Er gehört zu den meistzitierten Aussprüchen Bruno Kreiskys, jener Sager von den paar Milliarden Schulden mehr, die ihm weniger Sorgen bereiten als hunderttausend Arbeitslose mehr. Meist wird er zitiert, um das Grundübel der sozialdemokratischen Wirschaftsdoktrin zu kennzeichnen.

Natürlich ist es eine sehr vereinfachende Aussage, auch ein Wohlwollender muss das anerkennen. Aber aus welcher tief schürfenden Analyse folgt eigentlich die Zielsetzung des Nulldefizits? Deshalb, weil eine Aussage plakativ ist, muss sie noch nicht falsch sein. Die Gefahr besteht darin, sie zu verabsolutieren.

Als Kreisky seine berühmte Aussage machte, betrug die Finanzschuld des Bundes 330 Mrd. S, das waren 40 Prozent des BIP. 1999 betrugen die Vergleichswerte 1740 Mrd. S, bzw. 65 Prozent.

Ein richtiges Wort zur rechten Zeit

Und gar so verrückt wäre die Idee nicht gewesen, durch gemeinsame Anstrengungen schon damals das Ansteigen der Arbeitslosigkeit in Westeuropa zu bremsen oder gar zu vermeiden. Natürlich nicht nur mit Deficit-Spending, sondern auch via Währungspolitik, Technologieförderung, Ausbildung, einem massiven Abtausch von Arbeitszeitverkürzung gegen Flexibilität des Arbeitseinsatzes etc. Auch aus budgetpolitischer Sicht ist der Vorrang für Beschäftigung nicht absurd, gehen dem Fiskus doch nicht nur Abgaben und Steuern der Arbeitslosen ab, er muss die Arbeitslosigkeit, Frühpension etc. auch noch finanzieren.

Dramatischer Beschäftigungsrückgang, geringeres Wachstum und hohe Zinsen brachten die Budgets in ganz Westeuropa in Unordnung. Jahrelang waren die Nominalzinsen höher als das Nominalwachstum, was geradezu eine Schuldenautomatik auslöste.

Vor dem Hintergrund des Anfangs der Achtzigerjahre aber ist der Kreisky-Spruch nicht nur politisch, er ist auch ökonomisch vertretbar. Aber wie ist das eigentlich mit den Nulldefizit im Jahre 2002? Beim Kreisky-Sager ist die Zielsetzung erkennbar: Arbeitslosigkeit vermeiden. Das Grasser-Ziel ist aufs Erste ebenfalls honorig: höhere Schulden vermeiden.

Die Zielsetzung einer massiveren Senkung des Defizits in Zeiten hohen Wachstums und steigender Beschäftigung ist erstens realistisch und zweitens vernünftig. Selbst der Gottseibeiuns der Neoliberalen und Konservativen, Keynes, hätte dies in der jetzigen Wirtschaftslage empfohlen. Gefährlich ist es - wie gesagt -, das Nulldefizit zur absoluten Maxime zu erheben.

Der Fehler liegt schon im so genannten Wachstums- und Stabilitätspakt der EU begründet. Von diesem Pakt ist nur mehr die Preisstabilität und eine restriktive Budgetpolitik übrig geblieben, von Wachstum, von zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit, von sozialem Ausgleich als Grundlage nationaler und europäischer Stabilität keine Rede. Insofern folgt Schwarz-Blau dem "Diktat" aus Brüssel.

Drei Thesen im Zeichen des Humbugs

Bei aller gebotenen Vereinfachung wirschaftspolitischer Aussagen sollte dennoch daran erinnert werden, dass das Budget nicht Ziel, sondern Mittel der Politik sein sollte. Ob Überschuss oder Defizit, das sollte nicht unabhängig von Beschäftigungsgrad, von der Wachstumsrate etc. sein. Doch was uns jetzt eingeredet wird, ist folgender Humbug:

1. Künftige Generationen sollen durch Schulden nicht belastet werden.

2. Der Bürger soll nicht bis Mitte des Jahres für den Staat arbeiten.

3. Daher muss das Budget über die Ausgaben saniert werden.

Die erste Aussage ist dann richtig, wenn mit Schulden laufende Ausgaben, nicht Investitionen in die Zukunft, seien es der Bau von Straßen oder Krankenhäusern oder der Betrieb von Ausbildungs- und Forschungsstätten, finanziert werden. So falsch eine Gleichsetzung von öffentlichem und privatem Haushalt auch sein mag, so dienlich ist sie in diesem Fall. Auch ein vorsichtiger Hausvater wird einen Hausbau über mehrere Jahre finanzieren - mit Kredit. Das gesamte Bausparwesen baut auf diesem Gedanken auf. Selbiges ist auch für den öffentlichen Investor angeraten, künftige Generationen zahlen nicht nur, sie nutzen auch die investierten Straßen, Spitäler, Schulen.

Die zweite Aussage ist so hanebüchen wie einäugig. Sie geht einfach davon aus, dass eine niedrige Staatsquote per se besser ist als eine höhere. Zugegeben, es gibt Steuerwiderstand, Bürokratie, leistungshemmende Abgabensysteme. Aber der Nachweis, dass die vielen Jahrzehnte mit niedrigen Steuerquoten wirklich die gute alte Zeit waren, ist nirgends erbracht worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen die Staatsquoten in allen industrialisierten Ländern stark an, es war nicht ihre schlechteste Zeit, Massenwohlstand und Wachstum haben sie gekennzeichnet.

Zwei Seiten der Münze und eines Plakats

Die dritte Aussage würde voraussetzen, dass die Kürzung von Ausgaben gänzlich andere Einkommens- und Wohlfahrtseffekte hat als die Erhöhung von Einnahmen. An vielen Beispielen lässt sich zeigen, dass das aber nur die zwei Seiten einer Münze sind. Derselbe Einkommenseffekt wird durch Steuererhöhung mittels Senkung des Kinderabsetzbetrages wie durch Ausgabensenkung mittels Kürzung der Familienbeihilfen erreicht, nämlich ein geringer verfügbares Einkommen beim Bürger. Das ist ja auch logisch. Staatsausgaben müssen nicht nur finanziert werden, sie führen auch zu Einnahmen - beim Alleinverdiener, beim Beamten, beim Bauarbeiter, beim Pensionisten, zugegebenermaßen ergeben sich unterschiedliche Verteilungseffekte.

Dass auch der Staat sparen soll, ist gut und richtig, wenn man genau diese Verteilungseffekte im Auge behält. Bei öffentlichen Investitionen sollte man den Mut haben, die Ausgaben über mehrere Jahre zu verteilen. Das lernt auch schon der Anfänger in Betriebswirtschaftslehre, dass in einer optimierten Finanzierungsstruktur neben Eigenkapital auch Fremdkapital eingesetzt werden muss.

Absurd wird es dann, wenn man ein Nulldefizit anstrebt, Investitionen kürzt und dafür neue Transfers - sprich Kinderscheck - eröffnet. Man sollte Budgetpolitik nicht davon abhängig machen, dass irgendwer Kinderpopos plakatiert hat. Das Ergebnis könnte nämlich sein, dass die Abgebildeten ein paar Jahre später den Plakatierern aus guten Gründen ihr Hinterteil zuwenden.

Ferdinand Lacina, von 1980 bis '83 wirtschaftspolitischer Berater Bruno Kreiskys, von 1986 bis 1996 Finanzminister der Republik, ist derzeit Konsulent für die Erste Bank.