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Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten stehen im Mittelpunkt der Sammlung von Kurzgeschichten des nigerianischen Schriftstellers Ken Saro-Wiwa. "Die Sterne dort unten" ("A Forest of Flowers", 1986) schildert in zwei Teilen den Alltag der kleinen Leute und das Leben von besser Gestellten, die mit ein wenig Geld und Korruption einen kleinen Schritt auf der sozialen Leiter nach oben machen konnten.

Unerbittliches Gesetz der dörflichen Gemeinschaft

Im ersten Teil wird der Leser Medias in Res in das kleine hinterwäldlerische Dorf Dukana geführt, nach einer Reise mit "Fortschritt", einem LKW, der als einzigen Verbindung das Dorf an die Außenwelt anschließt. Mit der Geschichte einer jungen Lehrerin, die nach dem Studium wieder in ihr Heimatdorf zurückkehrt, zeigt sich ein Bild Dukanas, das idyllische Erinnerungen zerbröckeln lässt.

Es folgen Erzählungen über den Kampf der mehrheitlich sehr konservativen Bauern und einigen "Ausreißern", und über ihre Versuche, die althergebrachten Gewohnheiten beizubehalten bzw. zu dämpfen. Die Erzählungen zeigen, wie unerbittlich das Gesetz der dörflichen Gemeinschaft sein kann und wie wenig Rücksicht es auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der einzelnen Dorfmitglieder macht.

"Rotten English"

Im zweiten Teil der Kurzgeschichtensammlung begibt man sich in die Welt von Menschen, die das Land verlassen haben,um ihr Glück in der Stadt zu suchen. Aba, Prototyp des städtischen Daseins und der Hoffnung auf ein besseres Leben, präsentiert eine neue und chaotische Welt. Saro-Wiwa bedient sich in dieser Erzählung dem "Englischen der kleinen Leute", "rotten English", wie er es nannte. In der deutschen Übersetzung kommt dies nur in Ansätzen durch, sind die syntaktischen, lexikalischen und semantischen Unregelmäßigkeiten doch nur schwer in eine andere Sprache übertragbar. Nichtsdestotrotz bekommt man einen Eindruck dieses stilistischen Mittels, das als ein Meilenstein in der postkolonialen Literaturwissenschaft bezeichnet wird. Man trifft in Folge auf korrumpierte Polizisten, frustrierte Ministerialbeamte oder abergläubische Grundstückspekulanten.

Alles in allem liefert Ken Saro-Wiwa in den 19 Erzählungen ohne moralischen Unterton einen Einblick in das Leben der Menschen und deren Überlebenskampf. Die Sammlung liefert Bilder einer entwurzelten Gesellschaft, die zwischen traditionellen Lebensweisen und modernen Anforderungen oszillieren.

Zum Autor

Ken Saro-Wiwa wurde 1941 in Nigeria geboren. Während des Bürgerkriegs um die Sezession Biafras war er Verwaltungsbeamter der Regierung und besetzte Posten in zahlreichen Ministerien, seine schriftstellerische Laufbahn hatte er bereits während seines Studiums begonnen. Gedichte, Romane, Theater- und Fernsehstücke, Kurzgeschichten, Glossen und Kommentare gehörten zum Repertoire von Saro-Wiwa. Die akute Situation der Ogoni, einer kleinen Ethnie im Niger-Delta, der auch er angehörte, ließ ihn zunehmend für die die soziale, politische wie ökonomische Emanzipation kämpfen. Er gründete 1990 die "Widerstandsbewegung für das Überleben der Ogoni" (MOSOP) und geriet wegen seiner Aktionen und Proteste zunehmend ins Visier des damaligen Militärregimes unter Sani Abacha. Nach einem Schauprozess 1995 wurde am 10. November 1995 gemeinsam mit acht seiner Mitstreiter in Port Harcourt gehängt. (Christa Hager , derStandard.at, 5. Mai 2007)