Ein wenig war es auch die Woche von Michael Jeannée. Endlich ist es bis zu "profil" durchgedrungen, dass der "Krone"-Schreiber nach Jahren in der Ungnade Hans Dichands wieder die Lücke schließen darf, die Staberl in der "Kronen Zeitung" hinterlassen hat, wie ein schwermütiger Leser des Blattes der Rabiatperle gedankenreiches Wirken beschrieb. Das Magazin hatte, in Vorwegnahme der Saure-Gurken-Zeit eine Titelgeschichte über Das Moralgen – Ist das Gute im Menschen angeboren? Um den Lesern das schwierige Thema anschaulich zu machen, suchte es nach einem lebenden Objekt, an dem sich die Existenz besagten Moralgens rascher und einprägsamer darstellen ließe, als Gehirnforscher und Psychologen das am Durchschnittsmenschen vermögen und fand es in – Michael Jeannée.

Dessen Moralgen ließ sich schon im Titel über dem Interview ohne größeren Aufwand sequenzieren: "Je linker ein Linker, desto rechter werde ich." Weniger gut gelungen ist an diesem Exemplar freilich der Beweis für die These, dass das Gute im Menschen angeboren sei. Offenbar handelt es sich weniger um einen Fall von Unintelligent Design als mehr um einen von oraler Moralgen-Übertragung. Als nämlich Jeannée Hans Dichand nach drei Jahren wieder eine Probekolumne vorlegen durfte, sagte dieser: „Wissen Sie eigentlich, wie gut Sie sind, Jeannée?“, worauf der Gute wusste, was er zu antworten hatte: „Wahrscheinlich haben Sie mich wachgeküsst, Herr Dichand.“

Immerhin wissen wir nun wenigstens, wie das Gute im Menschen Dichand an die Mitarbeiter weitergegeben wird, was die Redaktionslinie der "Kronen Zeitung" als Summe der Meinungen der Redakteure und des Herausgebers endlich auch Skeptikern plausibel macht. Die Ansichten des Herausgebers und mit ihm naturgemäß auch dessen Moralgen werden durch Wachküssen an die Mitarbeiter weitergegeben, was nicht nur die redaktionelle Einheitlichkeit der Auffassung vom Guten im Menschen gewährleistet, sondern auch jene Meinungsvielfalt und absolute Unabhängigkeit, auf die die Redakteure des Blattes mit Recht stolz sind.

Das ist aber nicht immer nur eine Einbahn. Den historischen Augenblick, in dem er nach drei Jahren strafweiser Unterbeschäftigung vor Dichand hintrat, beschreibt Jeannée so: Und das ist das Faszinosum an diesem Mann: dass er mit seinen 86 Jahren innerhalb von Sekunden genau kapierte, was ich wollte . . . Dafür, dass Jeannée erst einige Jahrzehnte bei der "Krone" angestellt ist und dort mehr oder weniger intensiv, aber immer brav, das Gute im Herausgeber weitergegeben hat, kann man die Kapiergeschwindigkeit des 86-Jährigen in der Tat nur als Faszinosum bezeichnen.

Das Moralgen in seiner journalistischen Variante wurde auf das Schönste sichtbar unter dem Hochleistungsmikroskop der "profil"-Behauptung: Die in der „Krone“ zugelassene Meinungsvielfalt hat aber ihre Grenzen. Darauf der vom Herausgeber Wachgeküsste: Warum sollte ich an dem Ast, auf dem ich sitze, sägen? Ich bin ja nicht deppert. Auf diesem Ast sitzend, muss man auch die Vorlieben des Kunstsammlers Dichand beachten. Den Nitsch mag er nicht. Man weiß natürlich ganz generell als „Krone“-Schreiber, dass man einen gewissen ideologischen Kreis nicht verlassen sollte.

Das gilt bekanntlich auch anderswo, aber so eng wie bei der "Krone" sind ideologische Kreise nicht überall gezogen. Daraus folgt eine von "profil" vermutete Beherrschtheit des "Krone"-Schreibers von der kompletten Identifikation mit Ihrem Produkt. Sie wird umgehend bestätigt. Das muss so sein. So war das immer bei mir. Ich finde es nachgerade grotesk, wenn sich ein Wolfgang Fellner über Boulevardzeitungen aufregt. Glaubt der allen Ernstes, dass er eine Qualitätszeitung macht?

Jeannées hier zutage tretende komplette Identifikation mit der „Krone“ nicht als Qualitätszeitung, sondern als Boulevardzeitung, wird ihm von seinem Herausgeber hoffentlich nicht als Moralgen-Defekt ausgelegt, behauptet dieser doch stets, keine Boulevardzeitung, sondern ein Familienblatt für das Gute im Menschen zu produzieren. Vielleicht trat Jeannée deshalb Dienstag zu einer größeren Moralgen-Manipulation an, als er den lieben Wolfgang „Exklusivo“ Fellner im Sinne von George Bernhard Shaw ständiger Verlogenheit und eben deshalb vollkommener Ungefährlichkeit zieh: Denn die Wahrheiten in Ihrem Blattl sind praktisch nicht existent. Bewiesen, indem Sie Ihrer Leserschaft „Maria M., die späte Mutter“ samt Baby am Hochglanzcover und im Blattinneren Ihres Produkts fünfspaltig verkauften. Auf einem Bild, das (wie eine mühelose Blitzrecherche ergab) in Los Angeles von der Fotografin Tracy Kahn geschossen wurde.

Die Blitzrecherche wäre noch müheloser ausgefallen, hätte Jeannée im Blattinneren aufmerksamer hingeschaut. Dort war der korrekte Fotonachweis winzig klein zu lesen, was "Österreich" zum Gegenschlag Dumm, Dümmer, Kronen-Zeitung ausholen ließ. Das Bild auf dem Cover allerdings wollte sich „Exklusivo“ nicht durch Überkorrektheit versauen lassen. Aber ihn hat ja auch kein Dichand wachgeküsst. (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 7./8./9.4.2007)