"Ich finde es wichtig, als Intellektueller gegen unreflektiertes Islam-Bashing anzugehen."

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Mit Sebastian Fasthuber sprach er über Reisen als Recherche, den Islam, Europa und Wien.

Standard: Die erste Ihrer Wiener Vorlesungen zur Literatur widmet sich der Recherche. Für "Der Weltensammler" haben sie fünf Jahre recherchiert...

Ilija Trojanow: ...und ich bekomme oft gesagt: Hättest du ein bisschen weniger recherchiert, wäre das Buch genauso gut geworden.

Standard: Wäre es aber nicht?

Ilija Trojanow: So läuft das nicht. Ich dachte ursprünglich, ich würde ein Jahr in Indien sein, und bin über fünf Jahre geblieben. Wenn es einen gepackt hat, bohrt man sich immer tiefer hinein. Ich weiß, es gibt diese Vorbehalte gegen Recherche, vor allem im deutschsprachigen Raum. Das ist etwas, das Journalisten machen oder Wissenschafter. Der Autor aber soll angeblich aus sich selber schöpfen.

Standard: Aber wird etwas dadurch glaubwürdiger, wenn der Autor es selbst gesehen oder erlebt hat?

Ilija Trojanow: Ich glaube, dass Aufmerksamkeit im Detail nicht nur eine unabdingbare Voraussetzung ist für die Glaubwürdigkeit eines Prosawerkes, die einen dann als Leser auch die gewagteren Höhenflüge des Autors mitvollziehen lässt, sondern dass sich aus der genauen Kenntnis der Realität ganz bestimmte poetologische Entscheidungen entwickeln. Aus Weltkenntnis heraus entwickelt sich eine Poetologie.

Standard: Sie haben ja auch einige Bücher mit Reisereportagen geschrieben: Vorstufen zu den Romanen?

Ilija Trojanow: Nein, und ich weiß gar nicht, ob das Reportagen sind. Ich mache gerade einen Sammelband über Kapuœciñski, da steht auch "Reportagen" drunter, aber einige der Texte sind durch und durch literarisch. Bei meinen beiden letzten Büchern dieser Art, über die Gangesfahrt und die Hadsch, stand nicht das Berichten im Vordergrund. Bei der Gangesfahrt habe ich versucht, eine Collage-Form zu finden, die der Form des Flusses entspricht.

Standard: Nachdem Sie 2003 die Hadsch gemacht hatten, gab es in deutschen Medien Berichte, Sie seien zum Islam konvertiert.

Ilija Trojanow: Das hängt mir immer noch nach, aber es ist Quatsch. Ich bin gegen Ideologien, also kann ich nicht Anhänger eines Dogmas sein. Was mich am Islam interessiert, sind bestimmte Traditionen des Sufismus, also eine eher sinnlich-freidenkerische Ausrichtung.

Von der persönlichen Ebene abgesehen, finde ich es wichtig, als Intellektueller gegen unreflektiertes Islam-Bashing anzugehen.

Standard: Auch einige Ihrer Kollegen lehnen den Islam in Bausch und Bogen ab. Woran, meinen Sie, liegt das?

Ilija Trojanow: Auf mich wirkt es wie Selbstbeweihräucherung. Denn was bringt es? Niemand, der zum Fundamentalismus tendiert, liest diese Sachen. Stattdessen könnte einmal jemand nachzeichnen, wie dieser Fundamentalismus entstanden ist, nämlich als Folge von imperialer und kolonialistischer Politik. Oder man geht her und sieht sich den Islam selber in seiner Vielgestaltigkeit an. Und dazu gehört: Reisen und sich ein Bild machen.

Standard: Keine Sehnsucht nach Sesshaftigkeit?

Ilija Trojanow: Reisen ist für mich eine existenzielle Kategorie, das wird mich nicht verlassen. Aber ich suche tatsächlich gerade einen Ruheort und habe mir in Wien einige Wohnungen angesehen.

Ich könnte es mir hier gut vorstellen. Wien liegt zwischen Ost und West sehr interessant und man spricht zwar Deutsch, aber ein ganz anderes Deutsch. Außerdem nervt es mich inzwischen ganz kolossal, dass ich gewissen intellektuellen Bedürfnissen nicht nachgehen kann, weil meine Bücher überall verstreut lagern.

Standard: Ihre Wiege steht in Bulgarien, das Land ist seit 1.1.2007 Mitglied der EU. Zur Zeit sucht Europa verzweifelt nach einer Identität.

Ilija Trojanow: Und die EU maßt sich an, diese europäische Identität zu bilden, was absurd ist. Kein Mensch, der bei Trost ist, würde bezweifeln, dass beispielsweise die Ukraine Teil einer europäischen Identität ist. Gleichzeitig ist der Versuch, die europäische Tradition als eine christliche zu definieren, auch Humbug.

Ein ganz banales Beispiel: Der westlichste Teil Europas, nämlich Spanien, war 800 Jahre lang nicht nur islamisch geprägt, sondern von einer ganz außergewöhnlichen Multikulturalität im positiven Sinne und von einer religiösen Toleranz, von der man heute nur träumen kann. Europa ist von seiner Identität her erheblich vielfältiger und komplexer, als die jetzige politische Diskussion es zulässt.

Standard: Im Mai erscheint – als letzter Band der Anderen Bibliothek, den Franz Greno gestaltet hat – "Nomade auf vier Kontinenten. Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton". Eine Ergänzung zum "Weltensammler"?

Ilija Trojanow: Das ist ein völlig anderes Buch, das parallel zum Roman entstanden ist. Ich habe 1997 Hans Magnus Enzensberger von meinem Plan zu einem historischen Roman über Burton erzählt. Er sagte, ich müsste auch das festhalten, was ich heute erlebe. Daraus ist der Plan entstanden, ein Buch zu machen, in dem ich meine Erfahrungen beschreibe und ihnen Ausschnitte aus Burtons Werken gegenüberstelle. Franz Greno hat da noch mal ein bibliophiles Meisterwerk geschaffen. Ich habe selten ein so schönes Buch gesehen.

Bauplan Literatur

Ilija Trojanow zu Gast in Wien, Stift Göttweig und Klagenfurt

Wien – Die Wiener Vorlesungen zur Literatur will Ilija Trojanow nicht für abstrakte literaturtheoretische Auseinandersetzungen nützen, sondern für Berichte aus der konkreten Arbeit. An drei Abenden widmet er sich erst der RECHERCHE (Das Entzünden des narrativen Motors), dann dem KOMPLOTT (Wie plant ein Autor den perfekten Plot?) und schließlich dem W:ORT (Und hätte ich nur eine Sprache... eine Liebeserklärung).

Trojanow: "Gerade der Plot wird in der deutschsprachigen Literatur sträflich vernachlässigt. Und so eine kleine Liebeserklärung an die deutsche Sprache zum Schluss kann auch nicht schaden."

Die Vorlesungen finden am 12.4. sowie am 18. und 23.4. jeweils ab 19 Uhr in der Alten Schmiede, 1., Schönlaterngasse 9, statt. Zusätzlich liest Ilija Trojanow am 13.4. um 22 Uhr im Stift Göttweig (im Rahmen des Festivals "Literatur & Wein") und am 17.4. um 19.30 Uhr im Musil-Haus Klagenfurt aus Der Weltensammler. (fast / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.4.2007)