es bergab. Kuljics Vater stirbt, er selbst wird zum Bundesheer eingezogen, kann nicht mehr wie gewünscht trainieren und beginnt, seine Sorgen im Alkohol zu ertränken. Die Karriere scheint zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat. Schule und Lehre hat er abgebrochen, seine "Freunde" sind in der Salzburger Halbwelt daheim. Erst als Sanel Kuljic seine heutige Frau Nicoleta kennen lernt, wendet sich das Blatt, und er arbeitet sich über den Regionalligisten PSV Salzburg zurück in den Profifußball.

Der Rest sind Tore: fast 90 in fünf Saisonen mit Bad Bleiberg, Pasching, dem LASK und Ried – gekrönt von den 34 Treffern für die Innviertler in der Aufstiegsaison 2004/05. Ein Jahr darauf wird er mit 15 Toren auch in der Bundesliga Schützenkönig und wechselt zum FC Sion in die Schweiz. Wenn er gerade nicht vor dem Tor steht, ist Sanel Kuljic ein zurückhaltender Mensch. Das stellt der zweifache Vater auch beim Interview im ÖFB-Teamcamp in Stegersbach unter Beweis. Ruhig – und mitunter im Salzburger Dialekt – beantwortet er die Fragen, die ernsthafte Miene weicht nur selten einem schelmischen Grinsen.

***

ballestererfm: Ihr Vater ist aus dem heutigen Bosnien nach Österreich emigriert?

Sanel Kuljic: Ja, Anfang der 70er-Jahre mit seinem Bruder. Er hat dann hier gearbeitet und meine Mutter geheiratet. Ich hatte von Geburt an die österreichische Staatsbürgerschaft und war in meiner Kindheit vielleicht zehn Mal in Bosnien auf Urlaub. Die Sprache habe ich erst Anfang der 90er-Jahre wirklich gelernt, als im Zuge des Krieges in Jugoslawien meine Cousins nach Österreich gekommen sind.


"Ich hatte keine Nachteile aufgrund meines Namens. Ich hab mich immer als Österreicher gefühlt und bin auch sehr froh darüber, weil mir nie etwas abgegangen ist."

Welche Beziehung haben Sie heute zu Bosnien? Verfolgen Sie die Nationalmannschaft mit besonderem Interesse?

Ich war seit Jahren nicht mehr in Bosnien. Meine Oma und andere Verwandte leben aber noch dort, mit ihnen habe ich ungefähr alle zwei Wochen telefonisch Kontakt. Für das bosnische Team interessiere ich mich schon deswegen besonders, weil es das Heimatland meines Vaters war. Leider ist kein Ländermatch des ÖFB-Teams gegen Bosnien ausgemacht.

War es im Nachwuchs von Grödig ein Thema, dass Sie jugoslawische Wurzeln hatten?

Eigentlich nie. Wir waren damals zwei, die keinen typischen Salzburger Namen hatten. Außerhalb des Vereins haben wir täglich auf einer Wiese gekickt, da waren sicher 70 bis 80 Prozent Ausländer. Ich hatte auch in der Schule keine Nachteile aufgrund meines Namens. Ich hab’ mich immer als Österreicher gefühlt und bin auch sehr froh darüber, weil mir nie etwas abgegangen ist.

Erinnern Sie sich an Erlebnisse, wo sie beschimpft wurden, weil Sie Kuljic heißen und nicht – sagen wir – Amerhauser?

Natürlich kommt so etwas vor. Aber das muss ich so hinnehmen, weil ich bin nun einmal der Kuljic und nicht der Huber. Das kann ich nicht bestreiten. Wenn jemand meint, mich auf diese Weise schlecht machen zu müssen, ist das sehr niedriges Niveau. Das ist mir aber fast nie passiert.

Manche Leute sagen, man kann fast nur mehr Profi werden, wenn man bis zum Alter von 18 in die Schule geht – gerade für ein Migrantenkind ist das aber keine Selbstverständlichkeit. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, dass eine Lehre einen nicht daran hindert, Profifußballer zu werden. Wenn du unbedingt willst, dann geht das auch. Wichtig sind das Talent und der nötige Wille.

Der Wille war gerade bei Ihnen wahrscheinlich sehr wichtig. Sie waren zwischenzeitlich ohne Verein, ohne fußballerische Perspektive. Wie sind Sie da wieder raus gekommen?

Ich habe gewusst, dass ich Fußballspielen kann, und dass es meine letzte Chance war, dorthin zu kommen, wo ich meiner Meinung nach hingehöre. Motiviert war ich durch meine Frau, unsere Heirat, das erste Kind – ich hatte Verantwortung. Im Endeffekt ist es ab diesem Zeitpunkt nur mehr bergauf gegangen.

Sie können in Österreich auf eine eindrucksvolle Visitenkarte als Torjäger verweisen. Auch in der Schweiz ist es nicht schlecht gelaufen. Was macht Sanel Kuljic so torgefährlich?

Den Torriecher musst du natürlich in dir haben. Es hängt aber auch viel daran, dass du immer an dir arbeitest. Mental, aber auch auf dem Platz. Dass du die Sachen, die du im Match brauchst, immer wieder wiederholst und automatisierst. Wenn du fünf Meter vor dem Tor stehst, kann es einfach nicht sein, dass du nicht triffst.

In der Schweiz redet man viel von der wichtigen Rolle der "Secondos" für den dortigen Fußball. Ist der Status der Zweiten Generation im eidgenössischen Liga-Alltag anders als in Österreich?

Es gibt in der Schweiz viele junge Kicker mit afrikanischen, portugiesischen oder südamerikanischen Eltern. Sehr gute, talentierte Spieler, die man bei uns noch nicht kennt, weil sie es noch nicht in die Nationalmannschaft geschafft haben.

Wenn Sie die beiden Ligen vergleichen: Wo liegen die gravierenden Unterschiede?

In Österreich wird teilweise viel aggressiver gespielt. In der Schweiz wird versucht, mehr Fußball zu spielen. Die "Secondos" und die ausländischen Spieler sind in dieser Hinsicht für die Schweizer Liga sicher eine Bereicherung. Es wird durch sie ein ganz anderer Fußball gespielt, als wenn es da nur Schweizer geben würde.


"Die Secondos und die ausländischen Spieler sind für die Schweizer Liga eine Bereicherung. Es wird durch sie ein ganz anderer Fußball gespielt, als wenn es da nur Schweizer geben würde."

Sie haben ihren Vertrag beim FC Sion kürzlich wegen ausständiger Gehaltszahlungen gekündigt. Wann haben die Probleme begonnen?

Ich habe den Verein mehrmals auf die ausständigen Zahlungen aufmerksam gemacht – mündlich und auch schriftlich. Sie sind dem nicht nachgekommen, haben den Vertrag, meiner Meinung nach und der meines Anwaltes, gebrochen. Daher habe ich gekündigt. Natürlich hätte man auch sagen können: "Okay, bis zum Sommer wird es schon noch gehen." Ich hab’ das auch gewollt und ein Gespräch gesucht. Das hat sich aber zerschlagen, weil mein ehemaliger Chef (Anm: Sion-Präsident Christian Constantin) mit einer ganz neuen Version der Geschichte gekommen ist. Das habe ich nicht in Ordnung gefunden. Ich weiß, was in meinem Vertrag steht.

Welchen Eindruck hatten Sie allgemein vom Umfeld in Sion? Es gab ja auch sehr viele Trainerwechsel?

Inklusive Interimscoach hat der Klub den fünften Trainer in dieser Saison. Das kann nicht gut sein. Das Umfeld war nicht immer professionell. Es gibt auch andere Spieler, die damit nicht zufrieden sind. Ich will dem Klub keine Probleme bereiten. Ich möchte nur das, was mir zusteht.

Werfen wir einen Blick auf die Heim-EM 2008: Was sind Ihre persönlichen Ziele?

Das erste Ziel ist natürlich, dabei zu sein. Um das zu schaffen, muss ich bis 2008 gute Leistungen bringen. Bis zur Europameisterschaft will ich noch gar nicht denken. Für mich ist es in erster Linie wichtig, dass ich bis dahin meine Tore mache – egal, wo ich spiele.

Wie viele "Secondos" werden im österreichischen EM-Kader stehen?

Die Anzahl steht für mich nicht im Vordergrund. Bei der EM sollen die Stärksten dabei sein – wenn es zwei "Secondos" sind, ist es okay. Wenn es fünf sind, passt es natürlich auch.

(Das Gespräch führten Reinhard Krennhuber und Georg Spitaler. Fotos: Leonhard Föger)